Zusammenfassung
Leichte Sprache ist weitgehend bekannt als Mittel zur Vereinfachung von komplexen Texten. Heute wird sie in bestimmten Kontexten regelmässig verwendet. Doch Leichte Sprache kann mehr. Dieser Artikel geht den Fragen nach, wie Leichte Sprache als Mittel zur inklusiven Sprachförderung eingesetzt werden könnte und welche Möglichkeiten sie im Kontext von Sprachförderung bieten kann. Die Antworten sollen dazu anregen, Leichte Sprache breiter und vielfältiger zu nutzen.
Résumé
La Leichte Sprache (équivalent en allemand du facile à lire et à comprendre [FALC]), est largement connu comme méthode de simplification de textes complexes. Il est désormais régulièrement utilisé à cette fin dans certains contextes. Cependant, le langage simplifié ne se limite pas à cet usage. Cet article explore l’utilisation de la Leichte Sprache et les possibilités qui en découlent lorsqu’elle est mobilisée comme outil inclusif pour promouvoir le développement linguistique. Les pistes présentées visent à encourager une application plus large et diversifiée de la Leichte Sprache.
Keywords: Leichte Sprache, Förderung, Lesen, Wortschatz, Wissen / langue facile à lire, encouragement, lecture, vocabulaire, connaissance
DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-02-09
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 02/2025
Damit eine Gesellschaft inklusiv ist, muss der Zugang für alle Mitglieder barrierefrei gestaltet sein (Bieling et al., 2012). Leichte Sprache hat das Ziel, einen barrierefreien Zugang zu Texten und damit zu Informationen zu bieten. In den vergangenen Jahren wurde beschrieben, was Leichte Sprache kann, was sie nicht kann und welche Möglichkeiten sie bietet. Sie kommt im Alltag in ausgewählten Bereichen regelmässig und meist qualitativ gut zur Anwendung: Leichte Sprache wird genutzt auf Verwaltungsebene oder auf Homepages, die alltagswichtige Informationen wie Bahnverbindungen, Anmeldungen, News oder Ähnliches anbieten. Auch literarische Texte gibt es immer häufiger in Leichter Sprache. Die Klassiker der deutschen Literatur werden übersetzt oder Texte werden von Anfang an in Leichter Sprache verfasst. Die Auswahl und damit vielleicht auch der Lesespass sind hier aber noch eingeschränkt. Leichte Sprache als Mittel zur Optimierung der Verständlichkeit ist inzwischen anerkannt. Auch aus wissenschaftlicher Sicht hat sich viel getan: Leichte Sprache wird als Varietät des Deutschen beschrieben und es gibt dazu konkrete Regelhypothesen (Bredel & Maass 2016b; Ben Soltane, 2022). Die von den Autor:innen «vorgeschlagenen Verfahren wurden also aus linguistischer Perspektive entwickelt und sind wissenschaftlich fundiert» (Ben Soltane, 2022, S. 28). Inhaltlich geht es dabei meistens um die linguistischen Aspekte von Leichter Sprache. Weniger bedacht wird hingegen, dass Leichte Sprache ein gezieltes Mittel zur Bildung von Kindern und Erwachsenen sein kann. Daher sei an dieser Stelle an den Zweck von Leichter Sprache erinnert:
Leichte Sprache soll folglich Partizipation und Lernen ermöglichen. Dabei ist Leichte Sprache eine regelgeleitete «Variante des Deutschen, welche die Verständigung auch für Menschen mit geringer Sprachkompetenz sichern soll» (Ben Soltane, 2022, S. 6). Sie ist im «Satzbau und Wortschatz systematisch reduziert [...]. Ebenso systematisch ist die Reduktion mit Bezug auf das Weltwissen, das für die Lektüre vorausgesetzt wird» (Maass, 2015, S. 203). Letzteres wird immer wieder als Kritik an der Leichten Sprache angebracht, sowohl bezogen auf die Form als auch auf den Inhalt der Texte. Kritiker:innen bemängeln zu grosse Vereinfachungen, die den ursprünglichen Inhalten nicht gerecht werden, sie geradezu verfälschen (Lobe, 2017).
Dabei geht vergessen, dass es beispielsweise ein Auftrag der Autor:innen und der Übersetzenden ist, die Texte an die Fähigkeiten der Nutzer:innen anzupassen. Ein Text ist nicht einfach «leicht», sondern nur so leicht, dass die jeweilige Person ihn gerade lesen und verstehen kann. Und wie bei allen Leser:innen verbessern sich die Kompetenzen zum Verständnis eines bestimmten Themas im Verlauf der Zeit. Es ist im Konzept der Leichten Sprache vorgesehen, die Komplexität der Texte zu steigern und die Inhalte zu erweitern, um die Entwicklung und Erweiterung der Kompetenz der Nutzer:innen zu fördern. So bietet Leichte Sprache eine wertvolle Unterstützung, um Neues, inhaltlich und sprachlich, zu lernen. Das lässt sich aus Berichten von Nutzer:innen von Leichter Sprache zeigen, die nur vorübergehend auf Leichte Sprache angewiesen sind – beispielsweise mehrsprachige Menschen (Arn & Baumann, 2019). Trotzdem soll nochmals eine kritische Stimme von einer ausgewiesenen Fachfrau für Leichte Sprache angebracht werden: «Die Varietät [Leichte Sprache, Anm. Autorin] [zielt] auf das Abbauen von Kommunikationsbarrieren, [wird] aber nicht nur positiv wahrgenommen. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass auf Leichte Sprache angewiesen zu sein mit einem Stigma behaftet ist» (Maass, 2020, S. 229).
Leichte Sprache ist als Mittel zur Inklusion unbestritten. Es gibt jedoch noch kaum Untersuchungen und Empfehlungen, wie sie als Mittel zur Sprachförderung genutzt werden kann. Deshalb folgt nun eine Reihe an Ideen, wie Leichte Sprache im Rahmen der Sprachförderung genutzt werden kann.
Naheliegend ist der Nutzen von Leichter Sprache für die Sprachförderung in den Bereichen Schrift, Schriftsprache und Lesen. Oft wird gesagt: Lesen muss man üben, damit es fliessend wird und Spass macht. Aber regelmässiges Lesen ist schwer, vor allem, wenn die Sätze komplex und verschachtelt sind und/oder der Inhalt nicht verständlich ist. Lehrpersonen und auch Therapeut:innen verfassen dann oft gut gemeinte Vereinfachungen. Problematisch an solch vereinfachten Texten ist, dass die Vereinfachungen häufig gegen die Regeln der Standardsprache verstossen. So werden beispielsweise Verben nicht konjugiert, der Text wird inhaltlich verkürzt oder nur vermeintlich sprachlich vereinfacht: Zartrot wird dann einfach zu rosa.
Die Regelwerke der Leichten Sprache geben nicht nur formale und inhaltliche Regeln vor, sondern schaffen auch Verbindlichkeit. Die Regeln stehen in direktem Bezug zu den Regeln der deutschen Sprache. Sie ermöglichen einen Aufbau, der die Nutzer:innen zu den Regeln der Standardsprache hinführen und begleiten kann. Die Aufgabe bei der Übersetzung in Leichte Sprache ist es dabei, eine sorgfältige inhaltliche Auswahl und Deutung zu treffen, sei es bei der Übertragung oder dem Verfassen eines neuen Textes. Diese gezielt angepasste Steigerung des Schwierigkeitsgrads kommt einer Lehr- und Lernsituation sehr nahe (Arn, 2024). Das zeigt sich auch daran, dass Leichte Sprache eine Erweiterung des Wortschatzes ermöglicht. Folgende Regeln finden sich in allen Regelwerken für Leichte Sprache (Arn, 2024):
Wendet man diese Regeln konsequent an, so lässt sich ein Grundwortschatz sichern und darauf gezielt aufbauen. Mit diesem Grundwortschatz können neue Wörter erklärt werden («Fremdwörter»), sodass der Wortschatz weiter ausgebaut wird. Auch die Erweiterung des semantischen Feldes ist möglich, indem Begriffe ausgewählt und schrittweise eingeführt werden.
Visuelles Darstellen trägt zum besseren Verständnis des Inhalts bei. Im Regelwerk der Leichten Sprache finden sich deshalb auch hilfreiche Angaben zu Bildern. Mit passenden, erklärenden Bildern kann neues Wissen dargeboten beziehungsweise erschlossen werden, denn der Mensch lernt nicht nur über Text, sondern auch über Bilder. Texte in Leichter Sprache enthalten oft Bilder, die die Komplexität der Texte weiter reduzieren und auch bestimmte Wörter erklären sollen. Dabei ist nicht nur in Leichter Sprache wichtig, eine gezielte Bildauswahl zu treffen. Bilder in Texten in Leichter Sprache «sollen erklären, das Verständnis von komplexen Sachverhalten unterstützen. Dies ist nicht immer einfach, da viele abstrakte Begriffe bildlich kaum dargestellt werden können. [Hingegen] [e]infache Begriffe wie z. B. ‹Rollstuhlfahrer› mit Bildern zu unterstützen, macht für das Verständnis wenig Sinn. Die ‹einfachen› Bilder können aber helfen, sich in einem umfangreicheren Text zu orientieren» (Büro für Leichte Sprache, 2017).
Zur Verständnisoptimierung gibt es auch Regeln zur Formatierung der Texte. Das ist beispielsweise sinnvoll für Senior:innen und Menschen mit Sehbeeinträchtigung, aber auch für alle, die von viel Text sonst überfordert sind. Hier ein Überblick zu den wichtigsten Regeln (Büro für Leichte Sprache, 2017):
Die Leser:innen erhalten über die Formatierung keine Verbindung zum Inhalt. Ein Text, der in angenehmer Form erscheint, ermutigt aber, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen.
«Ein zentraler Punkt für die Teilhabe an der Gesellschaft ist der Austausch und somit auch Sprache» (Ben Soltane, 2022, S. 15). Wenn Menschen einen Text verstehen, fällt es ihnen auch leichter, sich eine eigene Meinung zu bilden und darüber zu sprechen beziehungsweise zu diskutieren. Das kann Mut machen, sich an Diskussionen zu beteiligen und sich so in einer Gruppe selbstwirksam zu erleben. Aber auch das Verstehen und Umsetzen einer Anleitung (bspw. eines Kochrezepts) kann zu schönen, nachhaltigen Erlebnissen führen.
Leichte Sprache hilft auch bei der Kommunikation mit den Familien oder dem Umfeld der Schüler:innen. In einigen Schulen der Stadt Zürich werden zum Beispiel Elternbriefe auf der einen Seite in normaler, auf der anderen Seite in Leichter Sprache formuliert. Dies wird aufgrund des hohen Anteils an Familien mit Migrationshintergrund so gehandhabt. Dazu gibt es die Rückmeldung der Eltern, die nicht auf die Leichte Sprache angewiesen sind: Sie bedienen sich gerne der Seite in Leichter Sprache, weil dort kurz und knapp das Wichtigste zusammengefasst ist. So gelingt eine schnelle, einheitliche und inklusive Verständigung.
Ben Soltane (2002) schreibt in seiner Studie: «Auch die Erkenntnis, dass die Ansprüche an verständliche Sprache innerhalb der Gruppen ein breites Spektrum abdecken und sich die Bedürfnisse zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern stark unterscheiden, unterstreicht die Heterogenität der Zielgruppe» (S. 65). Die Heterogenität einer Schulklasse ist beim Einsatz von Leichter Sprache nicht zu unterschätzen. Für eine wirkungsvolle Förderung sind unter Umständen verschiedene Fassungen ein und desselben Textes notwendig. Aber die Möglichkeit, mit Hilfe von Texten in Leichter Sprache am selben Thema auf dieselbe Weise zu arbeiten, kommt dem Verständnis einer inklusiven Lernsituation sehr nahe.
Die Verwendung von Leichter Sprache erfordert Übung. Es ist eine Kompetenz, die erarbeitet werden muss. Heilpädagog:innen und Logopäd:innen brauchen also Anwendungskenntnisse, damit sie Leichte Sprache gezielt in Schule und Therapie einsetzen können. Das bedeutet, dass bereits in der Aus- und Weiterbildung eine Auseinandersetzung mit Leichter Sprache stattfinden muss (Arn & Baumann, 2019). Dabei müssen sowohl die verschiedenen Anwendungszwecke erworben werden als auch das Wissen, wie optimale Sprachförderung funktioniert.
Leichte Sprache ist in der (inklusiven) Sprachförderung ein noch wenig genutztes, erprobtes und evaluiertes Mittel. Ihre Möglichkeiten und Grenzen in diesem Zusammenhang sind noch zu wenig bekannt und zu wenig genutzt. Leichte Sprache kann ideal zur Sprachförderung eingesetzt werden. Mit dem Einsatz von individuell angepassten Texten wird das Lesen und Verstehen von Inhalten erleichtert. Dies führt zu mehr Spass und weniger Anstrengung bei den Lesenden. Dadurch steigen die Motivation und die Lust, neues Wissen durch Lesen zu erwerben und dieses auch in Lern- und alltäglichen Gesprächssituationen einzubringen. Umso mehr braucht es deshalb gezielte Informationen zu Möglichkeiten und Nutzen von Leichter Sprache in der Sprachförderung. Es braucht aber auch ganz einfach den Mut, Leichte Sprache im beruflichen Alltag zu verwenden und ihre Möglichkeiten zu erproben.
Christina Arn lic. phil. MAE Senior lecturer Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik |
Arn, C. & Baumann, R. (2019). Fachwissen in Leichter Sprache. Leichte Sprache in der Aus- und Weiterbildung von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sowie Logopädinnen und Logopäden. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 25 (2), 21–25.
Arn, C. (2024). Teilhabe dank Leichter Sprache. Wortschatz für alle. DLVA, 4, 9–11.
Ben Soltane, F. (2022). Leichte Sprache – Tor zur literalen Gesellschaft? Eine Rezeptionsstudie zu Leichter Sprache, Einfacher Sprache und Standardsprache mit Menschen mit intrinsischer geistiger Behinderung und Menschen mit Deutsch als Zweitsprache. ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Graduate Papers in Applied Linguistics 20.
Bieling, T., Gollner, U. & Joost, G. (2012). Schnittstelle Hand – Kommunikation mit Gefühl. I-Com, 1 (2), 2–36.
Bredel, U. & Maass, C. (2016a). Ratgeber Leichte Sprache. Die wichtigsten Regeln und Empfehlungen für die Praxis. Dudenverlag.
Bredel, U. & Maass, C. (2016b). Leichte Sprache: Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis. Dudenverlag.
Büro für Leichte Sprache (2017). Weiterbildung Leichte Sprache. Unveröffentlichtes Handout.
Lobe, A. (2017, 28. Juli): Nachrichten im Kinderbuch Stil. Frankfurter Allgemeine Zeitung, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/leichte-sprache-informiert-nicht-ausreichend-15123489.html [Zugriff: 04.12.2024].
Maass, C. (2015): Leichte Sprache. Das Regelbuch. LIT VERLAG.
Maass, C. (2020). Easy Language – Plain Language – Easy Language Plus. Balancing Comprehensibility and Acceptability. Frank & Timme.