Eine junge Frau im Autismus-Spektrum erzählt
DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-01-08
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 01/2025
Der nachfolgendi Text enthaltot Spure vo Ironie, Sarkasmus und passiv-aggressive Üssage, fer d erlebto Ereignis distanzierter z betrachto.
Wenni als Chind ani fortschrittlich Züekunft gedeicht ha
hani fliegendi Autos, Hologramm und Laserschwärti gseh
Jetzt bini aschinond erwagso
und gseh uf miner Undercover Mission
dass d Mänsche en Erklärig brüchent
fer respektvoll mit mier umzgah
«Dü bisch nit autistisch
dü bisch vill z empathisch»
Nur will d einzig Informationsquella en uberspitzte Film üs de 80er isch
bini trotzdem autistisch
«Aber dü gsehsch nit autistisch üs»
Ich weiss dasi nit vill Ähnlichkeite mim Sheldon Cooper ha
oder mitm Chind va der Kollegin vam Grosstanti va dinem ehemaligo Nachbar
«Äch, dü bisch äml normal»
Summi Lit deichent, das isch es Komplimänt
aber eu lieb gmeinte Ableismus isch verletzend
«Aber dü bisch doch vill unerwägs und hesch Freunda»
Der Satz wird eu gäro bi depressivo Episode agwendot
«Aber schi cha ja Beziehige üfbauo»
Das geit sogar ganz güet mit Lit, wa sägent, was schi meinent
anstatt mi uf e Schnitzeljagd z schiko
fer d Intention vo ihrer Üssag z findo
«Hito sind alli plötzlich autistisch»
Geschter siwer eu scho autistisch gsi
«Hito müess mo allom e Namo gäh»
Dank dem Namo weissi d Ursach va 90% vo mine Problem
und mine persönlich Favorit
«Wier si doch alli e biz autistisch
Ich macho das eu»
Autischte sind eu kei Aliens
wa ubernatürlichi Sache mächent
Ich weiss nit, was dü uber Autismus weisch
aber
Ich wellti mine Chopf gägo d Wand schlah, weni uberstimuliert bi
aber ich machos nit
Ich wellti im Bus höiro, wenn es Chind flännt
aber ich machos nit
Ich wellti mis Plüschtier inr Öffentlichkeit bi mier ha und dra schmecko
aber ich machos nit
Voller Scham trägi witerhin mini neurotypisch Maska
verstecko mi im Dunklo
bis schich mini lunar betribo Batterie gnüeg üfglado het
fer mini negschti Showilag
im oberflächlicho Theaterstuck
wa gschribo isch fer neurotypischi Lit
und «tüe doch nit so empfindlich» heisst
Wenni de mal wieder afah uber Autismus z redo
und d Lit mich verwirrt alüegent und frägent
«Aber was isch de Autismus eigentli?»
bini zimli uberfordert und ha ufzmal eu kei Ahnig me
so als weri nit jede Tag mit Herüsfordrige konfrontiert
In Wirklichkeit is meischtens nit en sozial inkompetente,
komische wiisse Botsch wa umchaheurot,
aber darfer es Mathegenie isch
Autischte sind kei Attraktion oder es Spektakel
Eu ich bi nit es emotionslosos Superhirn
eher ds Gägoteil
Ich bi e hochsensibli durchschnittlichi Person
wa schich nie cha merko, wo jetzt der Weichspieler und
wo ds Wäschmittel dri chunnt
Also was isch Autismus jetzt eigentli fer mich?
Als 20-Jährigi flännendo üsm Restaurant sekklo
will ds Bsteck va de andro Lit z lüüt ufi Täller schlaat,
als 23-Jährigi nervös nebs miner Mama stah
währenddem schi fer mich dom Zahnarzt alitot,
en Reizuberflüetig z ha, weni versüecho
ohni Chopfhörer und Icheufslischta izcheufo,
mis Wisso uber Neurodiversität vo Reddit z ha
wills schich uf andro Site
und im ächto Läbo so afühlt
als würdis autistischi Erwagsni
uf dischom Planet gar nit gäh,
Lieder va mine Lieblingskünschtler ersch Jahri später z loso
will Neus eifach zu schwierig isch,
lieber amo Metal Konzert z sii
als mit 2 andro Lit im Wartezimmer z sitzo,
der unbewussti Drang Grüschi nahzmacho
und dadurch in unangnähmi Situatione z grato,
jede Morgo und Abo der glich Ableuf z ha
eu wenner uberheupt kei Sinn macht,
alltägliche Gspräch nit chenno z folgo
will es Liecht am flackro isch,
mich so fescht uf d «richtig» Mengi an Blickkontakt z konzentriero
dasi gar nit richtig cha züeloso,
vor Uberfordrig nimme chenno z redo,
bestraft z wärdo will mo «zu ehrlich» isch,
mich als Üssositer z fühlo und nie z wisso wieso,
schich einsam fühlo imo vollo Rüm,
der Sinn va «geits güet?» und andre Lückofüller nit z verstah
wenn mini ehrlich Antwort offosichtlich nit erwünscht isch,
schlechts Gwisso z ha weni Üfmerksamkeit berchumo
willi mine Platz inr Gsellschaft nit kenno
oder willer nit exischtent isch
Anstatt das z erkläro
wärdi nervös,
ha en leere Chopf und sägo
«Ich ha eifach kei Filter»
und hoffo dass der Kieselstei an Information
der Fels an Fehlinformatione in Bewegig bringt.
Ramona Furger | Ramona Furger hat eine Autismus-Spektrum- und eine ADHS- (Für alle, die des Walliserdeutschen nicht mächtig sind, folgt im Anschluss eine Version auf Hochdeutsch). |
Der nachfolgende Text enthält Spuren von Ironie, Sarkasmus und passiv-aggressiven Aussagen, um die erlebten Ereignisse distanzierter zu betrachten.
Wenn ich als Kind an eine fortschrittliche Zukunft dachte
sah ich fliegende Autos, Hologramme und Laserschwerter
Jetzt bin ich anscheinend erwachsen
und sehe auf meiner Undercover Mission
dass die Menschen eine Erklärung brauchen
um respektvoll mit mir umzugehen
«Du bist nicht autistisch
du bist viel zu empathisch»
Nur weil die einzige Informationsquelle ein überspitzter Film aus den 80ern ist
bin ich trotzdem autistisch
«Aber du siehst nicht autistisch aus»
Ich weiss, dass ich nicht viel Ähnlichkeit mit Sheldon Cooper habe
oder mit dem Kind der Kollegin der Grosstante deines ehemaligen Nachbars
«Ach, du bist doch normal»
Manche denken, das sei ein Kompliment
aber auch lieb gemeinter Ableismus ist verletzend
«Aber du bist doch oft unterwegs und hast Freunde»
Der Satz wird auch gern bei depressiven Episoden angewendet
«Aber sie kann ja Beziehungen aufbauen»
Das geht sogar ganz gut mit Leuten, die sagen, was sie meinen
anstatt mich auf eine Schnitzeljagd zu schicken, um die Intention ihrer Aussage zu finden
«Heute sind alle plötzlich autistisch»
Gestern waren wir auch schon autistisch
«Heute muss man allem einen Namen geben»
Dank dieses Namens kenne ich die Ursache von 90% meiner Probleme
und mein persönlicher Favorit
«Wir sind doch alle ein bisschen autistisch
Ich mache das auch»
Autisten sind auch keine Aliens
die übernatürliche Sachen machen
Ich weiss nicht, was du über Autismus weisst
aber
Ich möchte meinen Kopf gegen die Wand schlagen
wenn ich überstimuliert bin
aber ich mache es nicht
Ich möchte im Bus schreien, wenn ein Kind weint
aber ich mache es nicht
Ich möchte mein Plüschtier in der Öffentlichkeit bei mir haben und daran riechen
aber ich mache es nicht
Voller Scham trage ich weiterhin meine neurotypische Maske
verstecke mich im Dunklen
bis sich meine lunar-betriebene Batterie genug aufgeladen hat
für meine nächste Showeinlage
im oberflächlichen Theaterstück
das geschrieben ist für neurotypische Leute
und «tu doch nicht so empfindlich» heisst
Wenn ich dann wieder mal anfange, über Autismus zu reden
und mich die Leute verwirrt anschauen und fragen
«Aber was ist denn Autismus eigentlich?»
bin ich ziemlich überfordert und habe auf einmal auch keine Ahnung mehr
so als wäre ich nicht jeden Tag mit Herausforderungen konfrontiert
In Wirklichkeit ist es meistens nicht ein sozial inkompetenter,
komischer weisser Junge, der schreit,
aber dafür ein Mathegenie ist
Autisten sind keine Attraktion oder kein Spektakel
Auch ich bin nicht ein emotionsloses Superhirn
eher das Gegenteil
Ich bin eine hochsensible durchschnittliche Person
die sich nie merken kann, wo jetzt der Weichspüler und
wo das Waschmittel hinein kommt
Also was ist Autismus jetzt eigentlich für mich?
Als 20-Jährige weinend aus dem Restaurant rennen
weil das Besteck der anderen Leute zu laut auf die Teller schlägt,
Als 23-Jährige nervös neben meiner Mama stehen
während sie für mich den Zahnarzt anruft,
eine Reizüberflutung zu haben, wenn ich versuche
ohne Kopfhörer und Einkaufsliste einzukaufen,
mein Wissen über Neurodiversität von Reddit zu haben
weil es sich auf anderen Seiten
und im echten Leben so anfühlt
als würde es autistische Erwachsene
auf diesem Planeten gar nicht geben
Lieder meiner Lieblingskünstler erst Jahre später zu hören
weil Neues einfach zu schwierig ist
lieber an einem Metal Konzert zu sein
als mit zwei anderen Leuten im Wartezimmer zu sitzen
der unbewusste Drang, Geräusche nachzumachen
und dadurch in unangenehme Situationen zu geraten
jeden Morgen und Abend den gleichen Ablauf zu haben
auch wenn er überhaupt keinen Sinn macht
alltäglichen Gesprächen nicht folgen zu können
weil ein Licht flackert
mich so stark auf die «richtige» Menge an Blickkontakt zu konzentrieren
dass ich gar nicht richtig zuhören kann
vor Überforderung nicht mehr reden können
bestraft zu werden, weil man «zu ehrlich» ist
mich als Aussenseiter zu fühlen und nie zu wissen, wieso
sich einsam zu fühlen in einem vollen Raum
den Sinn von «Geht’s gut?» und anderen Lückenfüllern nicht zu verstehen
wenn meine ehrliche Antwort offensichtlich nicht erwünscht ist
schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich Aufmerksamkeit erhalte
weil ich meinen Platz in der Gesellschaft nicht kenne
oder weil er nicht existent ist
Anstatt das zu erklären
werde ich nervös
habe einen leeren Kopf und sage
«Ich habe einfach keinen Filter»
und hoffe, dass der Kieselstein an Information
den Fels an Fehlinformationen in Bewegung bringt.