DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-08-00
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 08/2024
Räume sind für eine inklusive Schule von entscheidender Bedeutung. Gut durchdacht und umgesetzt schaffen sie eine Umgebung, die Vielfalt und Chancengerechtigkeit fördert. Loris Malaguzzi (1920–1994) bezeichnete in der Reggio-Pädagogik den Raum sogar als «dritten Pädagogen» (terzo educatore). Die intensivere Auseinandersetzung mit der Dimension Raum in den Erziehungswissenschaften nimmt ihren Anfang in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Martina Löw und Jutta Ecarius veröffentlichten 1997 einen Sammelbeitrag mit dem Titel «Raum – eine vernachlässigte Dimension erziehungswissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung». In der Zwischenzeit sind verschiedene Publikationen zu diesem Thema erschienen. Das Buch «Raum und Inklusion. Neue Konzepte im Schulbau» (2018)[1] gibt Einblicke in mehrere bereits umgesetzte inklusive Schulbauten.
Inklusive Schulen sollten so gestaltet sein, dass sie für alle Lernenden zugänglich sind. Dies wird auch in der Behindertenrechtskonvention (BRK, Art. 9) gefordert. Menschen mit einer Behinderung muss also der gleichberechtigte Zugang zu Gebäuden einschliesslich Schulen gewährleistet werden. Um den vielfältigen Bedürfnissen der Schüler:innen gerecht zu werden, braucht es weiter flexible Lehr- und Lernformen, die individuelles und gemeinsames Lernen beziehungsweise Teilhabe ermöglichen. Dies erfordert auch neue Lernumgebungen. Wichtig sind flexible Räume, die einen dynamischen Wechsel zwischen den verschiedenen Lehr- und Lernformen ermöglichen und auch Ruhezonen oder Rückzugsmöglichkeiten anbieten. Nicht zuletzt müssen auch die Lehrenden in diesem neuen Raum mitgedacht werden: Sie sind keine Einzelkämpfer:innen mehr, sondern sie arbeiten vielmehr im Team als Lernbegleitungen. Weniger trennende Wände können zu mehr Austausch und Kooperation unter den Lehr- und Fachpersonen führen.
Der Hauptpreis des Deutschen Schulpreises wurde dieses Jahr der Siebengebirgsschule aus Bonn zugesprochen. Die Schüler:innen lernen dort selbstbestimmt ohne klassischen Stundenplan und ohne feste Klassenräume. Die Klassenzimmer und das Lehrerzimmer wurden abgeschafft. Die Kinder zeigen sich seither nicht nur motivierter, sondern sie erzielen auch bessere Lernergebnisse. Wie ich an einer Präsentation des Schulleiters Achim Bäumer erfahren habe, waren diese Anpassungen ein längerer Prozess im Rahmen einer Schulentwicklung. Etappenweise Veränderungen lassen ein kontinuierliches, gemeinsames Wachsen zu und wirken nachhaltiger. In diesem Sinne plädiere ich dafür, mit kleinen Schritten zu beginnen, um weiterzukommen.
Thomas Wetter Information und Dokumentation SZH/CSPS |
Kricke, M., Reich, K., Schanz, L. & Schneider, J. (2018). Raum und Inklusion. Neue Konzepte im Schulbau. Beltz. ↑