Einblicke in die Mosaikschule Munzinger
Zusammenfassung
Wie könnte eine Schule von morgen aussehen? Mit dieser Frage im Hinterkopf besuchten wir im April dieses Jahres die Mosaikschule Munzinger. Das Schulhaus Munzinger in Bern ist seit dem Schuljahr 2014/2015 eine Mosaikschule mit zwölf alters- und leistungsdurchmischten Klassen. Jugendliche von der 7. bis zur 9. Klasse besuchen hier gemeinsam den Unterricht. In der Woche der offenen Tür durften wir uns selbst ein Bild von der Mosaikschule machen. An einem Dienstagvormittag besuchten wir eine SOL-Unterrichtseinheit sowie eine Deutschstunde, sprachen mit Eltern und führten anschliessend ein Interview mit der Schulleitung. Am Nachmittag hatten wir die Gelegenheit, mit einer Lehrperson, einem Schulischen Heilpädagogen sowie mit zwei Schülerinnen und einem Schüler zu sprechen.
Résumé
À quoi pourrait ressembler l’école de demain ? C’est avec cette question en tête que nous avons visité l’école secondaire de Munzinger à Berne en avril. Avec ses douze classes d’âge et de niveaux mélangés, cet établissement est une « école mosaïque » depuis la rentrée scolaire 2014/2015, c’est-à-dire que les jeunes de la 7e à la 9e année (équivalent à la 9e à la 11e Harmos) y suivent les cours en commun. Le mardi de la semaine portes ouvertes, nous avons pu assister à une unité d’apprentissage autonome et à un cours d’allemand. Cette visite a été l’occasion de nous entretenir avec des parents, une enseignante régulière, un enseignant spécialisé et trois élèves de l’école. Nous avons également mené une interview avec la direction de l’école.
Keywords: Inklusion, inklusiver Unterricht, Heterogenität, Lernen, Kooperation, multiprofessionelle Zusammenarbeit / inclusion, enseignement inclusif, hétérogénéité, acquisition de connaissances, coopération, coopération multiprofessionnelle
DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-05-03
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 05/2025
In der Schweiz gibt es 25 Mosaik-Sekundarschulen. Eine davon ist die Schule Munzinger in Bern. Dass sie zur Mosaikschule wurde, liegt unter anderem am sogenannten Integrationsartikel des Kantons Bern, der im Jahr 2014 eingeführt wurde. Dieser Integrationsartikel (Art. 17 Volksschulgesetz, VolG) verlangt, dass möglichst alle Kinder, auch solche mit besonderem Förderbedarf, in derselben Klasse unterrichtet werden. Weil die Schulleitung der Schule Munzinger nicht alle Jugendlichen der ehemaligen Klasse für besondere Förderung (KbF) der Realschule zuteilen wollte, entstand die Idee, alters- und niveaudurchmischte Klassen zu bilden. Zudem waren Ergebnisse aus der Lernforschung ausschlaggebend für die Einführung des Mosaik-Modells. Diese Ergebnisse zeigen, dass wertschätzendes Feedback sowie gute zwischenmenschliche Beziehungen entscheidend sind für den Lernerfolg (Hattie, 2015) und dass ein zu früher Unterrichtsbeginn bei Jugendlichen Schlafdefizite auslösen kann (Vollmer & Randler, 2015).
Frau Muntwyler (Schulleitung): Unser Antrieb war es zu zeigen, was innerhalb der normalen Schulstrukturen möglich ist. Wir wollten die Grenzen ausloten, ohne Zusatzbudget.
Die Schule Munzinger und Mosaikschulen allgemein möchten die Lernmotivation und die Selbstständigkeit von Schüler:innen fördern. Die Lehrpersonen und die Schulischen Heilpädagog:innen (SHP) unterrichten in altersdurchmischten Klassen und fördern die Jugendlichen gezielt in ihren unterschiedlichen Talenten und Interessen. Zudem integrieren die Klassen Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf. Die Buchstaben MOSAIK stehen für Motivation, Offenheit, Selbstwirksamkeit, Altersdurchmischung, Individualität und Kooperation. Das Konzept der Mosaikschule Munzinger orientiert sich an sieben tragenden Säulen (vgl. Abb. 1), auf die wir im Folgenden näher eingehen werden.
In beiden Unterrichtseinheiten, die wir besuchen, fällt es uns schwer, das Alter oder Leistungsniveau der Schüler:innen zu erkennen. Die Schulleiterin erzählt uns, dass die Schulleitung vor Beginn eines Schuljahrs die neuen Schüler:innen in die verschiedenen Klassen einteilt. Ziel sind möglichst ausbalancierte Klassen bezüglich Alter, Geschlecht, Leistungsniveau und Förderbedarf. Die Schulleitung sieht die Durchmischung als Bereicherung sowie als Chance, positiv mit Heterogenität umzugehen. Letzteres zeigt sich zum Beispiel darin, dass in alters- und niveaugemischten Klassen das Konkurrenzverhalten zwischen den Jugendlichen abnimmt. Die Schüler:innen sehen von Anfang an, dass nicht alle in ihrer Klasse die gleichen Fähigkeiten haben und die Lehrpersonen dies auch nicht erwarten. Wenn ältere und jüngere Jugendliche täglich gemeinsam arbeiten, haben sie die Möglichkeit, Freundschaften aufzubauen. Dies kann dazu beitragen, Übergriffe älterer Schüler:innen auf jüngere in den Pausen oder auf dem Schulweg zu verhindern. Zudem haben die Stigmatisierungen sowohl der leistungsstärkeren als auch der leistungsschwächeren Schüler:innen abgenommen.
Frau Muntwyler (Schulleitung): An unserer Schule herrscht ein gutes Klima und wir haben verhältnismässig wenig Probleme mit Mobbing oder Gewalt.
9. Klässlerin: Ein Schüler mit starkem ADS gehört in der Mosaikschule dazu. Er bleibt hier, er ist einer unserer Schüler, genau wie alle anderen. Vielleicht braucht er mehr Unterstützung. Aber er ist ein ganz ‹normaler› Mensch und kann auf eine ganz ‹normale› Schule gehen. Ich finde das schön, weil ich es nicht richtig finde, jemandem zu sagen, dass er hier nicht hingehört.
Frau Muntwyler erzählt uns, dass auch an ihrer Schule die 9. Klasse Real früher ein ‹Brandherd› war. Die Jugendlichen erhielten durch die Selektion das Signal: «Du genügst nicht.» In der Folge waren die Lehrpersonen drei Jahre lang damit beschäftigt, die Schüler:innen wieder aufzubauen. Mit den niveau- und altersdurchmischten Klassen gibt es dieses Problem nicht mehr. Die Jugendlichen lernen vielmehr, dass sie mit ihren Fähigkeiten anderen Schüler:innen helfen können. Der gute Klassenzusammenhalt zeigt sich zum Beispiel darin, dass alle Schüler:innen einer Klasse lautstark applaudieren, wenn eine Mitschülerin verkündet, sie habe eine Lehrstelle erhalten.
Durch die Alters- und Niveaudurchmischung ist eine Ab- oder Aufstufung leichter. Schüler:innen können beispielsweise bei einem Wechsel von der Real- in die Sekundarstufe in demselben Schulhaus, in derselben Klasse und bei denselben Lehrpersonen bleiben. Es ist auch möglich, in einzelnen Fächern den Lernstoff einer höheren Stufe zu bearbeiten.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Jugendlichen einander helfen, auch über die Schulzeit hinaus.
9. Klässlerin: Oft kommen mir die Erlebnisse der jüngeren Schüler:innen bekannt vor, weil ich sie selbst erlebt habe.
9. Klässlerin: Es ist als 7. Klässlerin zu Beginn schwierig, den eigenen Platz zu finden, wenn man in eine Klasse kommt, in der bereits Freundschaftsgruppen existieren.
In den Schulzimmern fällt uns sofort die unübliche Bestuhlung auf: Die Pulte sind nicht etwa alle nach vorne ausgerichtet, sondern einige Pulte stehen sich gegenüber, manche der runden Arbeitstische haben vier Stühle und einige Arbeitsplätze befinden sich auf der Fensterbank. Jeweils zwei Klassen sind räumlich miteinander verbunden. Zwischen den beiden Zimmern liegt ein Gruppenraum, den die Lehrpersonen und Schüler:innen beider Klassen je nach Bedarf mitbenutzen können. Er ist unterteilt durch ein langgezogenes Regal. Verschieden grosse Arbeitsplätze sowie ein Sofa stehen den Jugendlichen zur Verfügung.
In der Mosaikschule Munzinger bilden jeweils zwei Klassen zusammen eine Doppelklasse. Zwei Lehrpersonen führen die Klasse, begleitet von einer heilpädagogischen Fachperson. Diese arbeitet mit den Schüler:innen meistens in der Klasse, nur sporadisch separativ. So kommt es weniger zu Stigmatisierungen. Diese Konstellation ermöglicht eine grosse Kontinuität: Weniger Lehrpersonen bedeuten auch weniger Gruppenwechsel und einen regelmässigen Stundenplan (90-Minuten-Rhythmus), was insgesamt zu mehr Ruhe führt. Weil Lehrpersonen und Schüler:innen viel Zeit gemeinsam verbringen, ist die Beziehungsgestaltung einfacher.
Herr Lehmann (SHP): Als Heilpädagoge arbeite ich in der Klasse mit. Ich bin Ansprechperson für alle Schüler:innen, nicht nur für diejenigen mit besonderem Förderbedarf. Ich bin eher eine Art Lerncoach für alle Jugendlichen.
9. Klässlerin: Wir merken täglich, wie sich Lehrpersonen für uns engagieren. Es ist ihnen wichtig, dass es uns Schüler:innen gut geht. Die Lehrpersonen nehmen unser psychisches Wohlbefinden ernst. Sie gehen auf die einzelnen Bedürfnisse ein. Das schätzen wir sehr.
Um 8.00 Uhr trudeln die ersten Jugendlichen zum freiwilligen ‹Aufstarten› ein. Diese Phase des Ankommens dient dazu, dass die Schüler:innen in einen persönlichen Kontakt zur Lehrperson treten können. Pro Doppelklasse ist immer eine Lehrperson vor Ort. Inhalt eines Gesprächs kann zum Beispiel eine Aufgabe sein, die sie nicht verstanden haben. Manche Jugendlichen kommen aber auch, um Aufträge aufzuarbeiten oder einfach zum Plaudern oder Gamen.
Nach dem ‹Aufstarten› um 8.30 Uhr sitzen alle Jugendlichen im Schulzimmer. Die erste Lektion beginnt ruhig und geordnet, weil schon vorher eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre geherrscht hat.
Herr Lehmann (SHP): Die Phase des ‹Aufstartens› nutze ich als Möglichkeit für Einzelgespräche oder im Sinne eines Nachteilsausgleichs, um etwas mündlich statt nur schriftlich zu erklären. Bei manchen Jugendlichen bewährt es sich, bestimmte Themen vorzubesprechen, bevor sie in der Klasse eingeführt werden.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Für die Erwachsenen kann es unangenehm sein, erst um 8.30 Uhr mit dem Unterricht zu starten. Ein früherer Beginn ist für die Jugendlichen aber nicht wirksam. Also müssen wir damit aufhören.
7. Klässlerin: Von mir aus könnte die Schule noch später beginnen, dafür am Nachmittag länger dauern. Am Morgen bin ich oft zu müde, um mich schon richtig konzentrieren zu können.
Als wir den SOL-Unterricht besuchen, arbeitet die Mehrheit der Schüler:innen mit einem Tablet; einige allein, andere in Gruppen, wieder andere nehmen die Hilfe der Lehrperson in Anspruch. Einige tragen Kopfhörer. Ein Jugendlicher nimmt gerade ein Modellherz auseinander, ein anderer bereitet eine PowerPoint-Präsentation vor. Es fällt uns auf, dass die Schüler:innen sehr ruhig und konzentriert an ihren Aufträgen arbeiten. Die Lehrperson geht durch das Schulzimmer und beantwortet Fragen.
In neun Unterrichtseinheiten pro Woche bearbeiten die Schüler:innen im Rahmen des Selbstorganisierten Lernens (SOL) verschiedene Aufträge in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch, Mathematik sowie Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG). Sie können die Reihenfolge, den Ort und die Personen, mit denen sie an den Aufträgen arbeiten, selbst wählen. Auch den Zeitpunkt, wann sie eine Prüfung schreiben, können sie im Rahmen eines gewissen Zeitfensters selbst bestimmen. Damit können sie ihr Lernen individuell an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen.
Frau Fischer (Lehrerin): Es ist wichtig, dass die Schüler:innen beim SOL nicht nur Aufträge abarbeiten. Es sollen Aufgaben sein, die verschiedene Niveaus ansprechen. Die Plattform LearningView[1] unterstützt dies, da ganze Unterrichtseinheiten konzipiert und im Team geteilt werden können. Ich bereite nun ganze Einheiten vor und nicht mehr nur eine Woche.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Im SOL zeigen sich Problemzonen sofort. Denn die Jugendlichen können sich nicht in der Klasse verstecken. Man sieht sofort, wenn Jugendliche nichts machen. Dann kann man mit ihnen schauen, ob es zu einfach/zu schwierig oder zu wenig/zu viel ist. Jugendliche lernen so, Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu arbeiten. Coaching-Gespräche mit der Lehrperson und der heilpädagogischen Fachperson helfen Schüler:innen, die Mühe haben mit SOL. Es geht darum, zusammen ein Problem zu erkennen und eine Lösung zu suchen.
Herr Lehmann (SHP): Manche Schüler:innen muss ich bei der Planung des SOL unterstützen. Oft schwimmen sie zu Beginn einfach mit. Aber das ist immer noch besser, als alles vorgesetzt zu bekommen.
Die Altersdurchmischung unterstützt das SOL. Die intrinsische Motivation nimmt zu, denn die Jugendlichen wissen, dass sie für sich selbst arbeiten. Ziel ist es, dass die Jugendlichen gegenüber dem Lernen langfristig eine positive Einstellung entwickeln.
9. Klässlerin: SOL ist eine grosse Herausforderung und erfordert viel Disziplin. Uns ist aber bewusst, wie wichtig diese Kompetenzen sind und dass wir später viel davon profitieren können.
Jeweils vier bis fünf Schüler:innen einer Klasse bilden eine Lerngruppe, die vom ältesten Gruppenmitglied geleitet wird. Die Jugendlichen arbeiten mehrmals pro Woche in dieser Lerngruppe und unterstützen einander beim Lösen von Aufgaben. Auch diese Massnahme fördert den Zusammenhalt unter den Jugendlichen.
Herr Picciati (Schulleitung): Die Jugendlichen wissen, dass sie zuerst zur Lerngruppenleitung gehen, bevor sie die Hilfe der Lehrperson suchen. Dies entlastet die Lehrpersonen.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Als Lerngruppenchefs lernen die Jugendlichen, eine Gruppe zu führen. Sie übernehmen Verantwortung, manchmal auch für schwierige Mitschüler:innen.
Frau Fischer (Lehrerin): Die älteren Schüler:innen sind immer sehr besorgt um die jüngeren Gruppenmitglieder und stehen ihnen auch in Konflikten bei.
9. Klässlerin (Lerngruppenchefin): Manchmal habe ich Mühe, meine eigenen Arbeiten zu erledigen. Denn ich fühle mich für meine Gruppenmitglieder verantwortlich und muss ihnen oft helfen. Als Lerngruppenchefin gibt man den neuen Schüler:innen Stabilität.
7. Klässlerin: Als jüngstes Mitglied fühle ich mich in der Lerngruppe besser akzeptiert als in der Klasse.
Drei Schüler:innen stellen uns ein aktuelles Projekt vor: Sie durften einen Rückzugsort für sich und ihre Mitschüler:innen konzipieren und umsetzen. Mithilfe ihrer Lehrpersonen in Werk- und Textilhandarbeit sowie professioneller Schreiner:innen haben sie eine Galerie in eine ehemalige Bibliothek im Schulhaus gebaut. Hier können die Jugendlichen an einem langen Tisch arbeiten und sich auf Hockern oder im Hängenetz entspannen. Unterhalb dieser Galerie gibt es sogenannte ‹Waschmaschinen›, die mit Kissen und Decken ausstaffiert werden sollen. Falls Schüler:innen überstimuliert sind, können sie sich in eine dieser Waschmaschine zurückziehen.
Das Lernjournal ist eine Art Agenda, mit der die Schüler:innen ihren Tag planen. Sie notieren darin ihre SOL-Aufträge und schätzen ab, wie lange sie dafür brauchen. Ausserdem führen sie in der Agenda Fehleranalysen durch. Wenn sie eine Leistungskontrolle korrigiert zurückerhalten, reflektieren sie ihre Fehler anhand der folgenden Schritte: 1. Was war der Fehler? 2. Warum habe ich diesen Fehler gemacht? 3. Wie kann ich ihn vermeiden?
9. Klässlerin: Die Fehleranalyse ist sehr nervig und aufwendig. Wenn ich eine Leistungskontrolle zurückerhalte, möchte ich dieses Thema abschliessen und mich nicht mit meinen Fehlern auseinandersetzen. Aber eigentlich bringt die Analyse viel. Denn ich weiss danach, was ich das nächste Mal besser machen kann.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Lernzielkontrollen sollen kein Abschluss sein, sondern eine Gelegenheit, aus Fehlern zu lernen. Lerninhalte sollten aufgearbeitet und wiederholt werden.
Wenn die Schüler:innen gut arbeiten, dürfen sie einen Antrag auf einen sogenannten Lernpass stellen. Dieser ermöglicht es ihnen, Aufträge auch ausserhalb des Klassenzimmers zu erledigen, zum Beispiel im Gruppenraum, in der Lernbibliothek oder auf dem Gang.
Eltern können nicht frei wählen, ob ihr Kind der Mosaikschule Munzinger zugeteilt wird oder nicht. Wie die mehrfach durchgeführten Evaluationen zeigen, sind die Eltern der Kinder, die diese Schule besuchen, aber grösstenteils zufrieden mit dem Mosaikmodell (Sahli Lozano et al., 2019). Eine Mutter erzählt uns, dass es gerade zu Beginn Vertrauen und Gelassenheit gebraucht habe. Inzwischen schätzt sie das Gesamtpaket dieses Modells. Sie hat erkannt, dass nicht nur die Noten wichtig sind, sondern auch soziale und überfachliche Fähigkeiten.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Schulen haben Angst vor Veränderungen und vor den Reaktionen der Eltern. Dadurch lassen sie sich bremsen. Wichtig ist darum, gut mit den Eltern zu kommunizieren. Deshalb gibt es die Woche der offenen Tür. Wir müssen zeigen, was wir an der Schule machen und begründen, wieso wir etwas auf diese Weise tun. Viele Eltern sind kritisch, lassen die Schule aber machen und vertrauen uns.
Abschliessend folgen Zukunftsgedanken aus den Gesprächen mit den Beteiligten der Mosaikschule Munzinger. Die Schulleitung sieht die Schule von morgen als Ort, an dem umgesetzt wird, was für Schüler:innen wirksam ist. Um neue Konzepte und Ideen anzuwenden, braucht es eine intensive Vorbereitung, Weiterbildungen und den Mut, laufend Anpassungen vorzunehmen. Ein aktueller Entwicklungsschwerpunkt der Schule Munzinger ist die ziffernfreie Beurteilung. Durch das SOL erfolgt die Bewertung der Leistungskontrollen bereits produktorientiert. Ein Raster, das den individuellen Lernzuwachs und die Entwicklung der Kompetenzen aufzeigt, unterstützt die Jugendlichen beim Lernen und fördert ihre Motivation.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Veränderungen sind notwendig. Dabei unterstützen wir uns gegenseitig im Team.
In einer Schule der Zukunft arbeiten multiprofessionelle Teams eng zusammen. Die Teammitglieder ergänzen einander, geben sich Rückmeldungen und stärken sich gegenseitig den Rücken. Die Klassenzimmer sind offene Räume, in denen Lehrpersonen und Heilpädagog:innen die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Kooperation ist zentral – sowohl zwischen Lehrpersonen als auch unter Schüler:innen. Das Mosaikmodell bietet viele Möglichkeiten, eng zusammenzuarbeiten: Die Lerngruppen sowie das niveau- und altersdurchmischte Lernen etwa sollen die Kooperation unter Schüler:innen fördern. Das Format der Doppelklassen und die Plattform LearningView ermutigen Lehrpersonen, Materialien und Erfahrungen auszutauschen. Dadurch werden auch frisch ausgebildete Lehrkräfte entlastet.
9. Klässlerin: Im Munzinger Schulhaus kennen sich alle. Es spielt keine Rolle, in welcher Stufe andere Schüler:innen sind oder welches Leistungsniveau sie haben. Das Schulhaus ist sehr familiär.
Herr Lehmann (SHP): Die Zusammenarbeit im Team erfordert von allen Beteiligten eine grosse Offenheit und Vertrauen. Unser Zusammenhalt hält das System am Laufen.
In einer Schule von morgen steht das individuelle Lernen im Zentrum. Lehrpersonen und Heilpädagog:innen anerkennen die Leistung aller Schüler:innen. Das Mosaikmodell ermöglicht es Lehrpersonen, Übergänge flexibel zu gestalten und Jugendlichen eine Auf- oder Abstufung zu erleichtern, ohne dass diese mit sozialen Veränderungen einhergeht. Schüler:innen können beispielsweise auch in einem Unterrichtsfach die Prüfung einer höheren Stufe schreiben und erfahren dann, ob sie das Niveau für diese Stufe erreicht haben oder nicht. Die Jugendlichen lernen gemeinsam. Es kommt nicht darauf an, wer Sekundar- und wer Realschüler:in ist und wer besonderem Förderbedarf hat. Alle Jugendlichen sind Teil einer (Lern-)Gemeinschaft, so wie sie dies auch in ihrer Freizeit sind.
Frau Muntwyler (Schulleitung): In einer Schule der Zukunft stehen das Lernen und das Kind radikal im Zentrum. Nicht die Schüler:innen müssen sich der Schule anpassen, sondern die Schule muss sich den Schüler:innen anpassen.
Herr Lehmann (SHP): Partizipation ist das, was alle Jugendlichen möchten, egal ob sie reduzierte Lernziele haben oder nicht. Jugendliche, die aufs Gymnasium gehen, treffen sich auch nach ihrer Schulzeit im Munzinger mit Jugendlichen, die eine EBA-Lehre[2] machen. Die Teilhabe aller Jugendlichen wird durch unser Schulsystem gestärkt.
Was wünschen sich die Jugendlichen für eine Schule von morgen? Sie antworten uns, sie würden gerne in hellen, einladenden und modernen Klassenzimmern lernen, mit gut funktionierenden technischen Hilfsmitteln. Auch sollten die Räume gross sein und mehr Platz bieten für individuelle Rückzugsorte zum Lernen. Schüler:innen wünschen sich, vermehrt alltagsrelevantes Wissen zu lernen und sich intensiver mit politischen und rechtlichen Themen auseinanderzusetzen. Sie würden gerne lernen, wie sie eine Steuererklärung ausfüllen, wie Abstimmungen funktionieren und was sie tun können, wenn sie Schulden haben. Eine Schule von morgen sollte die Jugendlichen dabei unterstützen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.
7. Klässlerin: Nicht alle Jugendlichen haben Eltern, die ihnen alltagsrelevantes Wissen vermitteln. Deshalb fände ich es wichtig, dass wir dies in der Schule lernen.
9. Klässler: Ich wohne zum Beispiel in einem Heim. Wer soll mir das dort beibringen?
Nach einem spannenden Tag mit vielen Eindrücken und angeregten Gesprächen verlassen wir das Schulhaus Munzinger. Wir haben eine Vorstellung davon erhalten, wie eine Schule von morgen aussehen könnte.
Frau Fischer (Lehrerin): Wir sind eine Schule in Entwicklung. Wir nehmen die Bedürfnisse unserer Schüler:innen wahr und versuchen, uns weiterzuentwickeln.
Frau Muntwyler (Schulleitung): Wir bemühen uns, neue Wege zu gehen und uns ständig zu verbessern – aber auch wir sind stetig Lernende und können kein perfektes Modell zeigen.
Tatjana Burri Wissenschaftliche Assistentin SZH/CSPS | Milena Gautschi Wissenschaftliche Mitarbeiterin SZH/CSPS | Helena Sallmann Praktikantin SZH/CSPS | Silvia Schnyder Wissenschaftliche Mitarbeiterin SZH/CSPS |
Hattie, J. (2015). Visible Learning – Lernen sichtbar machen (3., erw. Aufl.). Schneider Hohengehren.
Sahli Lozano, C., Ammann, C. & Schluchter, T. (2019). Befragung Mosaikschule Munzinger 2019. https://www.phbern.ch/sites/default/files/2020-02/abschliessende-befragung-sol-projekt_20200113_0.pdf
Volksschulgesetz (VSG) vom 19.03.1992, in Kraft seit: 01.08.1993, BSG 432.210. https://www.belex.sites.be.ch/app/de/texts_of_law/432.210/versions/1681?all_languages=true&diff=split
Vollmer, C. & Randler, C. (2015). Morningness und Schulleistung. Die berufsbildende Schule (BbSch), 67 (11/12), 381–383.
LearningView ist eine von der PH Schwyz entwickelte Plattform, auf der Schüler:innen mit individuellen Arbeitsplänen arbeiten, Aufträge erledigen und Feedback der Lehrpersonen direkt einsehen können. Lehrpersonen wiederum können den Arbeitsstand ihrer Schüler:innen verfolgen und Materialien mit anderen Lehrpersonen austauschen. Die Plattform erlaubt es den Lehrpersonen ausserdem, den Unterricht multimedial mit Lernvideos oder Audios zu gestalten. ↑
Die zwei-jährige berufliche Grundbildung führt zu einem eidgenössisch anerkannten Berufsattest (EBA). EBA-Berufslehren richten sich hauptsächlich an Jugendliche, die schulische Schwierigkeiten haben und praktisch begabt sind. Die berufliche Praxis lernen die Jugendlichen in einem Lehrbetrieb und die Theorie an einem Tag pro Woche an der Berufsfachschule. ↑