Gesundheitsversorgung von Erwachsenen mit intellektuellen Beeinträchtigungen

Ergebnisse einer qualitativen Erhebung zur Situation von Menschen, die in
Institutionen der Behindertenhilfe in der Schweiz leben

Natalie Zambrino, Larissa M. Sundermann und Stefania Calabrese

Zusammenfassung
Aktuelle Studien zeigen, dass dringender Handlungsbedarf in der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Schweiz besteht. Dieser Artikel fokussiert auf die Situation von Erwachsenen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die in Institutionen der Behindertenhilfe leben. In einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Hochschule Luzern wurden Gruppendiskussionen mit Begleitpersonen aus Institutionen der Behindertenhilfe und mit medizinischen Fachpersonen durchgeführt. Es konnten dadurch vielfältige Stärken und Herausforderungen der Gesundheitsversorgung dieser Zielgruppe eruiert werden.

Résumé
Des études récentes montrent qu’il est urgent d’agir en matière de soins de santé pour les personnes en situation de handicap en Suisse. Cet article se concentre sur la situation des adultes ayant des déficiences intellectuelles et vivant dans des institutions prenant en charge le handicap. Dans le cadre d’un projet de recherche interdisciplinaire de la Haute école de Lucerne, des discussions de groupe ont été menées avec des équipes professionnelles de la santé et d’institutions sociales en faveur des personnes en situation de handicap. Il a ainsi été possible d’identifier les multiples points forts et défis de la prise en charge médicale du groupe cible.

Keywords: kognitive Beeinträchtigung, Gesundheitsversorgung, Barrierefreiheit, Kommunikation, Prävention, Institution / déficience intellectuelle, soins de santé, accessibilité, communication, prévention, institution

DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-06-07

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 06/2025

Creative Common BY

Ausgangslage und Fragestellung

Artikel 25 der Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht «auf das erreichbare Höchstmass an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung». Der Artikel verpflichtet die Vertragsstaaten zu einer gleichwertigen Gesundheitsversorgung für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. Allerdings kommen der Schweizer Verein für bedürfnisgerechte medizinische Versorgung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung (VBMB, 2022) genauso wie eine Studie der Stiftung Dialog Ethik (2023) zum Schluss, dass die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Beeinträchtigungen grundsätzlich unbefriedigend sei; und dies unabhängig vom jeweiligen Unterstützungsbedarf und von der jeweiligen Wohnform. Der VBMB (2022) konstatiert dringenden Handlungsbedarf und formuliert Forderungen, die für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Beeinträchtigungen richtungsweisend sind. Die Forderungen wurden bis dato im hoch entwickelten Schweizer Gesundheitssystem unzureichend zur Kenntnis genommen und entsprechend kaum oder nur in Ansätzen umgesetzt.

Gerade in stationären Institutionen der Behindertenhilfe erfahren die dort lebenden Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen potenziell ein Mehrfaches an Diskriminierung und Exklusion. Diese Personengruppe zeichnet sich dadurch aus, dass ihnen häufig kognitive und kommunikative Kompetenzen fehlen, um für sich und ihre Rechte einzustehen. Zudem leben sie in stationären Institutionen oft in fremdbestimmten und isolierenden Strukturen. Gleichzeitig sind Menschen mit Beeinträchtigungen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung anfälliger für somatische und psychische Erkrankungen und verfügen über tendenziell verminderte Bewältigungsmöglichkeiten (Brem & Stockmann, 2020).

Vor diesem Hintergrund führte ein Projektteam der Hochschule Luzern ein Forschungsprojekt durch zur Gesundheitsversorgung von Erwachsenen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die in Institutionen der Behindertenhilfe leben. Folgende Fragestellungen waren dabei leitend: Wie funktioniert die Gesundheitsversorgung für die beschriebene Zielgruppe? Was sind Stärken und Herausforderungen dieser Gesundheitsversorgung? In welchen Bereichen gibt es Handlungsbedarf? Ziel des Projekts war es, die Situation der Gesundheitsversorgung der beschriebenen Zielgruppe qualitativ-explorativ zu erfassen und bestehende Herausforderungen zu eruieren. Neben einer Literaturrecherche wurden zwei online-Gruppendiskussionen durchgeführt. Die erste Gruppe bestand aus Personen, die in der direkten Begleitung der Zielgruppe in Institutionen der Behindertenhilfe in der Deutschschweiz arbeiten. Die zweite Gruppe umfasste medizinische Fachpersonen, die in die Gesundheitsversorgung der Zielgruppe involviert sind. Die Ergebnisse der beiden Gruppendiskussionen wurden protokolliert und hinsichtlich der genannten Fragestellungen ausgewertet.

Stärken in der Gesundheitsversorgung der Zielgruppe

Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg

Sowohl Begleitpersonen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe als auch medizinische Fachpersonen machten äusserst positive Erfahrungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit – mit einzelnen ausgewählten Kliniken, mit Allgemein- sowie Fachmedizin (dies trifft auf beide Fokusgruppen zu) und mit einzelnen Institutionen der Behindertenhilfe (aus Perspektive der medizinischen Fachpersonen). Besonders geschätzt an der Zusammenarbeit wird: spürbares gegenseitiges Interesse, sich genügend Zeit für die Beziehungspflege nehmen, frühzeitig, proaktiv und regelmässig kommunizieren, benötigte Informationen bereithalten und bei Bedarf zustellen. Die medizinischen Fachpersonen betonten darüber hinaus die Bedeutung der Kooperation zwischen unterschiedlichen medizinischen Spezialisierungsrichtungen. Besonders schätzen sie: die orthopädische Hilfsmittelversorgung (die sich im Erwachsenenbereich deutlich verbessert habe und mancherorts wohnortnah abgewickelt werde), die Einweisungssituation zwischen Institutionen und psychiatrischen Kliniken sowie die Zusammenarbeit mit der Palliativspitex. Beide Gruppendiskussionen machten deutlich, dass eine gelingende Zusammenarbeit in der Regel von äusserst engagierten Institutionen und/oder Einzelpersonen getragen wird. Dennoch zeigen sich regional grosse Unterschiede und es lassen sich durchaus auch zahlreiche Beispiele für wenig gelingende Zusammenarbeit finden.

Sich vermehrt an den spezifischen Bedürfnissen der Patient:innen orientieren und Verständnis zeigen

Die Begleitpersonen stellten fest, dass sich medizinische Fachpersonen aktuell besser an den Bedürfnissen der Patient:innen mit intellektuellen Beeinträchtigungen orientieren würden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Dabei schätzten die Begleitpersonen vor allem, dass medizinische Fachpersonen den erhöhten Zeitaufwand für den Kontakt mit der Zielgruppe berücksichtigen. Ausserdem seien sie sich der Besonderheiten in der Kommunikation und im direkten Kontakt bewusst. In einem Fallbeispiel wurde von der äusserst ruhigen Reaktion eines Mediziners auf einen aufgebrachten, leicht aggressiven Patienten berichtet. Dies habe eine sehr positive Auswirkung auf die Gesamtsituation und das Befinden des Patienten gehabt. Die Begleitpersonen loben weiter, dass Dienstleistende im Gesundheitssystem für die Situation der Zielgruppe und deren Begleitpersonen oft Verständnis haben. Als Beispiel wurde die Nachsicht für regelmässiges knappes Erscheinen einer Patientin vor dem vereinbarten Termin genannt. Die medizinischen Fachpersonen äusserten sich positiv über die teilweise von den Institutionen zur Verfügung gestellten Informationsmappen, in denen die Beeinträchtigung einzelner Patient:innen und daraus resultierende Umgangsformen, insbesondere im Bereich der Kommunikation, beschrieben werden. Diese Mappen würden den medizinischen Fachpersonen helfen, sich besser an den Bedürfnissen der Zielgruppe zu orientieren.

Die befragten Personen merkten an, dass bestehende Ressourcen einen grossen Einfluss darauf haben, wie Bedürfnisse berücksichtigt werden können: Stehe genügend Zeit zur Verfügung, werde auf spezifische Bedürfnisse eingegangen; fehle die Zeit oder das Personal, würden diese eher vernachlässigt.

Direktes Ansprechen der Patient:innen

Die Begleitpersonen berichteten, dass medizinische Fachpersonen die Zielgruppe während Sprechstunden häufiger direkt ansprechen als noch vor einem Jahrzehnt. Dies begrüssten sie im Sinne der Selbstbestimmung der Patient:innen sehr. Teilweise braucht es vorgängig einen Hinweis der Begleitperson an die Fachperson, dass sie nur als Unterstützung, nicht aber als direkte Ansprechperson vor Ort sei. Daraufhin treten die behandelnden Personen vermehrt direkt mit den Patient:innen in Kontakt.

Dankbarkeit für geklärte Rollen und Unterstützung

Die medizinischen Fachpersonen waren den Begleitpersonen dankbar, wenn diese klar äusserten, welche Aufgaben sie innerhalb der Gesundheitsversorgung der Patient:innen übernehmen und damit Klarheit über die Verantwortlichkeiten schufen. Zudem schätzten Pflegefachpersonen in der stationären Versorgung, wenn Begleitpersonen die Patient:innen bei Spitalaufenthalten unterstützten, indem sie beispielsweise konkrete pflegerische Aufgaben übernahmen oder zwischen dem Personal vor Ort und den Patient:innen vermittelten. Die Begleitpersonen berichteten, dass sie diese Aufgaben insbesondere bei mehrtägigen Spitalaufenthalten nicht übernehmen möchten und die Verantwortung dafür bei der Pflege vor Ort sähen. Gleichzeitig fühlten sie sich den Patient:innen gegenüber verpflichtet und nahmen wahr, dass Pflegefachpersonen im Umgang mit diesen Patient:innen oft überfordert sind.

Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung der Zielgruppe

Unzureichende Kommunikation und Koordination

Die Begleitpersonen schilderten Situationen, in denen es an Austausch zwischen behandelnden Mediziner:innen und Mitarbeitenden der Wohninstitutionen mangele – so beispielsweise im Falle von Patient:innen, die ihre Arztbesuche allein wahrnahmen und mit verschriebenen Medikamenten ohne Hinweise zur Einnahme in die Institution zurückkehrten. Zudem berichteten die Begleitpersonen von zahlreichen Situationen, in denen die Kommunikation und Koordination zwischen verschiedenen Spezialist:innen beziehungsweise Therapien verbesserungswürdig seien: Sie selbst müssten in Ermangelung einer dafür zuständigen Person oder Stelle eine Vermittlungsfunktion übernehmen, um eine adäquate Versorgung der Patient:innen zu gewährleisten. Oder sie müssten beispielsweise verschiedene Behandlungen koordinieren, um unerwünschte Wechselwirkungen zwischen zeitgleich eingenommenen Medikamenten zu vermeiden. Die Psychiater:innen hingegen wiesen ihrerseits auf eine zugespitzte Versorgungssituation in ihrem Fachbereich hin: Es mangele regional stark an Vernetzung zwischen den behandelnden Psychiater:innen. Die Kommunikation sowohl mit den Kliniken als auch mit den Institutionen der Behindertenhilfe sei anspruchsvoll und der wahrgenommene Fachkräftemangel sowie die häufigen Personalwechsel in diesem Bereich verstärken die Problematik.

Fehlendes disziplinübergreifendes Fachwissen

Die Befragten beider Gruppen schilderten mangelhaftes Fachwissen über die jeweils andere Disziplin. Dies gelte sowohl für die ambulante als auch die stationäre Versorgung und führe für die Patient:innen zu einschneidenden negativen Erfahrungen, beispielsweise zu Missverständnissen, unzureichender Vorbereitung auf Termine zur Gesundheitsversorgung sowie fremdbestimmten Entscheidungen aufgrund nicht adäquater Kommunikationsformen.

Fehlende Zeit

Beide Gruppen thematisierten ausserdem die nicht ausreichende Zeit. Denn für Patient:innen mit intellektuellen Beeinträchtigungen seien Behandlungen sowie deren Vor- und Nachbereitung mit einem höheren Zeitaufwand verbunden als für Patient:innen ohne intellektuelle Beeinträchtigungen. Es seien in der Regel mehrere Personen involviert, die Verantwortungen nicht immer geklärt und komplexe Diagnosen präsent. Zudem brauche es deutlich mehr Zeitressourcen, um zu kommunizieren und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die zusätzlichen Zeitressourcen könnten kaum abgegolten werden, da hierfür in der Regel keine Finanzierungsgrundlage bestehe. Dies mache Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen zu einer unattraktiven Patient:innengruppe.

Diskriminierung und Stigmatisierung

Die Begleitpersonen beschrieben mehrere Situationen, in denen die begleitete Person mit Diskriminierung sowie Stigmatisierung konfrontiert war. Eine Begleitperson vermutete bei einer langen Wartezeit in der Notaufnahme einen Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Patientin. Eine andere Begleitperson schilderte Situationen in der Notaufnahme, in denen «sie [die Mitarbeitenden der Notaufnahme] einem das Gefühl geben: ‹Oh Gott, da kommen die Behinderten›». Weiter berichteten die Begleitpersonen, dass Pflegefachpersonen in der stationären Versorgung aufgrund der vorliegenden Beeinträchtigung Aufgaben, die in ihren Bereich fielen, nicht mehr übernähmen. Dabei handelt es sich um Aufgaben wie Transfers ausführen, Mahlzeiten servieren oder die Patient:innen bei der Nahrungsaufnahme unterstützen.

Übernahme von Aufgaben ausserhalb des eigenen Verantwortungsbereichs

Die Begleitpersonen erzählten, dass sie bei stationären Aufenthalten von Patient:innen mit intellektueller Beeinträchtigung Tätigkeiten übernähmen, die zum Aufgabenbereich von Pflegefachpersonen zählen. So würden sie beispielsweise kommunikativ vermitteln, die Nahrungsaufnahme koordinieren und übernehmen, Transfers leisten und als Ansprechpersonen der Patient:innen fungieren. Die Begleitpersonen wussten, dass dies nicht ihre Aufgaben sind. Trotzdem übernahmen sie diese Aufgaben einerseits aufgrund der wahrgenommenen Überforderung der medizinischen Fachpersonen, andererseits aus Verpflichtungsgefühl gegenüber den Patient:innen oder damit diese weniger gestresst waren.

Personalwechsel

Die hohe Personalfluktuation sowohl im sozialen als auch im medizinischen Bereich sei in der Gesundheitsversorgung der Zielgruppe herausfordernd, wie die medizinischen Fachpersonen beschrieben. Personalwechsel führten zu Situationen, in denen sie monatelang keine Antwort auf Anfragen erhielten oder in denen die Ansprechpersonen nicht klar definiert seien. Allgemein erschweren Personalwechsel die Dokumentationslage bei dieser Patient:innengruppe. Wenn Akten beispielsweise beim Übergang von der Pädiatrie in die Erwachsenenversorgung weitergereicht würden und Angehörige als Ansprechpersonen nicht zur Verfügung ständen, fehlten häufig wichtige Informationen zu vergangenen Behandlungen.

Fehldiagnosen und nicht notwendige Hospitalisationen

Die medizinischen Fachpersonen berichteten von gehäuften Fehldiagnosen bei der Zielgruppe. Herausforderungen in der Kommunikation und oftmals unklare Symptomatiken, die teilweise fälschlicherweise der vorliegenden Beeinträchtigung zugeschrieben werden oder sich aufgrund dessen nicht in der gewohnten Weise zeigen, erschweren die Diagnosestellung. Dies führe dazu, dass diese Personen die Notaufnahme häufiger aufsuchen und wiederkehrend, meist unnötigerweise, hospitalisiert werden. Gleichzeitig berichteten verschiedene medizinische Fachpersonen davon, dass sie stationäre Aufenthalte wann immer möglich zu vermeiden suchten und stattdessen die ambulante Versorgung der Zielgruppe bevorzugten. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: weil Rückmeldungen auf Zuweisungsanfragen fehlten, um übermässigen Stress für die Patient:innen zu vermeiden und aufgrund der schwierigen Pflegesituation, wenn keine Angehörigen oder Begleitpersonen aus den Einrichtungen zur Verfügung ständen. Die Vermeidung von stationären Aufenthalten gelte insbesondere für Menschen, die zusätzlich herausfordernde Verhaltensweisen zeigten und damit Pflegefachpersonen überforderten. In gewissen Fällen führe dies zu gänzlich fehlender Betreuung und infolgedessen zu unnötig langen Spitalaufenthalten.

Fehlende zielgruppengerechte Angebote

Gemäss den medizinischen Fachpersonen fehle es an Angeboten der Gesundheitsversorgung, die auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtet sind. Dies betreffe sowohl den Bereich der Prävention, wie am Beispiel der Zahngesundheit berichtet wurde: Es bestehe begrenztes Wissen zur korrekten Mundhygiene bei den Begleitpersonen und es mangele an Angeboten der Dentalhygiene in den Institutionen. Genauso hänge die gynäkologische Vorsorge der Zielgruppe von den behandelnden Einzelpersonen und deren Ressourcen ab. Auch in der Geriatrie sei das Wissen zur Zielgruppe und die zur Verfügung stehenden Ressourcen für eine zufriedenstellende Versorgung nicht ausreichend. Ähnliches wurde aus der Psychiatrie berichtet. Auch in diesem Bereich gebe es nur begrenzt therapeutische Angebote für die Zielgruppe und selbst diese seien von den behandelnden Fachpersonen und deren Spezialisierung abhängig.

Fazit

Die aufgezeigten Stärken beleuchten bedeutsame Aspekte in der Gesundheitsversorgung von Erwachsenen mit intellektuellen Beeinträchtigungen. Jedoch sind diese stark von engagierten Einzelpersonen abhängig und werden in ihrer Anzahl von den berichteten Herausforderungen übertroffen. Letztere sind vielfältig und weisen auf grundlegende Missstände im Schweizer Gesundheitssystem hinsichtlich einer bedürfnisgerechten Versorgung der hier fokussierten Zielgruppe hin. Einstimmig mit der Literatur (z. B. Brem & Stockmann, 2020; Stiftung Dialog Ethik, 2023; VBMB, 2022) ist besonders hervorzuheben, dass das fehlende disziplinenübergreifende Fachwissen verunsichert und überfordert, obwohl es für eine optimale Gesundheitsversorgung unumgänglich wäre. Zudem führt die ungeklärte Koordination der Gesundheitsversorgung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen zu unnötigen Behandlungen, verpassten Terminen und zu erhöhtem Stress für alle Beteiligten. Handlungsbedarf besteht einerseits darin, interdisziplinäre Weiterbildungsangebote zu etablieren, die die Bereiche Medizin, Pädagogik, Psychologie und Pflege unter Berücksichtigung der gesundheitsspezifischen Besonderheiten intellektueller Beeinträchtigungen adressieren. Andererseits ist ein mit ausreichenden Ressourcen ausgestattetes zentrales Case Management erforderlich, das die Gesundheitsversorgung koordiniert und nicht auf unentgeltliche Leistungen von Angehörigen oder Begleitpersonen angewiesen ist. Mit Blick auf eine zukünftig optimierte Versorgung dieser Personengruppe sind ergänzend auch innovative Ansätze wie etwa das Task Shifting[1] dringend zu prüfen. Insgesamt bedarf es im Bereich der Gesundheitsversorgung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die in Institutionen leben, dringend gezielter Projekte, struktureller Anpassungen und nachhaltiger Strategien, um eine bedarfsgerechte, fachlich fundierte und koordinierte Versorgung sicherzustellen.

Dr. Natalie Zambrino
Dozentin & Projektleiterin

Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

natalie.zambrino@hslu.ch

Dr. Larissa M. Sundermann
Dozentin & Projektleiterin

Hochschule Luzern – Wirtschaft

larissa.sundermann@hslu.ch

Prof. Dr. Stefania Calabrese
Professorin und Verantwortliche Kompetenzzentrum Behinderung und Lebensqualität

Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

stefania.calabrese@hslu.ch

Literatur

Brem, F. & Stockmann, J. (2020). Medizinische Betreuung Erwachsener mit geistiger Behinderung – Teil 1. Schweizerisches Medizin-Forum 20 (41–42), 566–569.

Stiftung Dialog Ethik (2023). Inklusive Medizin. Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in der ambulanten und stationären medizinischen Behandlung, Pflege und Betreuung. https://gesundheitskompass.ch/wp/wp-content/uploads/2025/03/Inklusive_Medizin_Bericht_PDF.pdf

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention, BRK) vom 13. Dezember 2006, durch die Schweiz ratifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit dem 15. Mai 2014, SR 0.109.

Verein bedürfnisgerechte medizinische Versorgung für Menschen mit Behinderung (VBMB) (2022). Resolution. 10 Forderungen für eine angemessene Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderung – jetzt! https://www.vbmb.ch/userfiles/downloads/dokumente/Resolution_D_final_V3a.pdf

  1. Task Shifting bedeutet, dass spezifische Leistungen von einer Professionsgruppe auf eine andere übertragen werden, von Pflegefachpersonen auf Begleitpersonen im vorliegenden Beispiel.