Unterricht für alle braucht Lehrmittel für alle

Lehrmittelentwicklung für inklusiven Unterricht zwischen Didaktik, Diversität und Digitalität

Silvia Pool Maag

Zusammenfassung
Gesellschaftliche Entwicklungen wie Digitalisierung, Kompetenzorientierung und schulische Inklusion haben dazu beigetragen, dass Unterricht sich weiterentwickelt hat. Welche Anforderungen stellt inklusiver Unterricht an die Lehrmittel der Zukunft? Eine Untersuchung, bestehend aus einer Literaturanalyse zu unterrichtsbezogenen Veränderungen und einer Befragung von Expert:innen, zeigt: Je heterogener die Lernbedürfnisse und die Leistungsvoraussetzungen in Lerngruppen sind, desto höher sind die Anforderungen an Lehrmittel, Lernaufgaben und die Steuerungsfunktion von Lehrmitteln im Unterricht. Digitale, analoge sowie multi-fachliche Zugänge zu übergeordneten Bildungsthemen sind zu stärken nebst Lernen am gemeinsamen Gegenstand, Barrierefreiheit und qualitativer Differenzierung.

Résumé
Les évolutions sociétales telles que la numérisation, l’accent mis sur les compétences et l'inclusion scolaire ont contribué à faire évoluer l'enseignement. À quelles exigences doivent répondre les moyens d’enseignement de demain pour satisfaire à l'enseignement inclusif ? Une étude, composée d'une revue de la littérature sur les changements liés à l'enseignement et d'une enquête auprès d'expertes et experts, montre que : plus les besoins de soutien et les exigences d'apprentissage par groupe sont hétérogènes, plus les exigences envers les moyens d’enseignement, notamment en tant qu’outil de pilotage, ainsi qu’envers les activités d'apprentissage sont élevés. Il convient alors de renforcer les accès numériques, analogiques et multidisciplinaires des thèmes principaux, en plus de l'apprentissage en commun, de l'accessibilité et de la différenciation qualitative.

Keywords: Lehrmittel, inklusiver Unterricht, digitale Transformation, Heterogenität, Diversität, Universal Design, Barrierefreiheit / moyen d'enseignement, enseignement inclusif, transformation numérique, hétérogénéité, diversité, conception universelle, accessibilité

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-02-02

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 02/2024

Creative Common BY

Ausgangslage und Problemstellung

Unterricht findet vermehrt inklusiv, assistiert, barrierefrei und im Teamteaching statt. Er orientiert sich am gemeinsamen Gegenstand und erfolgt fächerübergreifend (in altershomogenen und durchmischten Lerngruppen) oder klassenübergreifend (in Lernlandschaften). Das hat Folgen für die Lehrmittel. Anlässlich des Lehrmittelsymposiums 2023 der Interkantonalen Lehrmittelzentrale (ilz) wurde unter anderem diskutiert, ob und wie inklusive Bildung den Unterricht verändert und damit auch die Anforderungen an Lehrmittel. Die folgende Analyse geht der Frage nach, welche Anforderungen inklusiver Unterricht an (digitale) Lehrmittel der Zukunft stellt. Der Analyse grundgelegt sind 1) eine Literaturanalyse zu unterrichtsbezogenen Veränderungen und 2) eine Befragung von Expert:innen, Lehr- und Fachpersonen zu Anforderungen an Lehrmittel für inklusiven Unterricht. Der Ergebnisbericht folgt den Schritten der Analyse.

Perspektiven auf Unterricht

Paradigmenwechsel von der Fach- zur Kompetenzorientierung

Lehrmittel tragen zur Erreichung von Bildungszielen – neuerdings Grundkompetenzen – bei. Dieser Paradigmenwechsel von der Fach- zur Kompetenzorientierung erreichte die Berufsbildung Anfang der 2000er-Jahre und im Jahr 2014 die Volksschule mit dem Lehrplan 21. Damit richtete sich der Fokus bildungsstufenübergreifend verstärkt auf Lern- und Bildungsprozesse: Lernzugänge reflektieren, Theorie und Praxis verbinden sowie überfachliche Kompetenzen für übergreifende Themen adressieren.

Abbildung 1 stellt den Paradigmenwechsel mit Bezug zur Funktion von Lehrmitteln stark vereinfacht dar. Lehrmittel orientierten sich vor der Kompetenzorientierung an einer fachlichen Logik (linke Seite der Grafik). Lehrpersonen nutzten die vorgelegte Systematik in den Lehrmitteln für ihren Klassenunterricht, der am Durchschnittskind orientiert war (Labhart et al., 2018).

Abbildung 1: Paradigmenwechsel von der Fach- zur Kompetenzorientierung (eigene Darstellung)

Mit dem kompetenzorientierten Lehrplan 21 und der Lehrplan-Erweiterung für Menschen mit komplexen Behinderungen liegt erstmals ein Lehrplan für alle Kinder und Jugendlichen in der Schweiz vor. Damit rücken vermehrt die Lernenden ins Zentrum didaktischer Entscheidungen (rechte Seite der Grafik). Bei Lernaufgaben wird nun ein verstärkter Fokus auf Lernbedürfnisse, -interessen und -voraussetzungen gerichtet. Diese Verschiebung des Fokus führte in Verbindung mit der inklusiven Bildung zu Veränderungen des Unterrichts. Stärker betroffen ist die Oberflächenstruktur von Unterricht wie Sozialformen, methodisches Setting oder Medien (Erweiterungen kursiv gesetzt), was auch für Lehrmittel und ihre Steuerungsfunktion folgenreich ist.

Dimensionen von inklusivem Unterricht

Für inklusiven Unterricht gelten weitgehend dieselben lerntheoretischen Grundsätze wie für den herkömmlichen Unterricht. Veränderungen der Oberflächenstruktur werden in der empirischen Unterrichtsforschung als «neue Unterrichtsarchitektur» bezeichnet (Reusser, 2020, S. 251). Inklusive Bildung hat die Schülerschaft in Regelklassen verändert und erfordert einen vielfältigeren Unterricht, worauf Indikatoren für inklusiven Unterricht hinweisen. Veränderungen betreffen beispielsweise die individuelle Förderung, die Kooperation der Fachkräfte oder die barrierefrei zugängliche Lernumgebung sowie ergonomische Raumbedingungen. Des Weiteren empfohlen werden vielfältige schülerorientierte Angebote, um Lernprozesse zu fördern (kooperativ, individuell, lehrend, entdeckend, offen, strukturiert), Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten wie auch eine vielfältige Methoden- und Mediennutzung. Die Klassenführung soll die gegebene Vielfalt als Ressource einbeziehen und ein lernförderliches Klima schaffen, beispielsweise durch eine Sprache, die frei von Beleidigungen und Diskriminierungen ist (Baumert & Vierbuchen, 2018). Inklusiver Unterricht profiliert sich entlang von vier Dimensionen (zusammenfassend Pool Maag, 2021):

  1. Einstellung und Haltung der Lehr- und Fachpersonen: Anerkennung der Vielfalt und Individualität der Lernenden, Akzeptanz ihrer Unterschiedlichkeit
  2. curriculare Inklusion: systematische Lernverlaufsdiagnostik, didaktische Integration individueller Bildungspläne, adaptiver Unterricht und Binnendifferenzierung, spezifische Förderangebote, individuelle Lernunterstützung, personalisierte Hilfsmittel
  3. soziale Inklusion: Herstellung von Gemeinsamkeit durch Kooperation, aktive Austausch- und Aneignungsprozesse am gemeinsamen Gegenstand, Berücksichtigung situativer Bedürfnisse, Gemeinschaftspflege
  4. professionelle Gemeinschaft und Kooperation: Co-Teaching, Zusammenarbeit mit Fachpersonen, Assistenzen, Lehrkräften und Eltern

Ein Schwerpunkt im inklusiven Unterricht sind die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit sowie der Teilhabegehalt von Bildungsangeboten (Meier-Popa & Salamin, 2020). Lernaufgaben, die individuelles Lernen und Lernen am gemeinsamen Gegenstand fördern sowie Zugänge zu überfachlichen Themen eröffnen, erfüllen eine Scharnierfunktion. Dies sollten Lehrmittel der Zukunft entsprechend gewichten.

Didaktische Zugänge: gemeinsamer Gegenstand und Kern der Sache

Lehrmittel sollten in inklusiven Lehr-/Lernkontexten funktionieren und darum für das kooperative Lernen am gemeinsamen Gegenstand geeignete Lernaufgaben zur Verfügung stellen. Feuser (1989) hat die Kooperation am gemeinsamen Gegenstand in die Konzeption seiner integrativen Pädagogik und entwicklungslogischen Didaktik aufgenommen. Mit dem gemeinsamen Gegenstand ist eine Erkenntnis oder ein fachlicher Kerngedanke gemeint, der entsteht, wenn Lernende gemeinsam Probleme lösen. Eine solche in Partnerarbeit zu bearbeitende Aufgabe kann beispielsweise sein: Lege 100 Kapla Hölzer so auf einem Tisch, dass andere Kinder schnell erkennen können, dass es genau 100 sind (Nührenbörger, 2023). Lernaufgaben, die auf dem Prinzip der natürlichen Differenzierung basieren, gehen davon aus, dass Kinder verschiedene Zugangsweisen zu einem Lerngegenstand haben. Deshalb sind diese Lernaufgaben nicht nach dem Entwicklungsniveau differenziert (Seitz, 2006). Das Prinzip beruht auf der Annahme, dass Zugangsweisen von Kindern zu Lerninhalten ähnlicher sind, als man aufgrund der Verschiedenheit der Kinder erwarten würde. Erst die Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand zeigt, was aus Kindersicht der «Kern der Sache» ist (Seitz, 2005, S. 181f.). Lernaufgaben sollten diese unterschiedlichen Zugangsweisen der Kinder zu einem Lerngegenstand sichtbar machen. Daran kann Didaktik fachlich und strukturierend ansetzen, um aus dem Erkannten für die Lernenden eine Erkenntnis zu schaffen. Lernen ist in diesem Verständnis kooperativ ausgerichtet und schützt Lernende mit besonderem Bildungsbedarf vor «Vorab-Kategorisierungen» (Seitz, 2006, S. 13).

Universelles Design und assistive Technologien

Im Jahr 1984 wurde im Center for Applied Special Technology (CAST) das Universal Design for Learning (UDL) auf neurowissenschaftlicher, lerntheoretischer und unterrichtswissenschaftlicher Basis konzipiert. Es ist seither forschungsbasiert weiterentwickelt worden und unterstützt Bildungsbeteiligung durch Barrierefreiheit. Eigenschaften der Lernenden wie Geschlecht, Alter, Ethnizität, Muttersprache, Lernpräferenzen und Fähigkeiten (z. B. sehen, hören, gehen, Objekte manipulieren, lesen, sprechen) werden im Unterricht konsequent berücksichtigt und durch assistive Technologien unterstützt (Meyer et al., 2014).

Das Modell ist international breit rezipiert und bietet drei Ansatzpunkte, um Lernen inklusiv zu gestalten (CAST, 2023):

  1. vielfältige Möglichkeiten der Förderung von Lernengagement (Wahlmöglichkeiten, Interessenorientierung, Feedback, Lernerfolg);
  2. verschiedene Mittel der Darstellung von Informationen (auditiv, visuell, sprachliche / nicht-sprachliche Hilfsmittel, Unterstützung systematischer Informationsverarbeitung);
  3. unterschiedliche Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und Darstellung von Lernergebnissen (Lernhilfen, assistive und technische Hilfsmittel, Unterstützte Kommunikation, Hilfen für zielorientierte Arbeitsplanung).
  4. Curriculare und soziale Inklusion im Unterricht erfordern die Berücksichtigung dieser drei Ansatzpunkte sowie Barrierefreiheit durch den Zugriff und Einsatz von digitalen Medien, Hilfsmitteln und assistiven Technologien.

Anforderungen an Lehrmittel aus Sicht von Expert:innen

Ergänzend zur Literaturanalyse wurden Gespräche mit sechs Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis geführt (Interviews I1 bis I6). Die Gespräche fanden an Deutschschweizer Hochschulen statt mit drei Professor:innen aus Fachdidaktiken (Natur, Mensch, Gesellschaft [NMG]; Englisch; Mathematik) und mit einer Wissenschaftlerin, die zu digitalen Lehrmitteln forscht. Zusätzlich erfolgte in der Stadt Zürich ein Schulbesuch bei einer langjährigen Klassenlehrperson und ein Telefongespräch mit einer erfahrenen Schulischen Heilpädagogin, die an einer Regelschule im Kanton Zürich unterrichtet. Aussagen mit Bezug zur Fragestellung wurden handschriftlich protokolliert, anschliessend digital erfasst und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse beschreiben in stark verdichteter Form Überlegungen, Einschätzungen, Perspektiven und Standpunkte zur Frage, welche Anforderungen aus der jeweiligen fachlichen Perspektive an Lehrmittel für inklusiven Unterricht gestellt sind. Die Ergebnisse wurden von den Befragten überprüft und bestätigt.

Perspektive Lehrmittelforschung

In der Lehrmittelforschung wird zwischen digitalen Medien (z. B. Laptop, Tablet) und Bildungsmedien (analog, digital) unterschieden. Digitale Medien unterstützen die Vermittlung, motivieren das Lernen und aktivieren die Lernenden. Bildungsmedien sind als «Steuerungselemente von Unterricht» [I2] strukturiert, didaktisiert und lehrplangebunden. Für den inklusiven Unterricht sind assistive Technologien zu berücksichtigen sowie Bildungsmedien zu entwickeln, die die Integration durch «Lernen am gemeinsamen Gegenstand» [I2] fördern (z. B. Einstiegsaufgabe für alle). In den Interviews wird auf die Bedeutung des Universal Designs und die Förderung der Accessibility (Zugänglichkeit) durch digitale Medien hingewiesen. Weiterentwicklungen wären in Zusammenarbeit mit der Praxis anzugehen, beispielsweise um die Funktion von Aufgaben und ihr inklusives Potenzial sowie benötigte assistive Technologien zu ermitteln.

Perspektive Fachdidaktiken

Aus der Perspektive der Fremdsprachen braucht inklusive Fachdidaktik Lehrmittel, die in der «Fachlichkeit» [I3] angesiedelt sind. Die Lehrmittel sollen unterschiedliche Zugänge ermöglichen, da nicht alle Lernenden gleich lernen und nicht alle Lehrpersonen gleich unterrichten. Wichtig sind Lehrmittel, die ein aufgabenorientiertes und interaktives «Lernen am gemeinsamen Gegenstand» [I3] fördern. Lehrende und Lernende treffen in Aushandlungsprozessen gemeinsam Entscheidungen über Inhalte und Lernaufgaben. Lehrmittel sollen auch dafür fachliche und didaktische Grundlagen sowie Arbeitsmaterialien bereitstellen.

Aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht (Natur, Mensch, Gesellschaft [NMG]) sollen alltagsweltliche Themen wie die Sensibilität für Diversity in Lehrmitteln als Querschnittsthema und roter Faden integriert sein. Nach Lehrplan 21 sollen diese Themen auch explizit Unterrichtsgegenstand sein (z. B. Behinderung, Teilhabe, Ethik, Rechte, Macht). Lehrmittel dienen der fachlichen Steuerung im Unterricht, um dysfunktionalen Präkonzepten[1] oder Stereotypisierungen entgegenzuwirken sowie Kategorisierungen und Normen zu reflektieren. Der in Lehrmitteln (in Text und Bild) dargestellte Alltag sollte vielfältig sein und die Erfahrungen möglichst verschiedener Kinder abbilden (z. B. Kind im Rollstuhl spielt mit Freunden Ballspiele). Damit soll eine möglichst hohe Identifikation bei allen Lernenden erreicht werden. Wichtig ist, eine «Sprachentlastung» einzubauen (z. B. QR-Code zum Hören), «sinnlich-ästhetische Aspekte» zu berücksichtigen sowie die «Handlungs- und Erfahrungsorientierung» [I4] zu gewährleisten.

Das Prinzip der natürlichen Differenzierung fordert aus mathematikdidaktischer Perspektive ein ganzheitliches Lernangebot (zugänglich für alle, ausgestattet mit einem Mindestmass an Komplexität). Dieses bietet Lernenden aufgrund lebensweltbezogener, schulischer oder fachlicher Erfahrungen Wahlmöglichkeiten. Es lässt unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zu bei Lösungswegen, Arbeitsmitteln, Aufgaben und Darstellungsweisen (schriftlich / mündlich) [I6].

Perspektive Schule

Aus Sicht einer Klassenlehrperson (Zyklus 1), die im geöffneten Unterricht auch fächerübergreifend arbeitet, ist der Bezug der Lehrmittel zum Lehrplan 21 wichtig. Lernmaterialien sollen vielfältig sein und folgende Anforderungen erfüllen:

  1. Niveaudifferenzierung mit vereinfachten, textentlasteten Arbeitsblättern / -aufträgen; unterschiedliche Komplexität von Aufträgen;
  2. spielerische Aufgaben, Gruppenaktivitäten, Lieder;
  3. ansprechendes Bildmaterial (Bildkarten), passende Bilderbücher, Vorlagen für eigene Baumodelle; Filme;
  4. Hinweise zu ausserschulischen Lernorten (v. a. in NMG);
  5. passende Online-/Computeraufträge/-übungen;
  6. farbliche Gliederung der Themen.

Modular aufgebaute Lehrmittel (übersichtlich mit Bildern) – mit Grundanforderungen, erweitertem Angebot, Lernzielkontrollen zum Anpassen sowie herausfordernden offenen Aufgaben – werden Lehrmitteln mit linearem Aufbau vorgezogen. Lehrmittel-Kommentare mit Praxisbeispielen sollten kurz und prägnant über das Wichtigste informieren und mit Bildern zum Lernsetting die Umsetzung in der Klasse illustrieren. Die befragte Lehrperson erwähnt, dass es das «perfekte Lehrmittel» [I1] wohl nicht gebe, da Lehrpersonen unterschiedlich seien. Trotzdem könne ansprechend gestaltetes Unterrichtsmaterial Lehrpersonen entlasten und Lernende in ihrer Lernorganisation unterstützen.

Laut Einschätzung der Schulischen Heilpädagogin (SHP) sind viele Lehrmittel zu «sprachlastig» [I5]. Es braucht Verdichtungen auf wesentliche Basiskompetenzen bei Erhalt des «roten Fadens» [I5], um in den Kernfächern Mathematik und Sprache Lehrpersonen und Kinder zu entlasten. Gewünscht wird mehr Übungsmaterial wie beispielsweise Lese- und Hörverständnis in einfacher Sprache, vereinfachte, sprachentlastete Übungsaufgaben in Mathematik, Basisvokabular in den Fremdsprachen und gesprochene Texte in einfacher Sprache, grösser geschriebene Texte in Deutsch. Lernlücken sollen systematisch gefüllt werden können, um die Anschlussfähigkeit zum Lehrmittel und den Grundanforderungen nach Lehrplan 21 zu gewährleisten. Lehrmittel, die zwar beliebt sind, aber dem «alten Denken» folgen würden (systematisch aufbauend), sind schwierig, da sich Stofflücken negativ auswirken. «Lehrmittel sollten Lehrenden und Lernenden dienen» [I5].

Diskussion

Lehrmittel der Zukunft beziehungsweise Bildungsmedien (analog und digital) behalten ihre Bedeutung als Steuerungselemente zwischen Lehrplan, Fachlichkeit, Lernen und Unterricht. Die Praxisperspektive verdeutlicht, dass gute Bildungsmedien Lehrpersonen beim Unterrichten dienen und sie entlasten sowie Lernende beim selbstgesteuerten Lernen unterstützen (z. B. Aufgaben auswählen und umsetzen, Themen selbst entwickeln, Inhalte weiterdenken). Hervorgehoben werden in allen Gesprächen Anforderungen an Lehrmittel wie das Lernen am gemeinsamen Gegenstand, die Nutzung der natürlichen Differenzierung für die Didaktisierung von Lernprozessen und die individuelle Lernprozessbegleitung sowie die «qualitative Differenzierung» (Kullmann et al., 2014, S. 98). Hierbei handelt es sich um sprachliche Vereinfachungen und Entlastungen, Anpassungen der Aufgabenschwierigkeit, Variation des Aufgabentypus, Differenzierung der Sozialformen, Medien und Hilfsmittel. Die Vielfalt der Lernausgangslagen im inklusiven Unterricht erfordert für alle zugängliche Lernaufgaben für individuelle und kooperative Lerngelegenheiten und vielfältiges Arbeits- und Übungsmaterial für Vertiefungen und Ausarbeitungen. Der Unterricht für inklusive Lerngruppen ist vielfältig, teilweise geöffnet oder findet im Team-Teaching statt. Er wird von verschiedenen Personen in multiprofessioneller Teamarbeit gesteuert. Er ist sozusagen ein kooperatives Produkt, das nach Zusammensetzung des Teams und in Abhängigkeit von den Lernausgangslagen und -bedarfen in einer Klasse variiert. Bildungsmedien sollten diese neuen Kooperationsstrukturen und kooperativen Unterrichtsprozesse berücksichtigen und digital unterstützen sowie Accessibility für verschiedene Professionen mitdenken. Logopäd:innen arbeiten auch an Grundkompetenzen im Lehrplan 21 und Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen stehen in regelmässiger Kooperation mit dem Unterrichtsteam. Digitale Medien, assistive Technologien und der Einbezug universeller Designs gehören zur Grundausstattung im inklusiven Unterricht und sind wesentliche Voraussetzung für die Kooperation am gemeinsamen Gegenstand. Lehrmittel und Lernaufgaben orientieren sich an der Fachlichkeit, an überfachlichen Inhalten und an Didaktiken, die die Potenziale aller Lernenden mit ausreichend komplexen, zugänglichen und qualitativ differenzierten Lernangeboten adressieren. Zusammenfassend stellt inklusiver Unterricht diverse Anforderungen an Lehrmittel. Im Beitrag sind einige Ansatzpunkte für die weitere Debatte und differenziertere Analysen dargelegt.

Prof. Dr. Silvia Pool Maag

Professur für Sonderpädagogik mit Schwerpunkt Inklusion und Diversität

Pädagogische Hochschule Zürich

silvia.poolmaag@phzh.ch

Literatur

Baumert, B. & Vierbuchen, M.-C. (2018). Eine Schule für alle – Wie geht das? Qualitätsmerkmale und Gelingensbedingungen für eine inklusive Schule und inklusiven Unterricht. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69 (11), 526–541.

CAST (2023). About Universal Design for Learning. www.cast.org/impact/universal-design-for-learning-udl

Feuser, G. (1989). Allgemeine integrative Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik. Behindertenpädagogik, 28 (1), 4–48.

Kullmann, H., Lütje-Klose, B. & Textor, A. (2014). Eine allgemeine Didaktik für inklusive Lerngruppen – fünf Leitprinzipien als Grundlage eines Bielefelder Ansatzes der inklusiven Didaktik. In B. Amrhein & M. Dziak-Mahler (Hrsg.), Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule (S. 89–103). Waxmann.

Labhart, D., Pool Maag, S. & Moser Opitz, E. (2018). Differenzieren im selektiven Schulsystem: Der Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Funktionen der Schule und der Forderung nach individueller Förderung. Sonderpädagogische Förderung heute, 63 (1), 71–87.

Meier-Popa, O. & Salamin, M. (2020). Accessibility und Universelles Design in der Bildung. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 26 (10), 9–16.

Meyer, A., Howard, D. & Gordon, D. (2014). Universal Design for Learning: Theory and Practice. CAST.

Nührenbörger, M. (2023). Inklusiver Mathematikunterricht. Gemeinsam Mathematik lernen und mit allen Kindern rechnen. Vortrag ETH Zürich, 02.03.2023.

Pool Maag, S. (2021). Empirische Unterrichtsforschung im Kontext von Heterogenität und Inklusion. In A. Kunz, R. Luder & C. Müller Bösch (Hrsg.), Inklusive Pädagogik und Didaktik (S. 64–74). hep.

Reusser, K. (2020). Unterrichtsqualität zwischen empirisch-analytischer Forschung und pädagogisch-didaktischer Theorie: Ein Kommentar. Zeitschrift für Pädagogik, 66. Beiheft, 236–254.

Seitz, S. (2005). Zeit für inklusiven Sachunterricht. Schneider.

Seitz, S. (2006). Inklusive Didaktik: Die Frage nach dem «Kern der Sache». Zeitschrift für Inklusion, 1. https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/184

  1. fehlerhaftes Vorwissen, das zu falschen Annahmen führt