Nicht nur ein Zahnproblem

Zahn- und Mundgesundheit von Kindern mit Behinderungen

Rahel Jakovina

Zusammenfassung
Die Mundgesundheit ist ein essenzieller Bestandteil des Wohlbefindens aller Menschen. Kinder mit Behinderungen weisen ein erhöhtes Risiko für Zahnprobleme auf, diese können auch schwerwiegende Auswirkungen auf ihre allgemeine Gesundheit haben. Rahel Jakovina, Fachmitarbeiterin bei YOUVITA, hat für den vorliegenden Beitrag verschiedene Expert:innen zu Herausforderungen rund um die Zahn- und Mundgesundheit von Kindern mit Behinderungen befragt und Empfehlungen für Betreuungspersonen und Eltern zusammengestellt. Als Hilfsmittel wird zudem die Webplattform ZaZa vorgestellt.

Résumé
La santé buccodentaire est un élément essentiel du bienêtre de tous les êtres humains. Les enfants en situation de handicap présentent un risque accru de problèmes dentaires, qui peuvent également avoir de graves conséquences sur leur santé générale. Rahel Jakovina, collaboratrice spécialisée de YOUVITA, a interrogé plusieurs spécialistes sur les défis liés à la santé buccodentaire des enfants en situation de handicap et a rédigé des recommandations pour le personnel soignant et les parents. La plateforme web ZaZa est également proposée comme outil d’aide.

Keywords: Behinderung, Kind, Zahnmedizin, Zahnhygiene, Prävention, Hilfsmittel / handicap, enfant, médecine dentaire, hygiène dentaire, prévention, moyen auxiliaire

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-01-06

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 01/2024

Creative Common BY

Karies bleibt ein Problem

Die Schweizerische Vereinigung für Kinderzahnmedizin (SVK) erklärt, dass heute 80 Prozent der Kinder in der Schweiz kariesfrei sind. «Bei den restlichen 20 % der Kinder können wir jedoch eine sehr hohe Kariesinzidenz feststellen. Leider gehören zu diesen 20 % der Kinder mit hoher Kariesinzidenz auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen» (SVK, schriftliches Interview, 10.10.2023). Internationale Übersichtsarbeiten zeigen, dass das Risiko für Karies, Zahnfleischentzündungen und andere Mund- und Zahnerkrankungen für Kinder mit Behinderungen besonders hoch ist (Alamri, 2022; Chau et al., 2020). Das gilt auch für den deutschsprachigen Raum (Krause et al., 2022; Schulte & Schmidt, 2021).

Mitursache dafür sind die besonderen Herausforderungen, die die Mund- und Zahnpflege von Kindern mit Behinderungen mit sich bringt. Beispielsweise können Kinder mit motorischen Einschränkungen Schwierigkeiten haben im Umgang mit Zahnbürsten und Zahnpasta. Bestimmte Beeinträchtigungen führen zu Überempfindlichkeit im Mundbereich, was die Bereitschaft zur Zahnpflege negativ beeinflussen kann. Und es gibt Medikamente, die den Speichelfluss reduzieren und so das Risiko für Karies erhöhen. Schliesslich erschweren Kommunikationsbarrieren, motorische Einschränkungen oder eine Sensitivität gegenüber Reizen oft auch den Zahnarztbesuch. Auch das fehlende Verständnis dafür, was gerade passiert, kann zu Schwierigkeiten führen.

Cornelia Filippi und Tamara Montero Salzmann betonen, dass jedes Kind mit Behinderung einzigartig sei (s. Infobox zu den befragten Expert:innen). Die Herausforderung sei deshalb, dass man als Fachperson in sehr kurzer Zeit individuelle Verhaltensweisen und Bedürfnisse erfassen müsse. Gerade wenn man das Kind noch nicht kennt oder der Zahnarztbesuch nicht vorbereitet wurde, sei dies schwierig (C. Filippi, persönl. Mitteilung, 27.09.2023; T. Montero Salzmann, persönl. Mitteilung, 13.09.2023).

Infobox: Hintergrund und Entstehung des Beitrags

Rahel Jakovina, die Autorin des Beitrags, ist Fachmitarbeiterin beim Branchenverband YOUVITA und Mitglied der Projektleitung im ZaZa-Projekt. Im Rahmen von Projektarbeiten kam sie in den Austausch mit zahlreichen pädagogischen und zahnärztlichen Fachpersonen. Für diesen Artikel hat sie exemplarisch einige Fachpersonen befragt (schriftlich und mündlich). Zu Wort kommen folgende Expert:innen:

• die Mitglieder der Fachkommission der Schweizerischen Vereinigung für Kinderzahnmedizin (SVK; https://www.kinderzahn.ch/die-svk/fachkommission), einer Fachgesellschaft der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft: Die Vereinigung bezweckt die Förderung der Kinderzahnmedizin sowie der Schul- und Jugendzahnmedizin in der Schweiz, die Weiterbildung von Zahnärzt:innen und die Förderung des Erfahrungsaustausches.

Cornelia Filippi, Kinderzahnärztin und Leiterin der Abteilung Prophylaxe, Klink für allgemeine Kinder- und Jugendzahnmedizin, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin, Basel (UZB)

Tamara Montero Salzmann, stellvertretende leitendende Dentalassistentin, Klinik für allgemeine Kinder- und Jugendzahnmedizin, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin, Basel (UZB).

Rosmarie Cafasso-Trotta, Prophylaxeassistentin & Co-Leiterin des Verbands der Schulzahnpflegeinstruktorinnen Basel-Land sowie Mutter eines Kindes mit Behinderung.

Die Schweizerische Vereinigung für Kinderzahnmedizin führt aus:

Es ist oft sehr viel zeitaufwendiger, einen Kommunikationskanal mit Kindern mit Behinderung zu finden, ein gewisses Mass an Vertrauen aufzubauen und ein Behandlungskonzept zu planen. Häufig kommen diese Kinder mit einigen zahnmedizinischen Problemen in die Praxis, die gelöst werden müssen, ohne dass die Zeit für den Aufbau einer Beziehung vorhanden ist. (SVK, schriflichtes Interview, 10.10.2023)

Angesichts dieser Herausforderungen ist es für Eltern, Betreuungspersonen und zahnärztliche Fachpersonen schwierig, für eine umfassende Mund- und Zahngesundheit zu sorgen. Dies unterstreicht im Gespräch auch Rosmarie Cafasso-Trotta:

Kinder mit einer Behinderung haben sehr viele Bedürfnisse und müssen in ganz verschiedenen Themengebieten intensiv gefördert werden. Wir bemerken im Verband, dass die Mundgesundheit nicht erste Priorität geniesst, wie auch andere Gesundheitsthemen. Mir tat es jeweils im Herzen weh, wenn ich bei den Gspändli meines Kindes starke Zahnfleischentzündungen oder beginnende Karies erkannte (R. Cafasso-Trotta, persönl. Mitteilung, 18.09.2023).

Auch heute steht die Zahngesundheit noch nicht im Fokus der medizinischen und pädagogischen Betreuung, beobachten Cornelia Filippi und Rosmarie Cafasso-Trotta. Es besteht deshalb Handlungsbedarf, denn eine unzureichende Begleitung kann weitreichende Folgen haben.

Die Folgen von Vernachlässigung

Cornelia Filippi weiss aus Erfahrung, dass Zahnfleischentzündungen, für die Kinder mit Behinderungen anfällig sind, nicht selten zum frühen Zahnverlust (wegen Parodontose) führen. Die SVK (schriftliches Interview, 10.10.2023) betont, dass das schon bei den Milchzähnen ein Problem ist. Die Milchzähne sind nicht nur als Teil des Kausystems wichtig und als Platzhalter für die bleibenden Zähne beim Zahnwechsel. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Sprache und sind ein wesentlicher Bestandteil des äusseren Erscheinungsbildes des Kindes. Kinder mit gesunden Zähnen können selbstbewusst sprechen, lächeln und sich zeigen. Das ist in den ersten Jahren der Entwicklung sehr wichtig.

Gesunde Zähne sind wichtig für das Wohlbefinden (© Verein ZaZa Care)

Zahnprobleme und Entzündungen können nicht nur die Entwicklung gefährden, sie führen auch zu Schmerzen und Unwohlsein und beeinflussen das Verhalten. Fachpersonen betonen, dass Kinder mit Behinderungen ihr Unwohlsein oder ihre Schmerzen teilweise nicht verbal ausdrücken können. Das führe einerseits zu verzögerten Behandlungen, andererseits können sich die zahnmedizinischen Beschwerden aber auch gravierend auf die Entwicklung der Organe und auf die Allgemeingesundheit auswirken. Eine schlechte Mundhygiene kann verschiedene Krankheiten verursachen oder verstärken. Dazu zählen beispielsweise Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Negrato et al., 2013; Jockel-Schneider et al., 2016). Tamara Montero Salzmann weist ausserdem darauf hin, dass als Folge von vernachlässigter Zahnpflege und ungenügender Vorbereitung auf den Zahnarztbesuch oft Behandlungen unter Vollnarkose nötig werden. Vollnarkosen sind aber mit viel Aufwand und Ängsten verbunden. Sie bergen immer ein gesundheitliches Risiko und sind eine grosse finanzielle Belastung.

Die BRK

In der aktuellen Situation sind die Rechte von Kindern mit Behinderungen nur ungenügend gewahrt – mit weitreichenden Folgen für diese Kinder. Betreuungspersonen und zahnärztliche Fachpersonen sehen deutlichen Handlungsbedarf in der Umsetzung des durch die UN-Behindertenrechtskonvention garantierten Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen, einschliesslich der Gesundheitsversorgung (YOUVITA, 2021; BRK, 2006). Kinder mit Behinderungen haben das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten. Die Qualität ihrer Versorgung muss derjenigen anderer Menschen entsprechen. Das schliesst mit ein, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden, ihre Autonomie gewahrt wird und Behandlungen nur nach Aufklärung und im Einvernehmen mit den Patient:innen durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist, dass man Kindern mit Behinderungen Zusammenhänge und Abläufe für sie verständlich vermittelt, ihre Kommunikationsmöglichkeiten berücksichtigt und ihren Anliegen Gehör schenkt.

Empfehlungen für Fachpersonen und Eltern

Aufgrund des erhöhten Risikos und der möglichen gravierenden Folgen von Vernachlässigung ist gutes Vorbeugen von Zahnproblemen bei Kindern mit Behinderungen besonders wichtig. Die nachfolgenden Empfehlungen gelten in ihrem Grundsatz für alle Kinder, sie haben aber besonderes Gewicht in der Begleitung und Betreuung von Kindern mit Behinderungen.

Weiter so!

Die wichtigste Empfehlung der Expert:innen an Eltern und pädagogische Fachpersonen lautet: «Weiter so!» Auch wenn die Mund- und Zahngesundheit von Kindern mit Behinderungen noch viel Potenzial hat, so beobachten sie doch, dass Betreuungspersonen sehr vieles richtig machen. Die SVK betont: «Die meisten Betreuungspersonen von Kindern mit Behinderung sind sehr motiviert und geben ihr Bestes, die Mundgesundheit ihrer Kinder weit oben auf ihrer Prioritätenliste zu haben» (schriftliches Interview, 10.10.2023). Tamara Montero Salzmann erzählt:

Ich werde richtiggehend emotional, wenn ich sehe, welches Glück die meisten dieser Kinder haben. Ich hoffe, sie bekommen alle mit, wie viel Liebe sie umgibt. Wir sehen in der Zahnarztpraxis viele Begleitpersonen, die einfach alles geben für diese Kinder, die bestens Bescheid wissen, was das Kind braucht und was es ausdrücken will und sich mit viel Ausdauer um deren Gesundheit kümmern. (T. Montero Salzmann, pers. Mitteilung, 13.09.2023)

Dennoch gilt es, einige wichtige Faktoren für eine gute Mund- und Zahngesundheit zu erwähnen.

Frühzeitig aufklären

Die Mund- und Zahnpflege aller Kinder muss bereits früh im Leben beginnen. Fachpersonen (z. B. in Früherziehung, Kita oder Elternberatung) sollten Eltern frühzeitig über die besondere Bedeutung der Mund- und Zahngesundheit von Kindern mit Behinderungen informieren. Dies umfasst die Erklärung der Zusammenhänge zwischen Mundgesundheit und Allgemeingesundheit sowie die Demonstration der richtigen Putztechniken. Ausserdem sollen Eltern über mögliche Hilfsmittel informiert werden. Die SVK betont: «In der heutigen Zeit verfügen wir über genügend Instrumente, um Kindern mit Behinderung zu helfen, eine positive Einstellung zur Mundgesundheit zu gewinnen, aber auch die Erfahrungen in der Zahnarztpraxis zu verbessern» (schriftliches Interview, 10.10.2023).

Auch die Kinder mit Behinderungen müssen früh aufgeklärt werden. Rosmarie Cafasso-Trotta weiss aus Erfahrung, dass dies bei allen Kindern – mit und ohne Behinderung – auf spielerische Art geschehen muss. Kinder wollen einbezogen werden und reagieren positiv auf anschauliche Erklärungen, auf Erleben und Aha-Effekte. Bei kleinen Kindern und bei Kindern mit kognitiver Beeinträchtigung muss man darauf achten, dass die Erklärungen einfach sind und das Tempo langsam ist. Ausserdem braucht es häufige und regelmässige Wiederholungen, sodass das Thema über viele Jahre präsent bleibt.

Zuckerarme Ernährung

Viele Kinder mit Behinderungen haben eine besondere Beziehung zum Essen. Eine eingeschränkte Impulskontrolle oder die Notwendigkeit einer kalorienreichen Ernährung können beispielsweise dazu führen, dass viel Zucker (in all seinen Formen) konsumiert wird. Cornelia Filippi warnt:

Uns allen muss klar sein: Zucker ist wirklich schlecht für die Zähne und die Mundgesundheit. Zucker kann bisweilen medizinische Zwecke erfüllen (z. B. Schmerzstillung, akute Unterzuckerung beheben). Aber wenn unsere Ernährung hauptsächlich aus kohlenhydratreicher, balaststoffarmer Ernährung besteht, werden wir krank. Mit Nutella Schlucktraining zu machen, wie mir mal jemand erzählte, halte ich beispielsweise für bedenklich. Vor allen Dingen, wenn die Zahnpflege nicht regelmässig und ausreichend gut durchgeführt wird. (C. Filippi, persönl. Mitteilung, 27.09.2023)

Sie weist ausserdem darauf hin, dass das Gebot der zuckerarmen Ernährung auch bei Kindern gilt, die über eine Sonde ernährt werden – ebenso wie alle anderen Empfehlungen für die Zahnpflege. Denn über Blut und Speichel gelangen die Inhaltsstoffe der Nahrung in den Mund und an die Zähne, selbst wenn die Nahrungsaufnahme nicht über den Mund erfolgt.

Täglich putzen

Von klein auf ist die tägliche Zahnpflege mit fluoridhaltiger Zahnpasta der wichtigste Grundpfeiler der Vorsorge. Cornelia Filippi weist darauf hin, dass es heute einen Trend zu fluoridfreien Kinderzahnpasten gibt, der aus zahnärztlicher Sicht nicht zu unterstützen ist. Das Fluorid hilft massgeblich bei der Verhinderung von Löchern. Beim üblichen Zähneputzen sind fluoridhaltige Zahnpasten auch dann nicht gesundheitsbedenklich, wenn sie geschluckt werden. Das regelmässige Zähneputzen verringert nicht nur die Anzahl Zahnarztbesuche, sondern vereinfacht auch die stattfindenden Besuche. Cornelia Filippi erklärt:

Das regelmässige Putzen führt dazu, dass sich die Kinder gewohnt sind, den Mund aufzumachen. Als Zahnärztin hilft mir das noch zusätzlich bei der Zahnkontrolle und ich kann dann bei der Untersuchung eine Zahnbürste benutzen. Die Kinder sehen die Zahnbürste und machen den Mund auf – das klappt oft. (C. Filippi, persönl. Mitteilung, 27.09.2023).

Doch die tägliche Zahnpflege ist für Kinder mit und ohne Behinderung eine Herausforderung. Gemäss der Erfahrung von Cornelia Filippi gelingt gute Zahnpflege dann, wenn Eltern und Betreuungspersonen sie als wichtige Aufgabe wahrnehmen und sich informieren. So ist es wichtig, dass die Eltern die Hilfsmittel finden, die ihnen und den Kindern die Zahnpflege erleichtern. Das können Hilfsmittel wie Dreikopfzahnbürsten oder vergrösserte Haltegriffe sein, aber auch Lieder oder ein bestimmter Ablauf.

Rosmarie Cafasso-Trotta erklärt, dass es eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema braucht, weil das eigene tägliche Zähneputzen nicht reicht als Informationsquelle. Erwachsene wenden beispielsweise nicht die für Kinder bis zur dritten Klasse empfohlene KAI-Zahnputztechnik an (Kauflächen, Aussenflächen, Innenflächen). Ausserdem sind sich Erwachsene oft nicht bewusst, wie lange Kinder Unterstützung beim Putzen brauchen. Kinder im Kindergartenalter verfügen noch nicht über die nötigen manuellen Fähigkeiten dazu und haben altersbedingt Mühe, die Innenflächen genügend gut zu reinigen. Da hilft keine elektrische Zahnbürste, sondern nur Nachputzen. Menschen mit Behinderungen brauchen oft sehr viel länger für die nötigen motorischen und kognitiven Entwicklungen, und sie sind auch im Erwachsenenalter häufig noch auf Unterstützung angewiesen.

Regelmässige gute Zahnarzterlebnisse

Zahnarztbesuche von Kindern mit Behinderungen sind oft mit viel Stress für alle Beteiligten verbunden. Das hat mit den besonderen Herausforderungen zu tun, aber auch damit, dass Zahnarztbesuche oft erst dann organisiert werden, wenn ein Kind mit Behinderungen Zahnschmerzen hat oder anderweitig Behandlung oder Reinigung notwendig sind. Aufgrund des erhöhten Risikos für Erkrankungen im Mundraum sollten Kinder mit Behinderungen mindestens zweimal im Jahr zur zahnärztlichen Kontrolle. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass sich Kinder und zahnärztliche Fachpersonen kennenlernen, was eine Anpassung von Rahmenbedingungen und Abläufen ermöglicht. Tamara Montero Salzmann erklärt:

Am besten ist, wenn wir Informationen haben. Es hilft ungemein zu wissen, wer da kommt und wie die Bedürfnisse dieses Kindes sind. So können wir beispielsweise darauf achten, wie viele Personen im Behandlungszimmer sind oder uns, wenn nötig, viele Beschäftigungsmöglichkeiten überlegen. (T. Montero Salzmann, persönl. Mitteilung, 13.09.2023)

Auch die Person, die das Kind begleitet, kann viel zu förderlichen Rahmenbedingungen beitragen. Cornelia Filippi weiss aus Erfahrung, dass eine freundliche, spannungsfreie Atmosphäre für das Kind zentral ist. Das ist nur möglich, wenn auch die Begleitperson und die zahnärztlichen Fachpersonen nicht angespannt sind und keinen Stress – auch keinen Zeitdruck - haben. Oft hilft es auch, wenn das Kind etwas dabeihat, das ihm das Gefühl von Geborgenheit gibt, beispielsweise ein Stofftier. Der wichtigste Beitrag der Betreuungspersonen und Eltern liegt aber darin, das Kind auf den Zahnarztbesuch vorzubereiten, betont die SVK (schriftliches Interview, 10.10.2023). Die Vorbereitung des Zahnarztbesuchs sollte insbesondere bei Kindern mit Behinderungen nicht nur einmalig, sondern mehrmals stattfinden. Das Kind soll verstehen und sich vorstellen können, dass der Zahnarztbesuch Positives bewirkt und welche Personen, Materialien, Räumlichkeiten und Prozesse es erwarten. Besuche in der Zahnarztpraxis können dabei genauso hilfreich sein wie ein Foto der Zahnärztin oder des Zahnarztes auf einer Malvorlage. Schliesslich hilft auch eine positive Sprache. Cornelia Filippi und Rosmarie Cafasso-Trotta raten dazu, im Alltag nicht mit der Zahnärztin zu drohen in der Logik «Wenn du nicht putzt, bekommst du ein Loch und dann musst du zum Zahnarzt». Förderlicher ist davon zu sprechen, dass man zur Zahnärztin darf und dass diese sich gut um die Zähne kümmert. Ausserdem ist es ratsam, auf negativ besetzte Wörter zu verzichten. Vom Satz «Du musst keine Angst haben, das tut gar nicht weh» bleiben den meisten Kindern – mit und ohne Behinderung – die Worte «Angst» und «weh» im Gedächtnis.

ZaZa hilft

Aufklären, Zähneputzen und ein gutes Zahnarzterlebnis zu ermöglichen sind Aufgaben, die leichter gesagt als getan sind. Wertvoll dafür sind ein enges Zusammenwirken aller Beteiligten sowie die Nutzung von Hilfsmitteln, die die spezifische Situation von Kindern mit Behinderungen berücksichtigen. Seit Kurzem gibt es eine Plattform, die beides fördert.

Um Kinder mit Behinderungen, ihre Betreuungspersonen und Eltern sowie zahnmedizinische Fachpersonen gezielt zu unterstützen, haben YOUVITA (der nationale Branchenverband der Dienstleister für Kinder und Jugendliche), Kinderzahnärzt:innen des Universitären Zentrums für Zahnmedizin Basel (UZB) und die Agentur neko interactive die webbasierte Wissens- und Kommunikationsplattform ZaZa kreiert. Diese Plattform ist auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und kleine Kinder (ca. 2–7 Jahre) ausgerichtet. Auf der Webplattform tauchen die Kinder in die Welt der Zähne ein. Die Figur Zaza unterstützt sie auf spielerische Weise und zeigt ihnen, wie Ernährung, Zahngesundheit und Wohlbefinden zusammenhängen. Sie lernen zudem zu verstehen, was bei einer Zahnbehandlung passiert. Die Sprache ist einfach, die Inhalte auf die Interessen und spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen sowie kleine Kinder und ihr Umfeld angepasst. Die Idee dahinter ist die folgende: ZaZa begleitet die Kinder in der Zahnpflege zu Hause und ist in Zukunft auch in ihrer Zahnarztpraxis präsent.[1] Überall werden die gleichen Begriffe und Bilder verwendet, was den Kindern die Angst nimmt. Neben einer guten Vorsorge ist es das Ziel, dass die Kinder die Abläufe in der Zahnarztpraxis bereits aus den ZaZa-Videos kennen und dass sie verstehen, dass die Behandlung nötig ist, um ihren Zähnen Gutes zu tun.

Die Webplattform ZaZa beinhaltet 14 Lernvideos und viele interaktive Spiele, die für die Nutzung via Desktop, Mobile und Tablet geeignet sind. Hinzu kommen analoge Hilfsmittel wie Bastelanleitungen sowie Lese- und Ausmalbögen. Das vielfältige Material bietet (heil-, sozial-, sonder-)pädagogischen Fachpersonen die Möglichkeit, Themen rund um die Zahngesundheit so aufzubereiten, dass es für die Kinder passend ist. Die Merkfunktion erlaubt es, Materialien individuell zusammenzustellen und diese Favoriten mit anderen Fachpersonen oder Eltern zu teilen.

Für Betreuungspersonen und Eltern stellt die Webplattform eine grosse Sammlung an kurzen Wissenstexten zur Zahnpflege und zu Zahnbehandlungen zur Verfügung. Dabei lernen sie die Aspekte kennen, die für die Zahngesundheit ihres Kindes besonders wichtig sind. Das Wissen erleichtert zudem die Kommunikation mit zahnärztlichen Fachpersonen. Ab Frühling 2024 bietet ZaZa auch für Zahnarztpraxen und Kliniken hilfreiche Inhalte an wie Workflows, Tipps und Tricks sowie Good Practice-Beispiele.

ZaZa stellt Betreuungspersonen und Eltern zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung (© Verein ZaZa Care)

Zuvor wurden die Materialien und Hilfsmittel am Universitären Zentrum für Zahnmedizin in Basel (UZB) getestet und von der Berner Fachhochschule am Departement Soziale Arbeit wissenschaftlich evaluiert. Kinder mit Behinderungen und ihre Betreuungspersonen oder Eltern wurden dazu eingeladen, sich mithilfe der ZaZa-Plattform auf eine zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung vorzubereiten und die Hilfsmittel einzusetzen. Mittels Beobachtungen und Interviews mit den zahnärztlichen Fachpersonen, Eltern und Kindern wurde in der Evaluation der Frage nachgegangen, ob und welche Wirkung ZaZa erzielt und wie die Plattform verbessert werden könnte. Die Ergebnisse sollen in die Weiterentwicklung von ZaZa einfliessen. Der abschliessende Evaluationsbericht steht noch aus. Die ersten Rückmeldungen der Forschenden zeigen aber: ZaZa wird positiv bewertet und die Eltern und Betreuungspersonen schätzen den Bedarf und das Potenzial von ZaZa hoch ein. Cornelia Filippi berichtet aus eigener Erfahrung:

Die ZaZa-Figuren und Videos erregen Aufmerksamkeit und holen Kinder in eine Kinderwelt. Das beobachtet man schon bei zweijährigen Kindern, egal ob mit oder ohne Behinderung. Die Kinder zeigen deutliche Zeichen der Freude und interagieren mit ihren Begleitpersonen und mit mir als Zahnärztin über die ZaZa-Inhalte. Das bietet eine tolle Grundlage (C. Filippi, persönl. Mitteilung, 27.09.2023).

Ihre Einschätzung wird geteilt von Tamara Montero Salzmann (persönl. Mitteilung, 13.09.2023): «ZaZa bietet eine kindgerechte Vorstellungswelt, auf die die zahnärztlichen Fachpersonen und Betreuungspersonen Bezug nehmen können. Von ZaZa können alle profitieren, auch über das Behindertenwesen hinaus.» Dem pflichtet auch der Verband der Schulzahnpflegeinstruktorinnen bei, der ZaZa ab 2024 in der Schulzahnprophylaxe in Baselland einsetzen wird. «Mit ZaZa sprechen wir alle die gleiche Sprache, das hilft den Kindern. Wir sind hellauf begeistert von dieser zeitgemässen neuen Möglichkeit.» (R. Cafasso-Trotta, persönl. Mitteilung, 18.09.2023)

Es braucht alle – auch die Gesellschaft

Für eine gute Mund- und Zahngesundheit von Kindern mit Behinderungen braucht es alle, auch die Gesellschaft und die Politik. Cornelia Filippi erklärt:

Die Gleichstellung von Kindern mit Behinderung kann nur dann stattfinden, wenn die Politik anerkennt, dass sie über die UN-Behindertenrechtskonvention den klaren Auftrag hat, das erreichbare Mass an Gesundheit für Menschen mit Behinderung anzustreben. Diese Verantwortung kann die Politik nicht abgeben. Es darf beispielsweise nicht von der Privatinitiative der Heilpädagogischen Schulen abhängen, ob ein Zahnarzt oder eine Zahnärztin für Untersuchungen bestellt wird oder nicht. Diese Verantwortung bedeutet auch, dass passende Rahmenbedingungen geschaffen werden, anstatt nur Gleichbehandlung zu ermöglichen. Für die Untersuchung und Behandlung von Kindern mit Behinderung ist beispielsweise oft mehr Zeit nötig oder eine andere Infrastruktur. Das kostet, also braucht es mehr finanzielle Mittel (C. Filippi, persönl. Mitteilung, 27.09.2023 ).

Abschliessend ruft die Schweizerische Vereinigung für Zahnmedizin (SVK) zur Zusammenarbeit auf: «Es sollte eine engere und intensivere Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung dieser Kinder beteiligten Personen aus den verschiedenen Bereichen aufgebaut werden, um die Zahl der Fälle, die unter Vollnarkose behandelt werden müssen, zu minimieren und die Rate der kariesfreien Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu erhöhen» (SVK, schriftliches Interview, 10.10.2023).

Die Erfahrung der Autorin und die geführten Gespräche zeigen, dass eine gute Zahngesundheit für Kinder mit Behinderung nicht am Willen der Beteiligten scheitert. Vielmehr stehen oft andere Themen im Vordergrund, Menschen sind sich der Bedürfnisse der Kinder mit Behinderung nicht bewusst oder kennen keine nützlichen Hilfsmittel. Ihr Beitrag ist deshalb wichtig: Sprechen Sie über die Zahngesundheit von Kindern mit Behinderung und suchen Sie den aktiven Austausch mit Eltern und involvierten Fachpersonen.

Rahel Jakovina

Fachmitarbeiterin

YOUVITA, Bern

rahel.jakovina@youvita.ch

Literatur

Alamri H. (2022). Oral Care for Children with Special Healthcare Needs in Dentistry: A Literature Review. Journal of Clinical Medicine, 11 (19), 5557. https://doi.org/10.3390/jcm11195557

Chau, Y. C. Y., Peng, S.-M., McGrath, C. P. J. & Yiu, C. K. Y. (2020). Oral Health of Children With Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of Attention Disorders, 24 (7), 947-962. https://doi.org/10.1177/1087054717743331

Jockel-Schneider, Y., Hess, J. & Schlagenhauf, U. (2016). Was Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbindet. wissen kompakt, 10, 95-102. https://doi.org/10.1007/s11838-016-0025-8

Krause, L., Seeling, S., Prütz, F. & Wagner, J. (2022). Zahnschmerzen, Zahnputzhäufigkeit und zahnärztliche Kontrolluntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen. Journal of Health Monitoring, 7 (1), 52-65. http://edoc.rki.de/176904/9563

Negrato, C., Tarzia, O., Jovanovic, L. & Chinellato, L. (2013). Periodontal disease and diabetes mellitus. Journal of Applied Oral Science, 21 (1), 1-12. https://doi.org/10.1590/1678-7757201302106

Schulte, A. & Schmidt, P. (2021). Mundgesundheit bei Menschen mit Behinderung in Deutschland – eine Literaturübersicht. Bundesgesundheitsblatt, 64 (1), 793-801.

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention, BRK), vom 13. Dezember 2006, durch die Schweiz ratifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit dem 15. Mai 2014, SR 0.109.

Youvita (2021). Unveröffentlichte Umfrage zur Zahngesundheit bei Kindern mit Behinderung bei Betreuungspersonen und zahnärztlichen Fachpersonen.

  1. Das Netzwerk der Zahnarztpraxen, die mit ZaZa arbeiten, befindet sich in der Aufbauphase. Es gibt bereits erste Zahnarztpraxen, die mit ZaZa arbeiten. Nach Abschluss der Evaluation (siehe Haupttext) soll der Netzwerkausbau weiter vorangetrieben werden.