Einblicke in das Berufsbild und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten von Logopäd:innen
Zusammenfassung
Die Logopädie im Schulbereich steht vor den Herausforderungen eines sich wandelnden Berufsfeldes. Von der Diagnostik der Sprachentwicklung bis zur Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams erstreckt sich das Aufgabenfeld von Logopäd:innen weit über die Therapie hinaus. Im Beitrag werden anhand der Perspektiven einer Masterstudentin, die auch als Praktikumsleiterin tätig ist, sowie einer Leiterin eines logopädischen Dienstes verschiedene Aufgabenfelder und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung von Logopäd:innen im schulischen Umfeld aufgezeigt. Wie sich zeigt, bedarf es einer Klärung der Zuständigkeiten innerhalb des Berufsfeldes sowie (akademischer) Aus- und Weiterbildungen, um die Logopädie als qualifizierte Berufsgruppe und Profession in einem sich ständig weiterentwickelnden Umfeld zu positionieren.
Résumé
La logopédie en milieu scolaire se trouve confrontée aux défis d'un domaine professionnel en pleine évolution. Du diagnostic du développement du langage à la collaboration au sein d'équipes multiprofessionnelles, le champ d'action des logopédistes s'étend bien au-delà de la seule prise en charge thérapeutique individuelle. L'article présente les différentes missions et opportunités de développement professionnel des logopédistes en milieu scolaire à travers les témoignages d'une étudiante en master, également maitre de stage, et d'une responsable d'un service de logopédie. Il s'avère qu'une définition claire des responsabilités au sein de la profession ainsi qu'une formation initiale et continue (académique) sont nécessaires pour positionner l'orthophonie en tant que profession et corps de métier qualifié dans un environnement en constante évolution.
Keywords: Logopädie, Berufsbild, Berufsfeld, berufliche Qualifikation, Weiterbildung / logopédie, description de la profession, champ professionnel, qualification professionnelle, formation continue
DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-05-07
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 05/2024
Die Logopädie ist eine akademische interdisziplinäre Disziplin, die sich aus Kenntnissen von Disziplinen wie der Medizin, der Psychologie, der Sonderpädagogik und der Linguistik nährt (vgl. dazu auch Ritterfeld, 2014). Daraus resultiert ein Schnittstellenberuf, der die verschiedenen Bereiche miteinander vereint. Die Logopädie in der Schule bewegt sich dynamisch zwischen verschiedenen Altersgruppen und spezialisierten Anforderungen. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Diagnostik und der therapeutischen Begleitung kindlicher Sprachentwicklung im Bereich der mündlichen und schriftlichen Sprache (inkl. Dyslexie / Lese-Rechtschreibschwäche), des Sprechens, der Kommunikation, des Redeflusses, der Stimme, des Schluckens sowie der Legasthenie (EDK, 2007).
Die zunehmende Vielschichtigkeit der logopädischen Praxis verlangt von Logopäd:innen, ihre Kenntnisse in den Bereichen Sach-, Methoden- und Dialogkompetenz stetig weiterzuentwickeln. Begrenzte zeitliche Ressourcen und die Komplexität der Störungsbilder bei Kindern in Regelschulen erfordern vermehrt ein vertieftes Verständnis der Sprachentwicklung. Zudem beinhaltet der Qualitätsanspruch der heutigen Logopädie die Fähigkeit zur effektiven Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams und mit betroffenen Familien, um den gemeinsamen Zusammenhalt und Austausch zu fördern. Die Aufgaben von Logopäd:innen erstrecken sich somit weit über die direkte therapeutische Intervention hinaus: Beratung für Lehrpersonen, Organisationsmanagement, Mehraufwand aufgrund des Fachkräftemangels und die Bewältigung der in der Praxis wahrgenommenen steigenden Zahlen von Kindern mit komplexen Störungsbildern sind einige Beispiele dafür.
Die stetige Zunahme eigenständiger logopädischer Forschung verlangt von Logopäd:innen, sich kontinuierlich mit den optimalen Behandlungsmethoden für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen auseinanderzusetzen (Lauer, 2014). Dabei ist es entscheidend, dass logopädische Fachkräfte in der Lage sind, den aktuellen fachlichen Wissensstand zu evaluieren und auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen anzuwenden (ebd.). Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse als wesentlich für die Fundierung professioneller Lösungsansätze angesehen werden, stellt die Wissenschaft keine direkten praxisorientierten Handlungsanweisungen bereit (Zimmermann & Hansen, 2021). «Gerade fehlende oder widersprüchliche Evidenzen erfordern ein hohes Maß an wissenschaftlich-kritischer Reflexion in Bezug auf den Einsatz diagnostischer und therapeutischer Methoden» (ebd., S. 27). Logopäd:innen müssen imstande sein, externe Evidenzen wie empirische Ergebnisse oder wissenschaftliche Belege zu recherchieren, deren Qualität sicher einzuschätzen und nachzuweisen (ebd.).
Wenn bei der Planung und Durchführung von logopädischen Behandlungen der aktuelle Wissens- und Forschungsstand bedacht und in die individuelle Fallstruktur integriert wird, spricht man von evidenzbasiertem Arbeiten (Schräpler, 2017). Die sogenannte Evidenzbasierte Praxis (EBP = evidence best practice) steigert die Qualität therapeutischer Angebote und bietet somit eine effektive Grundlage für wirksames Arbeiten (Kempe Preti, 2013).
Die evidenzbasierte Therapie, als spezifisches EBP-Konzept übertragen auf die Logopädie, besteht aus drei Einflussgrössen: der externen Evidenz (empirische Belege) und den beiden internen Evidenzen, bestehend aus Erfahrungswissen der Fachpersonen und den Möglichkeiten der Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung (Beushausen, 2011, zit. nach Kempe Preti, 2013, S. 5). Abbildung 1 visualisiert diese drei Einflussgrössen der evidenzbasierten Therapie.
Die externe Evidenz umfasst empirische Belege wie randomisierte kontrollierte Studien, Kontroll- oder Fallstudien sowie Expertenmeinungen. Sie dient als Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen in der Therapie. Die internen Evidenzen beziehen sich auf das Erfahrungswissen der Fachpersonen und die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung. Die beiden internen Evidenzen tragen dazu bei, die Therapie an die spezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes anzupassen.
Beushausen und Grötzbach (2018, zit. nach Zimmermann & Hansen, 2021, S. 188) sehen die Anwendung von EPB im Praxisalltag als logopädisches Selbstverständnis, wobei auch hier der Zeitaspekt, mangelnde EBP-Kompetenzen der logopädischen Fachpersonen, erschwerte Zugriffe auf Forschungsergebnisse sowie die Schwierigkeit, jene Erkenntnisse angemessen auf individuelle Fälle zu transferieren, als mögliche Hinderungsgründe genannt werden.
Die Erweiterung logopädischen Wirkens erstreckt sich nach den offiziellen Qualitätsrichtlinien des Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverbandes[1] (DLV, 2023) nicht nur auf die fachlichen Kenntnisse, sondern auch auf die Ebenen der Organisation, des Personals (Leistungserbringer:innen) sowie der Kinder und Eltern (Leistungsbezüger:innen). Die Richtlinien des DLVs gelten für den medizinisch- und den pädagogisch-therapeutischen Bereich der Logopädie und beziehen sich auf sämtliche logopädische Interventionen. Die Klärung der berufsspezifischen Leistungen und die konkrete Ausformulierung der Pflichtenhefter der logopädischen Fachpersonen liegen dabei im Verantwortungsbereich der Institutionen, an welchen die logopädischen Fachpersonen angestellt sind, das heisst beispielsweise in der Verantwortung der Gemeinde oder der Institution (z. B. öffentliche Schule oder Sonderschule). Da diese die Pflichtenhefter unterschiedlich festlegen, resultieren grössere Unterschiede in den Zuständigkeiten und Kompetenzanforderungen an die Logopäd:innen oder beispielsweise auch an eine Leitung eines logopädischen Dienstes2. Dies kann zu einem Mangel an klaren Richtlinien und zu unklaren Aufgabenbereichen von Logopäd:innen führen, was letztlich auch die Zusammenarbeit (z. B. innerhalb multiprofessioneller Schulteams) erschwert.
Während sich das Fachgebiet der Logopädie ständig weiterentwickelt, eröffnen sich für die Logopäd:innen zahlreiche Möglichkeiten wie beispielsweise die Chance zur Spezialisierung in einzelnen Fachbereichen, die aktive Beteiligung an Forschungsprojekten, die kontinuierliche Weiterbildung oder die eingehende Anwendung der Wissenschaft im Praxisalltag nach dem Prinzip der EPB. Die Diversität der beruflichen Herausforderungen und die verschiedenen Einflussfaktoren auf eine Behandlungsmassnahme betonen die Vielfalt und Reichweite der Logopädie als Berufsfeld und zeigen, dass die Fähigkeiten und Expertisen in diesem Bereich weit über die traditionelle Vorstellung der Sprachtherapie hinausgehen.
In einem sich stetig weiterentwickelnden logopädischen Umfeld werden im Folgenden die Erfahrungen und Perspektiven der beiden Autorinnen Nicole Kamer und Nicole Casamassima betrachtet. Nicole Kamer ist Masterstudentin (MA) der Logopädie und Praktikumsleiterin (PL). Nicole Casamassima ist diplomierte Logopädin und Leiterin eines logopädischen Dienstes (LL). Beide logopädischen Fachpersonen sind im logopädischen Dienst Linthgebiet[2] im Kanton St. Gallen tätig. Dieser Dienst ist ein Zweckverband verschiedener Gemeinden und orientiert sich an den mit den Schulträgern (Schulgemeinden) vereinbarten Bestimmungen. Unter der logopädischen Leitung von Nicole Casamassima arbeiten hier zurzeit 22 Logopädinnen an 21 dezentralisierten Standorten (in unterschiedlichen Gemeinden).
Die folgenden Abschnitte beleuchten verschiedenen Stationen in der beruflichen Laufbahn der beiden Autorinnen und zielen darauf ab, die Leserschaft über Entwicklungsmöglichkeiten und unterschiedliche Aufgaben und Funktionen von Logopäd:innen im schulischen Bereich zu informieren. Durch die Fokussierung auf schulische Kontexte werden in diesem Beitrag logopädische Praxen, der Erwachsenenbereich und sonderpädagogische Einrichtungen nicht primär berücksichtigt.
Nicole Kamer (MA, PL): Nach meinem Abschluss im Bachelorstudium Logopädie (Bachelor of Arts Hochschule für Heilpädagogik in Speech and Language Therapy) und einigen Jahren Berufspraxis als Logopädin habe ich mich für einen weiterführenden Masterstudiengang an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) Zürich in Teilzeitform entschieden, um meine Kenntnisse zu intensivieren und meine beruflichen Horizonte zu erweitern. Während ein Bachelorabschluss es ermöglicht, Forschungsergebnisse zu verstehen, fehlt nach Ritterfeld (2014) oft die Fähigkeit zur eigenständigen Forschung. Ein darauffolgender Masterabschluss hingegen befähigt dazu, selbstständig zu forschen (ebd.). Dies ermöglicht es mir, künftig einen Beitrag zur Wissensentwicklung und Innovation in meinem Fachgebiet zu leisten. Beispielsweise befasse ich mich in meiner aktuellen Masterthese mit dem Thema «Nutzung eines digitalen Bilderbuches in der logopädischen Therapie mit Kindern». Dabei interessieren mich die Integration digitaler Medien in den logopädischen Alltag sowie die Auseinandersetzung mit der Nutzung schnell wachsender und kontrovers diskutierter Technologien im Umgang mit Kindern besonders.
Durch meine mehrjährige Berufserfahrung als ausgebildete Logopädin und zahlreiche Fortbildungen zu verschiedenen Therapieansätzen wie beispielsweise dem Patholinguistischen Ansatz (PLAN) oder der Freiburger Rechtschreibschule (FRESCH) habe ich meine Kenntnisse im logopädischen Feld erweitert und kann deshalb heute auch Praktikumsstellen für angehende Logopäd:innen anbieten. Da sich unser Dienst im Kanton St. Gallen befindet, betreuen wir im Logopädischen Dienst Linthgebiet vorwiegend Studierende der HfH Zürich und der Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach (SHLR). Die Praktika werden jeweils an die Vorgaben der Ausbildungsinstitution angepasst, wodurch sich für die Praktikumsleiter:innen immer wieder andere Anforderungen ergeben.
Nicole Casamassima (LL): Ich bin als Primarlehrerin (Matura, anschliessendes Oberseminar) ins Berufsleben gestartet und habe zwei Klassenzüge als Klassenlehrerin begleitet. Weil mich die Spezialisierung in eine Richtung und die Möglichkeit, mit den Kindern im Einzelsetting zu arbeiten, interessiert hat, habe ich anschliessend das dreijährige Vollzeitstudium der Logopädie an der HfH Zürich absolviert. Aktuell besteht die Möglichkeit, das Studium in Vollzeit (3 Jahre) oder als vier- oder fünfjähriges Teilzeitstudium (Bachelor) zu durchlaufen (z. B. an der HfH Zürich, an der SHLR in Rorschach oder an der Universität Freiburg).[3] Mein logopädischer Berufseinstieg ist in einem logopädischen Dienst im Kanton St. Gallen erfolgt. Ein knappes Jahr später habe ich das DAS Schulleitung (Diploma of Advanced Studies) an der Akademie für Erwachsenenbildung begonnen und zeitgleich die Leitungsstelle im logopädischen Dienst übernommen. Der Hauptfokus der Weiterbildung für Schulleitungspersonen bestand in den Bereichen der Organisation und des Managements von Schulen in pädagogischer, personeller, organisatorischer, finanzieller und rechtlicher Hinsicht.
Nicole Kamer (MA, PL): Im Rahmen des konsekutiven Masterstudienganges an der HfH Zürich bauen die Studierenden ihre Fachkenntnisse aus, die sie im vorangegangenen Bachelorstudium erworben haben. Aktuell befinde ich mich im letzten Abschnitt meines Masterstudiums, in dem der Fokus auf vertieftem wissenschaftlichem Arbeiten liegt. Spezifisch das Modul «Leadership und interprofessionelle Zusammenarbeit» erweitert meine praktischen Erfahrungen und gewährt mir Einblicke in strategische Entscheidungsprozesse, welche speziell auf eine mögliche Leitungsposition abzielen. Ich strebe an, meine Expertise in der Logopädie im Schulbereich auszubauen und mich künftig in den Bereichen Lehre oder Forschung zu engagieren. Die HfH Zürich prüft gegenwärtig die Realisierbarkeit eines Doktorats in Logopädie. Dies würde einen vielversprechenden Weg bieten, um eigene Ambitionen im Bereich der Forschung zu intensivieren und mögliche Wege für die berufliche Entwicklung zu eröffnen.
Als Praktikumsleiterin (PL) ist es mir ein Anliegen, angehende Logopäd:innen zu unterstützen und zu motivieren, sich aktiv in unserem Berufsfeld zu engagieren. Ebenfalls lebe ich die stetige Reflexion meines therapeutischen Selbstverständnisses und Handelns vor. Die therapeutische und kinderorientierte Arbeit erfordert neben dem Methodenwissen eine Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, damit eine lernunterstützende Beziehung zum Kind aufgebaut werden kann. Diese trägt unmittelbar zum Therapieerfolg bei. Mit grosser Freude gebe ich mein umfangreiches Wissen weiter und möchte die nächste Generation von Logopäd:innen inspirieren. Weiter liegt mir am Herzen, auf verschiedene Karrieremöglichkeiten hinzuweisen. Ich denke dabei an den Erwerb eines CAS (Certificate of Advanced Studies) im Bereich der Logopädie, wie beispielsweise im Bereich der Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) oder Sprachstörungen im Kleinkindalter, oder an die Teilnahme an praxisrelevanten Weiterbildungen. Um die eigene berufliche Expertise kontinuierlich zu erweitern, sehen die Qualitätsrichtlinien des DLV (2023) die selbstständige Weiterbildung durch Lesen von Fachartikeln vor.
Nicole Casamassima (LL): Die anspruchsvolle Aufgabe einen logopädischen Dienst mit über 20 Logopäd:innen zu leiten, verlangt nach vielfältigen Kompetenzen und einer hohen Führungsqualität. Deshalb haben ausgebildete Schulleiter:innen eine gute Basis, um auch in der Privatwirtschaft, in der Aus- und Weiterbildung oder der Personalentwicklung eine Stelle zu bekommen. Innerhalb des Schulsystems wären weitere Führungspositionen wie beispielsweise die Führung einer Schule oder die Leitung einer Institution (z. B. im sonderpädagogischen Bereich) als mögliche Perspektiven denkbar.
Nicole Kamer (MA, PL): Die begrenzten finanziellen Aussichten in der Logopädie resultieren aus bestehenden kantonalen Vorgaben. Diese erschweren eine einheitliche Anpassung der Löhne im gesamten Berufsfeld sowohl mit wie auch ohne Zusatzausbildungen. Der DLV oder der Berufsverband St. Galler Logopädinnen und Logopäden (BSGL) haben bislang keine Initiative für Lohnänderungen bei Abschluss einer Masterausbildung eingeleitet. Optimierungsüberlegungen für eine transparentere und potenziell attraktivere Vergütung in der Branche sind meiner Meinung nach dringend notwendig. Eine grosse Herausforderung besteht darin, dass es derzeit keine klar definierten Positionen oder spezifischen Aufgaben für die neue Funktion einer Logopäd:in mit Masterabschluss gibt. Dies motiviert mich dazu, aktiv nach Möglichkeiten zu suchen, wie meine erweiterte Qualifikation zur Logopädin MA besser anerkannt oder genutzt werden kann.
Die Grenzen meiner Ausbildung als Praktikumsleiterin (PL) in der Logopädie manifestieren sich in begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten und einer gewissen Stagnation in der beruflichen Entwicklung. Die logopädische Branche zeigt aktuell keine klaren Karriereleitern oder spezifischen Positionen für erfahrene Fachleute auf, was eine gewisse Unklarheit bezüglich beruflicher Perspektiven schafft. Dies ruft den Wunsch hervor, strukturelle Veränderungen in der Branche zu fördern, um eine bessere Anerkennung und Wertschätzung für erfahrene Logopäd:innen zu ermöglichen. Es ist mir ein Anliegen, die Logopädie als Disziplin zu positionieren und ihre Profession zu stärken.
Nicole Casamassima (LL): Die Logopädie stellt sowohl einen wissenschaftlichen Fachbereich dar als auch eine eigenständige Profession (DLV, 2012). Nicht so die «Logopädische Leitung», diese ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Profession und auch kein eigentlicher Beruf. Damit klare Aufgabengebiete und Schnittstellen definiert werden können, sollte auch hier eine anerkannte Berufsbezeichnung etabliert werden. Überlappungen der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche, beispielsweise zwischen einer «Logopädischen Leitung» und einer «Schulleitung» mit der Schnittstelle des Personalwesens, oder Überlappungen mit einer «Sonderpädagogischen Leitung» in Bezug auf Triagierung und sonderpädagogische Entscheidungen (z. B. Wahl oder Empfehlung für ein geeignetes Schulsetting für ein Kind) müssen in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachpersonen wie etwa der Schulbehörde, den Fachlehrpersonen und den Logopäd:innen geklärt und geregelt werden. Für diese Klärung von Zuständigkeiten, Ressourcen und Zusammenarbeitsbedingungen braucht es «Zeit» und ein Schnittstellenmanagement (Braun, 2020). Der Verband der Schulleitungen Zürich (VSLZH) hat eine solche professionsspezifische Klärung und Abgrenzung für die noch junge Profession der Schulleitung (Primar- und die Sekundarstufe I) formuliert, indem ein «Berufsbild» und ein «Berufsleitbild Schulleitung» gestaltet wurde (vgl. Profession Schulleitung – Website des VSLZH). Letzteres wurde später leicht angepasst und für die ganze Deutschschweiz übernommen (VSLCH, 2015). Der Bereich der Logopädie mit seinen Logopäd:innen hingegen ist in jedem Kanton unterschiedlich organisiert und an die Schule angegliedert. Entsprechend gibt es unterschiedliche Schnittstellen. Es existiert kein schweizweites Zuständigkeitskonzept. Ein solches wäre wünschenswert und könnte beispielsweise in Form eines Leitfadens zur Weiterentwicklung des Berufsfelds beitragen.
Die verschiedenen aufgezeigten Aufgabenbereiche und Funktionen in der schulischen Logopädie bieten individuelle Karrierewege von akademischen Laufbahnen bis hin zu praktischer Erfahrung und Weiterbildung mit zukünftigen Möglichkeiten in Forschung, Lehre und leitenden Positionen.
Allerdings stossen Logopäd:innen in allen Funktionen auf unterschiedliche und individuelle Herausforderungen, insbesondere als Masterstudent:in in Bezug auf finanzielle Aussichten, Karrierewege und Berufsbezeichnungen, die eine verbesserte Anerkennung und Entwicklungsmöglichkeiten in der Logopädie erfordern. Die logopädischen Fachleute erweitern ihre individuelle Expertise durch akademische Studiengänge und kontinuierliche Weiterbildung. Die Förderung der Berufslaufbahnen ist mitentscheidend für die Professionalisierung, Weiterentwicklung und Qualitätssicherung des logopädischen Berufsfeldes und unterstreicht zugleich die Bedeutung der einzelnen Funktionen in der Logopädie. Weiter unterstützt eine erweiterte Professionalisierung die Klärung der Zuständigkeiten und den Transfer von Fachwissen. Die Fähigkeit, evidenzbasierte Praktiken (EBP) in die Ausbildung zu implementieren, ist essenziell, um auch zukünftig die höchsten Qualitätsstandards in der logopädischen Praxis zu gewährleisten und den Anforderungen an Transparenz und Verantwortlichkeit gerecht zu werden. Die Einhaltung hoher Qualitätsstandards ist in jedem Fachbereich unerlässlich und erfordert regelmässige Selbstevaluation aller Fachpersonen in sämtlichen Berufsgruppen. Die Teilnahme an Weiterbildungen und akademischen Programmen ist heute bedeutender denn je, um den stetig wachsenden Anforderungen gerecht zu werden und – in unserem Falle – der Profession Logopädie eine nachhaltige und selbstständige Position in der Therapielandschaft zu geben.
Nicole Casamassima | Nicole Kamer Logopädischer Dienst Linthgebiet |
Braun, W. G. (2020). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile ... aber das Ganze fordert Kommunikation, Konzepte und Ressourcen. DLVAKTUELL, 1, 6–7.
DLV (Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband) (2012). Berufsbild Logopädie. Ein Klang – ein Laut – ein Wort, das mehr verspricht, als ein solches zu bleiben. https://www.logopaedie.ch/sites/default/files/u802/DLVintern/DLVD_berufsbild_A5%209_NeueAdr.2014.pdf
DLV (Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband) (2023). Qualitätsrichtlinien. Logopädie. https://www.logopaedie.ch/sites/default/files/u802/Qualitaet/DLVD_qualirichtlinien_2024.5.pdf?583
EDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren) (2007). Einheitliche Terminologie für den Bereich der Sonderpädagogik, von der EDK am 25. Oktober 2007 verabschiedet gemäss der Interkantonalen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik. https://edudoc.ch/record/25914/files/Terminologie_d.pdf
Kempe Preti, S. (2013). EBP – eine Anleitung zum Therapieerfolg? Kritische Auseinandersetzung anhand eines Fallbeispiels. SAL-Bulletin, 148, 5–16.
Lauer, N. (2014). Gestern Arbeit – heute Beruf – morgen Professorin? Forum Logopädie, 28 (3), 25–27.
Ritterfeld, U. (2014). Eine wissenschaftliche Karriere. Forum Logopädie, 28 (3), 32–33.
Schräpler, U. (2017). Das Berufsfeld entwickeln und sichtbar machen. DLVAKTUELL, 2, 4–5.
VSLCH (Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz) (2015). Berufsleitbild Schulleitung. Fislisbach. https://edudoc.ch/record/117095?ln=de
Zimmermann, F. & Hansen, H. (2021). Qualitative Forschungsmethoden zur Erweiterung einer logopädischen Professionalität. Logos, 29 (3), 184–194.
vgl. Webseite des Verbandes: https://www.logopaedie.ch/
2 Ein logopädischer Dienst bietet diagnostische, therapeutische und präventive Unterstützung bei Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. ↑
vgl. Webseite des Dienstes: https://www.logopaedie-linthgebiet.ch/index.html ↑
Einen guten Überblick über alle Studiengänge in der Schweiz gibt https://www.berufsberatung.ch/dyn/show/27146 ↑