Bildungsgerechtigkeit erhöhen: Chancen der internationalen OECD-Studie IELS bei fünfjährigen Kindern

Andrea Lanfranchi, Sihna Lind, Kathrina Walther, Fabio Sticca, Dennis Hövel und Ursula Fischer

Zusammenfassung
In den ersten fünf Lebensjahren erwerben Kinder zentrale kognitive und sozial-emotionale Fähigkeiten, die sie in ihrem weiteren Leben stark prägen. Die OECD-Studie IELS soll Massnahmen identifizieren, die das frühe Lernen wirksam fördern und die Schulen präventiv entlasten. Für die heterogenen Schulen in der Schweiz könnte das Erkennen von frühen Lernrückständen sowie die gezielte Unterstützung der Kinder und ihrer Familien eine grosse Chance bieten, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Die Piloterhebung zur Studie brachte erste wichtige Erkenntnisse dazu, wie eine solche Studie in der Schweiz umgesetzt werden kann.

Résumé
Au cours de leurs cinq premières années de vie, les enfants développent des compétences cognitives et socio-émotionnelles essentielles qui influencent profondément leur parcours. L’étude IELS de l’OCDE vise à identifier des mesures efficaces pour favoriser l’apprentissage précoce et alléger la charge des écoles de manière préventive. Dans le contexte hétérogène des écoles suisses, la détection précoce des retards d’apprentissage et le soutien ciblé des enfants et de leurs familles constituent une opportunité précieuse pour renforcer l’équité en matière d’éducation. L’enquête pilote menée dans le cadre de cette étude a permis d’obtenir des premiers enseignements importants quant à la mise en œuvre d’une telle étude en Suisse.

Keywords: frühe Bildung, sozial-emotionale Entwicklung, Kindergarten, Chancengerechtigkeit, Wohlbefinden, OECD / éducation précoce, développement socio-émotionnel, école enfantine, équité des chances, bienêtre, OCDE

DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-03-07

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 03/2025

Creative Common BY

Einleitung

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat 2018 die International Early Learning and Child Well-being Study (IELS) ins Leben gerufen. Die Studie hat zum Ziel, Daten über das frühe Lernen, die sozial-emotionalen Fähigkeiten, den familiären Hintergrund und das Bildungsumfeld von fünfjährigen Kindern zu erheben. Nach einer ersten Erhebung in drei Ländern (OECD, 2020) ist Anfang 2024 eine Pilotstudie mit acht Ländern gestartet, darunter auch die Schweiz. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat sich im Sommer 2023 an die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH) gewendet, mit dem Auftrag, eine Schweizer Stichprobe zusammenzustellen und mit den Erhebungen bei 400 fünfjährigen Kindern zu starten. Seit Juni 2024 ist die Erhebung der Pilotstudie abgeschlossen. Sie ergab wichtige Erkenntnisse darüber, welche Herausforderungen sich bei gross angelegten Studien im Kindergartenalter stellen. Nach der Pilotstudie 2024 wird die OECD im Jahr 2025 die Hauptstudie durchführen. Es werden sich rund zehn Länder beteiligen. Die Schweiz hat auf eine Teilnahme an der Hauptstudie verzichtet und damit auch auf die Gelegenheit, mehr über die Bildungsgerechtigkeit in der frühen Förderung zu erfahren.

Das Problem der ungleichen Verteilung von Bildungschancen

Die internationale Studie PISA 2022 hat ein weiteres Mal gezeigt, dass die Schweiz zu den Ländern gehört, in denen die soziale Herkunft der Schüler:innen deren Schulleistungen wesentlich beeinflusst (OECD, 2023). Während zum Beispiel in Norwegen über 12 Prozent der sozioökonomisch benachteiligten 15-Jährigen Mathematikleistungen im obersten Quartil aufweisen, sind es in der Schweiz lediglich 8 Prozent (Schleicher, 2023). Berücksichtigt man zudem die Leistungsbereiche Lesen und Naturwissenschaften, gibt es unter den 81 Ländern nur zehn, in denen ein hohes Mass an sozioökonomischer Fairness gewährleistet ist. Höchstens 7 Prozent der Varianz der Leistungen von Schüler:innen können auf den sozioökonomischen Status zurückgeführt werden (ebd., S. 19). Die Schweiz gehört nicht zu diesen zehn Ländern, im Gegenteil: Sie gehört zu den Ländern, in denen der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und den Leistungen der Schüler:innen besonders stark ausgeprägt ist. Mindestens 20 Prozent der Varianz lassen sich aus sozioökonomischen Unterschieden erklären (ebd., S. 19).

Neben den Unterschieden zu anderen Ländern bestehen innerhalb der Schweiz zudem kantonale Unterschiede. So weist zum Beispiel der Kanton Tessin im Vergleich zu anderen Kantonen eine höhere Bildungsgerechtigkeit auf: Die Differenz zwischen den leistungsschwächsten und den leistungsstärksten Schüler:innen ist im Tessin sehr gering (Ambrosetti & Salvisberg, 2023). So beträgt der Punkteunterschied zwischen dem untersten und dem obersten Leistungsquartil im Fach Mathematik in der Gesamtschweiz 117 Punkte, im Tessin jedoch nur 86 Punkte. Gleiches ist im Lesen und in den Naturwissenschaften zu beobachten. Auch in Bezug auf die Fremdsprachigkeit fällt das Tessin positiv auf. Sprechen Schüler:innen zu Hause eine andere Sprache als in der Schule, erreichen sie in Mathematik 490 Punkte, während Nicht-Fremdsprachige 520 Punkte erreichen, also um 30 Punkte besser abschneiden. In der Gesamtschweiz beträgt diese Differenz 63 und in der OECD 43 Punkte (Ambrosetti & Salvisberg, 2023). Dieses Ergebnis deutet auf eine grössere soziale Gerechtigkeit im Tessiner Bildungssystem hin, und zwar nicht nur im Vergleich mit dem Rest der Schweiz, sondern auch mit den Durchschnittswerten der OECD.

Die erfreuliche Bilanz des Kantons Tessin erklärt sich hauptsächlich durch dessen langjährige Bemühungen, soziokulturelle Selektionsmechanismen abzubauen. Darunter fallen etwa die Investitionen in den Bereichen der schulischen Integration und der vereinheitlichten Sekundarstufe I sowie die langjährige Besonderheit des Kindergartenbeginns im 3. Lebensjahr (Lanfranchi, 2002). Die entscheidenden Weichen des Lernerfolgs werden entsprechend weit vor dem Schulbeginn gestellt. So berichten Skopek & Passaretta (2020), dass zwei Drittel der Leistungsunterschiede in der Schule durch Herkunftsunterschiede erklärt werden können, die während der ersten sechs Lebensjahre entstehen. Zwischen 50 und 80 Prozent der sprachlichen Leistungsunterschiede am Ende der Grundschulzeit können durch Lücken erklärt werden, die vor der formalen Einschulung entstanden sind (Passaretta et al., 2022). Umso wichtiger ist es, Risiken früh zu erkennen und auf sie zu reagieren.

Hintergründe von IELS und methodisches Vorgehen

Vor sechs Jahren führte die OECD eine erste internationale Pilotstudie des frühen Lernens und des Wohlbefindens von fünfjährigen Kindern in England, Estland und den USA durch (OECD, 2020). Diese erste Erhebung zeigte, dass die Unterschiede zwischen Kindern aus sozial privilegierten und sozial benachteiligten Familien vor allem in den sprachlichen und mathematischen Kompetenzen erheblich sind und ungefähr einem Lernjahr entsprechen. In den sozial-emotionalen Kompetenzen sind die Unterschiede zwar moderater, aber immer noch signifikant. Hauptergebnisse aus der ersten Phase der Studie zeigen, dass Fünfjährige aus sozial unterprivilegierten Familien seltener eine Kita besuchen, seltener an ausserfamiliären Aktivitäten wie Schwimmen oder Pfadi teilnehmen und nur halb so viele Kinderbücher zur Verfügung haben wie Kinder aus wohlhabenderen Familien (Schleicher, 2020).

Mit einer zweiten Piloterhebung im Jahr 2024 sollte nun die Repräsentativität der Ergebnisse erhöht und die eingesetzten Messinstrumente weiterentwickelt und validiert werden. Im Fokus stand die Gewinnung von Daten, auf deren Basis die teilnehmenden Länder Massnahmen einleiten können, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Vorbereitungen für die IELS-Hauptstudie laufen seit Frühjahr 2024, die Durchführung ist für Anfang 2025 geplant.

Die Vorbereitung zur Piloterhebung begann 2023 mit acht Ländern (Aserbaidschan, Brasilien, England, Flandern [Belgien], Malta, Niederlande, Schweiz, Vereinigte Arabische Emirate). In der Schweiz hat der Kanton Aargau an der Piloterhebung teilgenommen. Verschiedene Faktoren sprachen für diese Auswahl: die Grösse des Kantons mit einer für das Studiendesign ausreichenden Anzahl Kindergärten, einer reichhaltigen Diversifizierung zwischen urbanen und ruralen Regionen, die starke Heterogenität in den Schulen mit Anteilen fremdsprachiger Kinder von über 40 Prozent (Kanton Aargau, 2023) und das Erkenntnisinteresse des Kantons.

Erfasst wurden bei den Kindern ausgewählte Schlüsselaspekte des frühen Lernens, welche die Entwicklungsverläufe der Kinder beeinflussen und sich unabhängig voneinander auswirken: Vorläuferfertigkeiten des Lesens und des Rechnens, Fähigkeit zur Selbstregulation und sozial-emotionale Kompetenzen. Im Rahmen von zwei Sitzungen (45–55 Minuten) befragten geschulte Mitarbeitende die Kinder individuell mit einem Tablet. Die Figuren Mia und Tom führten die Kinder durch die verschiedenen Aufgaben auf dem Tablet. Es wurden kurze Geschichten gehört und Fragen dazu beantwortet oder Objekte auf dem Bildschirm berührt oder bewegt. Darüber hinaus gaben Eltern und Kindergartenlehrpersonen Auskunft über das Lernen und die Entwicklung der befragten Kinder. Erfragt wurden dabei kontextbezogene Informationen betreffend

Diese Daten ermöglichten eine Triangulierung der gewonnenen Informationen und einen umfassenden Einblick in die Entwicklung der Kinder.

Innovativ an der Studie ist die standardisierte Erfassung sozial-emotionaler Kompetenzen: Eine zunehmende Zahl an Studien zeigt (u. a. Durlak et al., 2022), dass soziale und emotionale Kompetenzen sowie deren Förderung mit mehr Wohlbefinden und positiven Leistungen in der Schule verbunden sind. Trotz der hohen Bedeutsamkeit sozialer und emotionaler Kompetenzen gibt es dafür jedoch nur wenige Erhebungsinstrumente. In einem systematischen Literaturüberblick identifizierten Martinez-Yarza et al. (2023) nur 25 Studien, die entsprechende Instrumente untersuchten und präsentierten; darunter keine aus dem deutschen Sprachraum. Dabei ist eine hochwertige Messung sozialer und emotionaler Kompetenzen wichtig, um ein tieferes Verständnis und eine hochwertige Förderung dieser Kompetenzen in der pädagogischen Praxis voranzutreiben. Die Erprobung und Validierung des IELS-Instruments in der Schweiz hatte daher das Potenzial, eine bedeutsame Lücke im deutschen Sprachraum zu schliessen.

Massnahmen zur Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit identifizieren

Eines der Hauptziele der IELS-Studie besteht auch darin, herauszufinden, welche Massnahmen zur frühen Förderung in den jeweiligen Ländern bereits eingesetzt werden und wie diese mit dem frühen Lernen zusammenhängen. Werden die Fördermassnahmen, welche die befragten Lehrpersonen und Eltern nannten, zwischen verschiedenen Ländern verglichen, kann daraus abgeleitet werden, wie Defizite beim frühen Lernen erfolgreich reduziert werden könnten. Verbesserungen in der Schulpraxis im Sinne der Bildungsgerechtigkeit sind wahrscheinlicher, wenn Rückstände beim frühen Lernen bereits im Vorschulalter reduziert werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, in einer grösseren, repräsentativen Studie genauer herauszuarbeiten, welche Angebote die höchste langfristige Wirksamkeit versprechen. Aus der ersten IELS-Erhebung (OECD, 2020) in England, Estland und den USA konnten bereits verschiedene Hinweise über wirksame Strategien entnommen werden, die in den drei Ländern umgesetzt werden und positiv mit dem frühen Lernen zusammenhängen (Schleicher, 2020):

Die Bildungsgerechtigkeit kann erhöht werden, wenn Familien gestärkt und Kinder früh gefördert werden in den schriftsprachlichen und mathematischen Vorläuferfähigkeiten sowie in den sozial-emotionalen Kompetenzen. Wünschenswert wäre eine frühe Förderung ab Geburt, bevor die zentralen Weichen für den späteren Lernerfolg gestellt werden (Neuhauser, 2014). Die Hauptherausforderung ist allerdings, gerade diejenigen Familien sehr früh zu erreichen, die am meisten von unterstützenden Interventionen profitieren würden, oft aber nicht an entsprechenden Förderprogrammen teilnehmen. Die Implementationsergebnisse der longitudinalen Studie ZEPPELIN mit dem Förderprogramm «PAT – Mit Eltern Lernen» liefern praxisnahe Strategien und Qualitätskriterien des Zugangs zu Familien, die nur mit besonderen Anstrengungen für Ansätze der frühen Förderung zu erreichen sind (Neuhauser et al., 2015).

Erste Erkenntnisse und Erfahrungen aus der IELS-Pilotstudie

Vorbereitung und Rekrutierung

Eine OECD-Studie wie IELS mit freiwilliger Teilnahme von Kindergärten und Eltern in der Schweiz durchzuführen, bringt besondere Herausforderungen mit sich. Im Vorfeld waren Absprachen mit der Abteilung Volksschule des Kantons Aargau notwendig. Zudem wurde die Organisation Statistik Aargau kontaktiert, um aktuelle Daten zu den Einschreibezahlen und zum Bildungshintergrund der Aargauer Kindergartenkinder zu erhalten. Das Forschungsteam konnte nicht auf ein zentrales Verzeichnis aller Kinder und Kindergartengruppen zugreifen, weil es ein solches im Kanton Aargau nicht gibt. Deshalb mussten die Kindergärten entgegen den Erwartungen und Vorgaben der OECD einzeln kontaktiert werden. Dies hatte zur Folge, dass ein Mehraufwand entstand. Ebenso bedeutete die Koordination zwischen dem IELS-Konsortium der OECD, dem BSV sowie der HfH einen erhöhten Aufwand, um die Vorgaben der OECD für die Durchführung der Studie bestmöglich einzuhalten.

Auf der Ebene der Kindergärten und der Eltern wurde bei der Rekrutierung alles darangesetzt, die Teilnahme attraktiv zu gestalten. Eltern und Kindergärten erhielten als Dank für die Teilnahme einen Einkaufsgutschein im Wert von 20 beziehungsweise 50 Franken. Beide Gruppen waren jedoch eher an den Studienergebnissen interessiert. Insbesondere ein Einblick in die Ergebnisse des eigenen Kindes oder des Kindergartens hätten die Bereitschaft zur Teilnahme vermutlich erhöht. Dem Forschungsteam war es jedoch nicht möglich, den Eltern eine solche Auskunft zu geben, da bei der Piloterhebung in der Schweiz die Daten der Studie anonymisiert und direkt an die OECD weitergeleitet und verarbeitet wurden. Deskriptive Auswertungen der Pilotstudie werden jedoch im Anschluss dem Kanton Aargau in anonymisierter und zusammengefasster Form zur Verfügung gestellt.

Zum Ende des Erhebungszeitraums von Mai bis Juli 2024 hatten rund 120 Kinder an der Studie teilgenommen. Im Vergleich mit den geplanten 400 Kindern scheint diese Zahl klein. Bei einem gemeinsamen internationalen Treffen berichteten auch viele andere Länder von ähnlichen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung.

Begeisterung der Kinder und positive Resonanz aus der Praxis

Die Durchführung der Studie verlangte von den Kindern viel Konzentration und Aufmerksamkeit. Jede Sitzung dauerte zwischen 45–55 Minuten. Die Kinder empfanden manche der Aufgaben als eher langweilig, weshalb diese laut der OECD vor der Hauptstudie noch verbessert werden sollen (Knowles & Cloney, 2024). Dennoch beteiligten sich die Kinder mit Begeisterung an der Studie und freuten sich, wenn sie die Testleitenden zum zweiten Termin wiedersahen.

Auch die Lehrpersonen, deren Kindergartengruppen an der Studie teilnahmen, gaben ein weitgehend positives Feedback zur Zusammenarbeit mit den Testleitenden und Studienkoordinator:innen. Sie betonten die Relevanz der Studie und füllten mit einer hohen Verlässlichkeit die Lehrpersonenfragebögen aus. Dies spricht dafür, dass die Studie nach Überwindung der Hürden bei der Rekrutierung durchwegs positiven Anklang in der Praxis findet.

Herausforderungen bei gross angelegten Studien in der Schweiz

Die Pilotstudie hat gezeigt, dass eine Durchführung gross angelegter Studien in Schweizer Kindergärten vor allem drei Dinge voraussetzt:

  1. Die Unterstützung beziehungsweise Fürsprache durch die verantwortlichen kantonalen Ämter und übergeordneten Kommissionen.
  2. Eine lange Vorbereitungszeit, um die notwendigen Kontakte aufzubauen und die Befragungen in den vergleichsweise oft kleinen Kindergartengruppen zu koordinieren.
  3. Zusätzliche Zeit und Ressourcen für Schulen und Kindergärten, um Hürden für die Beteiligung an der Studie abzubauen und die Teilnahme attraktiver zu gestalten.

Ausblick: Zukunft der IELS-Studie in der Schweiz

Noch vor Abschluss der Piloterhebung haben die Mitglieder der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) im Rahmen ihrer Sitzung beschlossen, auf eine Teilnahme an der Hauptstudie IELS 2025 zu verzichten. Bund und Kantone sorgen gemäss Verfassungsauftrag (BV Art. 61a) gemeinsam für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit der Schule in allen Sprachregionen. Für die systematische Evaluation der Bildungsverläufe betreibt die EDK zusammen mit dem Bund das Bildungsmonitoring und beauftragt die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), alle vier Jahre den Bildungsbericht Schweiz herauszugeben. Wichtigste Datenlieferantin dafür ist die PISA-Studie der OECD zum Bildungsstand von 15-Jährigen (für die aktuellsten Ergebnisse der Schweiz siehe Erzinger et al., 2023). Aus Sicht der Autor:innen hätte die IELS-Studie die PISA-Studie gewinnbringend ergänzt um Ergebnisse zur frühen Bildung von fünfjährigen Kindern. Eine Teilnahme hätte wichtige Voraussetzungen schaffen können, um das Schweizer Bildungssystem im Vorschul- und Einschulungsbereich weiterzuentwickeln. Auch für die Sonderpädagogik, für die die Bildungsgerechtigkeit ein zentrales Thema ist, hätte die Studie wichtige Erkenntnisse liefern können, insbesondere für die Integrations-Separations-Diskussion bei sozial benachteiligten Familien. Durch die Erhebung hätte aufgezeigt werden können, inwiefern Lesen und Rechnen von sozialen Merkmalen der Familie und von der frühkindlichen Förderung abhängen.

Möglicherweise erlauben die Rahmenbedingungen bei einem späteren Erhebungszyklus eine Teilnahme der Schweiz an der OECD-Studie IELS. In diesem Fall wird das BSV, welches für die Schweizer Durchführung der Piloterhebung 2024 zuständig war, auf die wertvollen Erfahrungen aus der Piloterhebung im Kanton Aargau zurückgreifen können. Die Autor:innen hoffen, dass die Schweiz bei einer nächsten Durchführung erneut die Möglichkeit einer Teilnahme prüft.

Das Wichtigste im Überblick

• Besonders im internationalen Vergleich wissen wir wenig über das Zusammenspiel zwischen Vorläuferfertigkeiten im Bereich Lesen und Rechnen mit sozial-emotionalen Fähigkeiten von fünfjährigen Kindern in der Schweiz.

• Die OECD-Studie IELS (International Early Learning and Child Well-being Study) identifiziert vorschulische Kompetenzen und Wirkmechanismen des frühen Lernens. Sie ermöglichen es verantwortlichen Stellen in den beteiligten Staaten, Massnahmen zu ergreifen, um die Eingangsvoraussetzungen von Kindern bei der Einschulung zu stärken.

• Die Studie erfüllt die höchsten internationalen Standards empirischer Erhebungen und die Methodologie ist innovativ. Die Datenerhebung erfolgt individuell via Tablet mittels einer altersadäquaten App. Zudem werden die Eltern und die Kindergartenlehrpersonen befragt.

• Der Kanton Aargau bietet optimale Voraussetzungen für eine Pilotstudie: Diversifizierung zwischen urbanen und ruralen Gebieten, hohe Anteile fremdsprachiger Kinder, hohe Anzahl an Kindergärten und interessierte kantonale Bildungsverantwortliche.

• Das BSV, das die Piloterhebung in Auftrag gegeben hat, wird zu gegebener Zeit prüfen, ob eine Teilnahme der Schweiz an einem künftigen Erhebungszyklus einer Hauptstudie möglich sein könnte. Im aktuellen Erhebungszyklus werden sich im Jahr 2025 rund 10 Länder beteiligen. Die Ergebnisse der Studie wird die OECD im Frühjahr 2026 publizieren: International Early Learning and Child Well-being Study | OECD

Prof. em. Dr. Andrea Lanfranchi

Interkantonale Hochschule

für Heilpädagogik

andrea.lanfranchi@em.hfh.ch

Sihna Lind
Advanced Lecturer/ MA

Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik

sihna.lind@hfh.ch

Kathrina Walther
Forschungsassistentin

Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik

kathrina.walther@icloud.com

Prof. Dr. Fabio Sticca
Professor für Diagnostik und Förderung sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung

Interkantonale Hochschule

für Heilpädagogik

fabio.sticca@hfh.ch

Prof. Dr. Dennis Hövel
Professor, Leiter Institut für Verhalten, sozio-emotionale und psychomotorische Entwicklungsförderung

Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik

dennis.hoevel@hfh.ch

Dr. rer. nat. Ursula Fischer
Senior Lecturer

Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik

ursula.fischer@hfh.ch

Literatur

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