Zehn Jahre nach der Ratifizierung der BRK – Wo steht die Schweiz heute?

Barbara Egloff

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-09-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 09/2024

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Am 14. April 2014 hat die Schweiz ein Zeichen gesetzt: Mit der Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) verpflichtete sie sich, die Chancengerechtigkeit zu fördern und jede Form von Diskriminierung zu verhindern. Am diesjährigen Schweizer Kongress für Heilpädagogik haben wir uns die Frage gestellt, inwiefern die Schweiz diesen Verpflichtungen in den letzten zehn Jahren tatsächlich nachgekommen ist.

Die BRK versprach einen bedeutenden Fortschritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft. Doch vielfach gibt es Kritik, dass dieses Versprechen nur auf dem Papier existiert und konkrete Taten fehlen. Es gibt in der Schweiz zwar Gesetze, die einzelne Forderungen der BRK aufgreifen. Doch bei der Umsetzung in die Praxis klaffen grosse Lücken. Barrierefreiheit ist beispielsweise vielerorts noch immer nicht gewährleistet (Buchmüller et al. in SZH/CSPS, 2024) und ein systematischer Ansatz zur Überwachung und Durchsetzung der Rechte fehlt (Egloff, 2024).

Auch im Bereich der Bildung und Chancengerechtigkeit gibt es zwar Fortschritte, aber das Bildungssystem bleibt eine Herausforderung für alle Beteiligten. Für eine Schule für alle wäre eine andere Ressourcenverteilung notwendig, um echte Chancengerechtigkeit zu gewährleisten (Lanners, 2024).

Letztlich sind die Erfahrungen und die Perspektiven von Menschen mit Behinderungen entscheidend. Die Partizipation auf allen Ebenen wird in der BRK betont, jedoch bisher nur teilweise erreicht. Die aktive Mitgestaltung von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen muss weiter gefördert werden. Viele Institutionen, Organisationen und Kantone haben Programme und Konzepte entwickelt, um die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. Diese Beispiele zeigen, dass inklusive Strukturen machbar sind. Solche Einzelinitiativen sollten keine Ausnahme bleiben, sondern mittels eines nationalen Aktionsplans flächendeckend implementiert werden.

Es bedarf also einer umfassenden, nationalen Strategie (siehe bspw. die abschliessenden Bemerkungen zum Initialstaatenbericht). Gesetze müssen nicht nur angepasst, sondern auch effektiv umgesetzt und überwacht werden. Bildungssysteme und Ressourcenzuweisungen müssen inklusiv gestaltet werden. Inklusive Institutionen müssen gestärkt werden, damit sie ihre guten Programme weiterverbreiten können. Vor allem aber muss die Stimme derjenigen Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, die es betrifft.

Gerne weise ich an dieser Stelle auf eine Publikation in unserem Verlag hin. In Band 2 der Reihe ProSpectrum kommen unterschiedliche Vertreter:innen zu Wort. Sie ziehen Bilanz in Bezug auf die Umsetzung der BRK und wagen einen Blick in die Zukunft (SZH/CSPS, 2024).

Dr. phil. Barbara Egloff

Vize-Direktorin

SZH/CSPS

barbara.egloff@szh.ch