Abwarten – Elterntraining – Sprachtherapie?
Zusammenfassung
Late Talker haben ein Risiko für langfristige Sprachdefizite. Interventionsmassnahmen innerhalb der sensiblen Phase des Spracherwerbs helfen Late Talkern, den sprachlichen Rückstand aufzuholen und Sekundärprobleme im schulischen und sozial-emotionalen Bereich zu vermeiden. Dieser Beitrag fasst das Erscheinungsbild und den Entwicklungsverlauf von Late Talkern zusammen. Er präsentiert die Empfehlungen der aktuellen AWMF S3-Leitlinie zum Umgang mit Late Talkern. Zudem beschreibt er Hintergrund und Wirksamkeit strukturierter Elterntrainings als Mittel der ersten Wahl bei verzögertem Spracherwerb, ergänzt um eine Kurzvorstellung des Heidelberger Elterntrainings.
Résumé
Les « late talkers », enfants ayant un retard de l’acquisition du langage, présentent un risque de déficit linguistique à long terme. Une intervention au cours de la phase sensible de l'acquisition du langage contribue à compenser le retard linguistique de ces enfants et ainsi à éviter des problèmes secondaires dans le domaine scolaire et socio-émotionnel. Cet article décrit les caractéristiques et le déroulement du développement des « late talkers ». Il présente également les recommandations actuelles de la directive S3 de l'Association des sociétés scientifiques et médicales d’Allemagne (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften [AWMF]) sur la prise en charge des « late talkers ». Enfin, il décrit le contexte et l'efficacité de l'entraînement structuré des parents comme intervention de premier choix en cas de retard d'acquisition du langage, en proposant une brève présentation de l'entraînement parental de Heidelberg.
Keywords: Late Talker, Sprachentwicklung, Wortschatz, Sprachstörung, Frühintervention, Elternbildung / enfant présentant un retard de langage, développement du langage, vocabulaire, trouble du langage, intervention précoce, éducation des parents
DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-02-07
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 02/2025
Jedes Kind geht seinen eigenen Weg beim Sprechenlernen. Zum Teil unterscheiden sich die Kinder deutlich in der Geschwindigkeit des Spracherwerbs. Dennoch gibt es typische Entwicklungsstufen: Erste Wörter sprechen Kinder etwa zum ersten Geburtstag. 250 bis 600 Wörter sprechen sie mit zwei Jahren. Verstehen können die Kinder schon viel mehr (Bockmann et al., 2020). Eltern erfreuen sich über die zunehmend bessere Ausdrucksfähigkeit der Kinder und sie unterstützen diese dabei, neue Wörter zu lernen und Sätze zu bilden. Hierzu passen sie – zumeist intuitiv – ihre Sprache und ihr Gesprächsverhalten an die kommunikativen Fähigkeiten und den sprachlichen Entwicklungsstand ihres Kindes an (Ritterfeld, 2000b).
Doch nicht allen Kindern gelingt der Spracherwerb so mühelos. Etwa 15 Prozent der Kinder beginnen erst mit 18 bis 24 Monaten zu sprechen, obwohl sie sich in anderen Entwicklungsbereichen altersentsprechend entwickeln (Horwitz et al., 2003). Diese Kinder nennt man Late Talker.
Late Talker äussern zum zweiten Geburtstag nur einzelne Wörter wie Mama, Papa, da, eg (für weg), Puppa, Ato (für Auto) und bilden praktisch noch keine Wort-Kombinationen. Im Laufe des dritten Lebensjahres wächst ihr aktiver Wortschatz nur langsam. Late Talker können sich dadurch über längere Zeit nicht richtig mitteilen. Sie versuchen, die fehlende Lautsprache zu kompensieren, indem sie verstärkt nonverbale Kommunikationsmittel wie Zeigegesten und symbolische Gesten nutzen. Ausserdem verwenden sie Geräusche (tsch) und Kinderwörter (wau-wau). Doch damit können sie Bedürfnisse, Wünsche und Interessen nicht so ausdrücken wie andere Zweijährige (Sachse & Buschmann, 2020).
Late Talker = zweijährige Kinder mit deutlich eingeschränktem Wortschatz
• mit 24 Monaten weniger als 50 aktiv gesprochene Wörter und (fast) keine Wortkombinationen
• langsamer Anstieg des Wortschatzes mit Phasen des Stillstands
• Sprachverständnis altersgemäss oder beeinträchtigt
• altersgemässes Interesse an Kommunikation und Austausch
• altersgemässe Entwicklung in Motorik, Kognition, Sozialverhalten
• intaktes Hörvermögen
Die Ursachen für den späten Sprechbeginn bei einer sonst altersgemässen Entwicklung sind nicht eindeutig geklärt. Meist kommen verschiedene Risiken zusammen. Als Hauptursache gilt jedoch eine genetische Veranlagung für Defizite in der Verarbeitung sprachlicher Informationen, wie bei der Sprachentwicklungsstörung (SES). Betroffene Kinder haben von Geburt an Schwierigkeiten, einzelne Wörter aus den Äusserungen der Erwachsenen herauszufiltern («Gefälltdirdiepuppe?») und korrekt abzuspeichern (Puppe). Für eine genetische Grundlage spricht auch, dass es in betroffenen Familien oft weitere Personen mit Schwierigkeiten im Spracherwerb gibt (Buschmann et al., 2008). Ein zusätzlicher Risikofaktor sind Hörbeeinträchtigungen in der sensiblen Phase des Spracherwerbs, wie sie bei Mittelohrbelüftungsstörungen gehäuft auftreten. Ein wenig kommunikatives Umfeld wirkt sich ebenfalls ungünstig auf das Sprachlernen eines Late Talkers aus. Hingegen ist ein mehrsprachiges Aufwachsen kein Risiko. Late Talker kommen in allen Bildungsschichten vor.
Late Talker sind keine «Spätstarter», die den Rückstand problemlos aufholen: Aus Längsschnittstudien ist bekannt, dass diese Kinder ein grosses Risiko für langfristige Sprachdefizite haben, und dadurch das schulische Lernen und die sozial-emotionale Entwicklung beeinträchtigt werden können.
Die meisten Late Talker haben über das dritte Lebensjahr hinaus einen eingeschränkten Wortschatz und grammatische Defizite oder erfüllen sogar die Kriterien einer Spracherwerbsstörung (Dale et al., 2003). In der Münchner Längsschnittstudie war die Wahrscheinlichkeit für Sprachdefizite mit drei Jahren bei den Late Talkern 13-mal höher als bei Kindern mit alterstypischem Sprachbeginn (Sachse & von Suchodoletz, 2013). Bei 28 Prozent der Late Talker wurde sogar eine Spracherwerbsstörung diagnostiziert, die bei 16 Prozent auch noch im Einschulungsalter vorlag, obwohl die Kinder mehrere Jahre Logopädie erhalten hatten (Kühn et al., 2016).
Im Laufe des Vorschul- und Schulalters verbessern sich die sprachlichen Fähigkeiten ehemaliger Late Talker. Sie erzielen in Sprachtests im Mittel altersentsprechende Ergebnisse. Dennoch erreichen sie nie das Niveau von Kindern mit einer normalen Sprachentwicklung. Bis ins Jugendalter hinein schneiden Later Talker in Wortschatz und Grammatik, im Sprachverständnis und im phonologischen Arbeitsgedächtnis schlechter ab (Großheinrich et al., 2019).
Eine verlässliche Prognose für ein Aufholen gibt es nicht
Im Einzelfall kann bisher nicht vorhergesagt werden, welches Kind den sprachlichen Rückstand spontan aufholt und welches nicht (im Überblick Sachse & Buschmann, 2020).
Eine geringe Wahrscheinlichkeit für ein Aufholen besteht bei:
• eingeschränktem Wortverständnis
• weit unterdurchschnittlichen sprachproduktiven Fähigkeiten
• nonverbal-kognitiven Fähigkeiten im unteren Normbereich
• ausbleibender Aufholtendenz bis 2,5 Jahre
• niedrigem elterlichen Bildungsniveau
• familiärer Vorbelastung für eine Spracherwerbsstörung und/oder Lese-Rechtschreibstörung
Nehmen Eltern an einer Schulung zu sprachförderlichem Verhalten teil, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für ein Aufholen des sprachlichen Rückstands (Buschmann & Neubauer, 2012).
Im Schriftspracherwerb (Großheinrich et al., 2019) und sogar in Mathematik (Bleses et al., 2016) bleiben ehemalige Late Talker hinter den Leistungen der anderen Kinder zurück, obwohl sie vergleichbare kognitive Fähigkeiten besitzen und in ähnlichen familiären Umgebungen aufwachsen. Die langfristig ungünstigste Prognose besteht für Zweijährige, bei denen sowohl das aktive Sprachvermögen als auch das Sprachverständnis beeinträchtigt sind. Sie schneiden im Schulalter in sprachlichen und schriftsprachlichen Leistungen schlechter ab als Kinder, die nur mit der aktiven Sprache Schwierigkeiten haben. Zudem unterscheiden sie sich bedeutsam von Kindern mit alterstypischem Sprachbeginn (Lyytinen et al., 2006).
Eine verzögerte Sprachentwicklung ist ein Risiko für die soziale und emotionale Entwicklung eines Kindes. Betroffene Kinder erleben täglich Situationen, in denen sie von ihren Eltern, anderen Erwachsenen und auch Kindern nicht verstanden werden. Oder sie verstehen selbst nicht, wovon gesprochen wird beziehungsweise was von ihnen gefordert ist. Dies kann zu sozialer Zurückhaltung und ängstlichen Symptomen führen, folglich sogar zu einer geringeren sozialen Kompetenz im Vergleich zu Gleichaltrigen (Irwin et al., 2002).
Eine niedrige Sprachkompetenz im Kleinkindalter ist zudem mit einem geringeren emotionalen Entwicklungsstand im Alter von sechs Jahren verbunden. Betroffene Kinder wissen weniger über Emotionen und deren Entstehung als zwei- bis dreijährige Kinder mit hoher Sprachkompetenz. Sie können ihre Gefühle weniger gut mitteilen und begründen. Zudem verfügen sie über geringere Fähigkeiten zur Selbstregulation (Clegg et al., 2015).
In der interdisziplinären S3-Leitline zur Therapie von Sprachentwicklungsstörungen (AWMF, 2022) ist der Risikogruppe der Late Talker ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Leitlinie spricht klare evidenzbasierte Empfehlungen aus für das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei einem verzögerten Spracherwerb. Denn ein frühes und gezieltes Eingreifen eröffnet den Kindern die Chance auf einen erfolgreichen Spracherwerb und damit verbunden auf Bildungserfolg.
Der aktive Wortschatz eines zweijährigen Kindes lässt sich über Elternfragebögen zuverlässig erfassen. Hierfür gibt es mehrere gute Screeningverfahren, die konzipiert sind für den Einsatz im Rahmen der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchung (Sachse & Buschmann, 2020). Hat ein Kind einen geringen Wortschatz, soll laut Empfehlung 10 eine Nachkontrolle innerhalb von drei Monaten, spätestens jedoch mit 27 Lebensmonaten erfolgen (AWMF, 2022).
Kinder, die dann immer noch einen sprachlichen Rückstand aufweisen, sollen gründlich untersucht werden: Zu prüfen sind die Sprachproduktion und das Sprachverständnis, die sozial-kommunikativen Fähigkeiten, die allgemeine und insbesondere die nonverbal-kognitive Entwicklung sowie das Hörvermögen (ebd.). Denn ein später Sprechbeginn ist oft ein erster Hinweis auf eine komplexe Entwicklungsstörung (Buschmann et al., 2008), die weitere diagnostische und therapeutische Schritte erfordert.
Wenn nur die aktive Sprache beeinträchtigt ist, wird in der Empfehlung 12 ein strukturiertes Elterntraining erwähnt, zum Beispiel das Heidelberger Elterntraining (AWMF, 2022). Die Wirksamkeit elternbasierter Interventionen ist durch Metaanalysen gut belegt (Roberts & Kaiser, 2011). Sollten dennoch über das dritte Lebensjahr hinaus sprachliche Defizite bestehen, ist gemäss Empfehlung 13 der Beginn einer kindzentrierten sprachtherapeutischen Massnahme angezeigt (AWMF, 2022).
Wenn sowohl Sprachproduktion als auch Sprachverständnis beeinträchtigt sind, ist gemäss Empfehlung 13 ebenfalls ein strukturiertes Elterntraining angebracht. Dieses soll jedoch ergänzt werden durch eine kindzentrierte sprachtherapeutische Intervention (AWMF, 2022). Aus bisherigen Studien geht hervor, dass die alleinige Schulung der Eltern hier nicht ausreicht (Buschmann, 2011/2012).
Auch bei weiteren Risikofaktoren, wie beispielsweise eine familiäre Sprachschwäche oder ein niedriges Bildungsniveau der Eltern, sollten gemäss Empfehlung 13 beide Frühinterventionen miteinander kombiniert werden.
Wenn ein Kind deutlich verzögert Sprechen lernt, besteht die Gefahr, dass sich die Eltern nicht mehr an die individuellen Lernvoraussetzungen des Kindes anpassen können (Ritterfeld, 2000a). Sie fühlen sich in der Kommunikation mit ihrem Kind verunsichert. Sie wissen beispielsweise nicht, wie sie reagieren sollen, wenn ihr Kind auf einen Gegenstand zeigt und nur «da» sagt, obwohl es diesen schon lange kennt. Die Eltern haben keine Erklärung für das langsame Wortlernen. Sie verstehen nicht, warum ihr Kind scheinbar lieber Gesten als Wörter benutzt, um seine Bedürfnisse mitzuteilen. Sie sorgen sich um die weitere (sprachliche) Entwicklung ihres Kindes. Sie fühlen sich schuldig, schämen sich oder sind frustriert. Kommentare aus dem Umfeld verstärken die elterliche Unsicherheit und erzeugen Druck, zum Beispiel: «Das Kind ist nur zu faul zum Sprechen» oder «Kein Wunder, dass sie nicht spricht, wenn du immer auf ihre Gesten reagierst.»
Die Eltern möchten ihrem Kind helfen und die Sprache aktiv «hervorlocken». Sie versuchen bewusst zu «üben», ohne jedoch zu wissen, wie dies am besten gelingen kann. Typische elterliche Verhaltensweisen sind unter anderem, das Kind zum Nachsprechen aufzufordern und dem Kind das Gewünschte vorzuenthalten, solange es nicht das entsprechende Wort spricht. Ausserdem sprechen die Eltern für ihr Kind, sie geben mehr Anweisungen und reduzieren ihre Kommunikation auf einfache Ja-Nein-Fragen. Alle diese Verhaltensweisen sind gut gemeint, helfen dem Kind aber nicht dabei, Wörter und Sätze zu sprechen. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass das Kind die Alltagskommunikation als unnatürlich, anstrengend, frustrierend und als nicht erfolgreich erlebt und in der Folge lieber vermeidet. Damit reduzieren sich seine natürlichen Sprachlerngelegenheiten (Buschmann, 2024).
Die Ausführungen haben gezeigt, wie wichtig es ist, Eltern in der Interaktion mit Late Talkern zu schulen. Ein responsives Verhalten, zum Beispiel beim gemeinsamen Spiel, führt zu einem höheren Sprachentwicklungsstand mit drei und vier Jahren (Hudson et al., 2015). Responsiv sein heisst, auf das Interesse des Kindes zu achten, seine kommunikativen Initiativen wahrzunehmen und adäquat zu beantworten. So entstehen viele Situationen mit einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (joint attention), was die besten Sprachlernmomente sind (Tamis-LeMonda et al., 2014). Zudem ist es wichtig, dass die Eltern lernen, ihr Sprachangebot an die beeinträchtigte Sprachverarbeitungsfähigkeit ihres Kindes anzupassen. Das bedeutet unter anderem, langsam und deutlich zu sprechen, zentrale Wörter zu betonen und Pausen zu lassen. Sprachlehrstrategien, wie die inhaltliche Erweiterung und syntaktische Ergänzung der kindlichen Äusserung, verbessern die Sprachkompetenzen von Late Talkern effektiv (Levickis et al., 2014). Es lohnt sich also, die Eltern in deren Anwendung zu befähigen.
Ein responsives Verhalten können Eltern nicht in punktuellen Beratungen lernen. Für eine Verhaltensänderung braucht es eine längere Begleitung der Eltern und bestimmte methodische Elemente, wie ein interaktives Erarbeiten der Inhalte, Transferaufgaben für die praktische Umsetzung mit dem Kind, Feedbackrunden und videogestützte Interaktionsberatung (Fukkink & Lont, 2007).
Inklusive Sprachförderung von Late Talkern
Kinder mit spätem Sprechbeginn profitieren von einer inklusiven frühpädagogischen Begleitung. Neben den Interaktionen mit den Fachkräften können sie im Spiel mit Gleichaltrigen sprachliche Kompetenzen erwerben. Für eine optimale alltagsintegrierte Sprachförderung benötigt es jedoch gut geschulte Fachkräfte (Buschmann & Jooss, 2011).
Das international bekannteste Elterntraining ist das Hanen Program for Parents (Girolametto et al., 1986). Daran angelehnt wurde das Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung (HET Late Talker, Buschmann, 2024) entwickelt. Es findet seit 2009 Anwendung in Sozialpädiatrischen Zentren, Frühförderstellen und logopädischen Praxen. In der Schweiz wird es vor allem in der Heilpädagogischen Früherziehung und in der Logopädie im Frühbereich eingesetzt.
Das HET Late Talker ist ein strukturiertes Elterntraining. Es enthält die oben genannten Inhalte und notwendigen methodischen Elemente. Es findet in einer Kleingruppe von maximal zehn Personen statt, beinhaltet sieben Sitzungen von je zwei Stunden sowie eine Nachschulung nach etwa einem halben Jahr.
Die Wirksamkeit des HET wurde in einer randomisiert-kontrollierten Längsschnittstudie geprüft: Niedergelassene Pädiater:innen rekrutierten Late Talker im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung. Die sprachliche Entwicklung wurde mit drei und mit vier Jahren, im Einschulungsalter sowie zum Ende der 2. Klasse untersucht und jeweils mit Kindern verglichen, die mit 24 Monaten eine altersentsprechende Sprachentwicklung aufwiesen. Die Hälfte der Late Talker erhielt im Laufe des dritten Lebensjahres eine frühe Förderung durch die mit dem HET geschulten Eltern.
Die Eltern äusserten sich durchweg zufrieden über das HET. Sie sahen ihre Erwartungen als erfüllt an, fühlten sich gestärkt im sprachlichen Umgang mit ihrem Kind und glaubten, ihr Kind nun gut in seiner sprachlichen Entwicklung unterstützen zu können. 100 Prozent der teilnehmenden Eltern würden das HET anderen betroffenen Familien empfehlen (Buschmann & Ritter, 2013).
Die Nachuntersuchungen der Kinder belegen eine hohe kurzfristige und eine mittlere langfristige Effektivität des HET. Bereits mit drei Jahren hatten 75 Prozent der Kinder aus der HET-Gruppe den sprachlichen Rückstand aufgeholt versus 44 Prozent der Kinder ohne elterliche Schulung (Buschmann et al., 2009). Trotz erfolgter Logopädie ab drei Jahren schnitten die HET-Kinder in Wortschatz, Grammatik und ebenso in Sprachgedächtnismassen im Vorschul- und im Schulalter besser ab als die Kontrollgruppe (Buschmann et al., 2015; Buschmann & Gertje, 2021). Nur den Late Talkern der HET-Gruppe gelang es, zu den Kindern mit altersentsprechendem Sprechbeginn aufzuschliessen.
Late Talker sind Kinder mit einem Risiko für langfristige Spracherwerbsprobleme. Die S3-Leitlinie zur Therapie von Sprachentwicklungsstörungen gibt klare Handlungsempfehlungen für die Praxis: Beobachtung der Kinder bis zum 27. Lebensmonat, danach gründliche Diagnostik und Durchführung von Frühinterventionsmassnahmen. Strukturierte Elterntrainings sind aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit als Erstes durchzuführen, ergänzt um kindzentrierte sprachtherapeutische Massnahmen.
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Anke Buschmann University of Applied Sciences Leitung ZEL – Zentrum für Entwicklung und Lernen, Heidelberg |
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