Kinder und ihre Eltern im Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken

Silvia Schnyder

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-04-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 04/2024

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Neulich war ich an einer Lesung von Sara Satir. Anhand von Passagen aus ihrer Kolumne «Der andere Blick», die regelmässig im Migros Magazin erscheint, erzählte sie aus ihrem Alltag als Mutter eines Sohns mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Mal bringen die Geschichten einen zum Lachen, mal regen sie zum Nachdenken an. Auf eindrückliche Art berichtete sie, dass sie sich in den ersten Jahren nach der Geburt ihres Sohns «dauerschuldig» gefühlt hat: Hat sie während der Schwangerschaft etwas getan, das ihrem Kind geschadet hat? Sie erzählte von ihrem damaligen Alltag, der vollgestopft war mit Therapien jeglicher Art. Trotzdem fragte sie sich, ob sie genug für ihren Sohn gemacht hatte. Inzwischen hat Sara Satir gelernt, dass, wann immer ihr eine innere Stimme Schuldgefühle einflüstern will, sie dieser eine bestärkende innere Stimme gegenüberstellt. Sie weiss mittlerweile auch, dass es eine Entscheidung aus Liebe ist, Entlastung anzunehmen. Diese Einsichten haben sie davor bewahrt, in der Mitte des Marathons stehen zu bleiben. Denn sie bezeichnet die Aufgabe, ein Kind mit einer Behinderung grosszuziehen nicht als Sprint, sondern als Marathon. Man schaffe es nur, wenn man zu sich selbst Sorge trage. Auf berührende Weise berichtete sie darüber, dass Eltern von einem Kind mit Behinderung insbesondere in der Zeit der Frühen Bildung noch sehr verletzlich und unsicher sind.

Es ist enorm wichtig, Eltern in belastenden Zeiten zu stärken – nicht nur für ihr eigenes Wohlbefinden, sondern auch für ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Denn nichts wirkt auf Eltern so bestärkend wie das von aussen entgegengebrachte Vertrauen, etwas aus eigener Kraft zu schaffen. Dadurch wird das Vertrauen der Eltern in die eigenen Fähigkeiten auch als Ansatzpunkt für die Heilpädagogische Früherziehung interessant. Wenn Eltern sich sicher und gestärkt fühlen, können sie die Förderziele und -vorschläge in den täglichen Umgang mit dem Kind integrieren. Dies trägt der Entwicklung des Kindes bei und die Eltern erleben sich als kompetent. Kinder und auch ihre Eltern können auf dieser Basis das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln.

Für die Zusammenarbeit mit Familien bedeutet dies, dass es im Wesentlichen darum geht, noch mehr die Stärken, Kompetenzen und Ressourcen der Familien zu finden und zu fördern, statt Defizite zu beschreiben. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass Familien durchaus schwierige Situationen erleben und darunter leiden können. Denn auch von wohlgemeinten Ratschlägen aus dem Umfeld hat Satir berichtet: Man müsse nur die «richtige innere Haltung» haben, damit alles gut wird.

Die Beiträge der aktuellen Ausgabe enthalten viele Anregungen, wie Kinder und deren Eltern in der Frühen Bildung gestärkt werden können. Sie zeigen zudem auf, dass sich der Fokus vor allem in der Frühen Bildung noch mehr weg vom Expertentum und stärker hin zur Beratung und Begleitung der Familie verschieben muss.

Demselben Thema widmet sich übrigens auch die Publikation von Raphaela Staiger-Iffländer, die noch in diesem Jahr in unserem Verlag erscheinen wird.

Silvia Schnyder

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

SZH/CSPS

silvia.schnyder@szh.ch