Wie geht Spital?

Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen im Spital

Christine Walser und Melanie Willke

Zusammenfassung
Ein Aufenthalt in einem Spital bedeutet immer eine Ausnahmesituation – ganz besonders für Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen und ihre Eltern/Erziehungsberechtigten. Das sonst schon stark beanspruchte Gesundheitspersonal ist zusätzlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen sind angewiesen auf mehr Zeit, eine einfachere Sprache, mehr Verständnis und Wohlwollen. Die Fähigkeiten, kommende Behandlungen in Aufklärungsgesprächen zu antizipieren und nachher im Gespräch zu reflektieren, hilft beim Coping und Verarbeiten. Beides ist bei Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen erschwert.

Résumé
Pour un enfant ou un jeune et ses parents / tuteurs, être hospitalisé est toujours une situation éprouvante. C’est encore plus le cas lorsque celui-ci a une déficience cognitive. Dans ces situations, le personnel de santé, par ailleurs déjà très éprouvé, est confronté à des défis supplémentaires. Les enfants et les jeunes ayant des déficiences cognitives demandent plus de temps, qu’on utilise un langage plus accessible et ont besoin de plus d’empathie et de bienveillance. Lors des consultations, les capacités à anticiper les traitements à venir et d’y réfléchir ensuite aident à y faire face et à les assimiler. Ces deux aspects sont plus difficiles chez les enfants et les jeunes ayant une déficience cognitive.

Keywords: Behinderung, kognitive Beeinträchtigung, Krankheit, Spital, Kommunikation, Leichte Sprache, Selbstbestimmung / handicap, déficience intellectuelle, maladie, hôpital, communication, langue facile à lire et à comprendre, autodétermination

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-01-01

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 01/2024

Creative Common BY

Die Situation im Spital

Ein Aufenthalt im Spital ist eine Ausnahmesituation. Dies hat unterschiedliche Gründe: Allgemein ist der Spitalalltag gekennzeichnet durch «hochgradig standardisierte und beschleunigte Abläufe, durch einen hohen Technisierungsgrad, durch eine sich zuspitzende Personalknappheit und immer weniger Zeit für individuelle Zuwendung zum Patienten» (Seidel, 2010, S. 23). Gleichzeitig ist die Person, die ins Spital kommt, belastet durch die Krankheit selbst und die damit verbundenen Beschwerden sowie die mit der Krankheit verbundenen Sorgen. Die fremde Situation im Spital, der Umgang mit vielen unvertrauten Personen, die ungewohnten Abläufe sowie die mögliche Angst vor diagnostischen und therapeutischen Massnahmen verstärken die Belastung. Für Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen ist ein Spitalaufenthalt häufig noch undurchsichtiger und beängstigender als für Menschen ohne Behinderung. Zudem ist ihre Fähigkeit, sich auf fremde und hochkomplexe Situationen einzustellen, aufgrund ihrer persönlichen und behinderungsbedingten Bedürfnisse eingeschränkt (Seidel, 2010).

Rund zwei Drittel aller Kinder kommen gemäss Bundesamt für Statistik (2014) notfallmässig ins Spital. Es ist zu hoffen, dass das Kind mit dem Thema «Spital» zuvor schon einmal in Berührung gekommen ist; sei es durch Bilderbücher, Filme, Besuche im Spital oder bestenfalls einer Führung, die viele Kinderkliniken und -spitäler anbieten für Eltern mit ihren Kindern oder Kindergarten- und Schulklassen. Plötzlich zu erkranken oder zu verunfallen verursacht Stress. Dieser kann dazu führen, dass das Kind nicht mehr die Sicherheit und Begleitung durch die Eltern/Erziehungsberechtigten erfährt, die es in dieser ausserordentlichen Situation bräuchte. Wenn eine kognitive Beeinträchtigung vorliegt und alles schnell gehen muss, ist das eine noch grössere Herausforderung für alle Beteiligten.

Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen können körperliche Beschwerden aufgrund von eingeschränkter Selbstwahrnehmung und begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten nicht oder nur unzureichend mitteilen. Für das Umfeld ist es dementsprechend schwierig, körperlichen Schmerz zu erkennen und körperliche Beschwerden beispielsweise als Ursache für herausfordernde Verhaltensweisen einzuordnen. In der Folge finden eine ärztliche Abklärung und Behandlung häufig erst spät statt (Mohr & Schäfer, 2018). So berichten Sappok und Feuerherd (2018) davon, dass 15 Prozent der Einweisungen in eine Spezialklinik für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen auf körperliche Ursachen zurückzuführen sind (Sappok & Feuerherd, 2018). Insgesamt haben Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine geringere Lebenserwartung als Personen ohne Beeinträchtigungen und einen grösseren Bedarf an medizinischen Behandlungen. Gleichzeitig erhalten sie jedoch weniger Vorsorge-Untersuchungen und haben häufiger Beschwerden, die nicht diagnostiziert oder behandelt werden (Iacono et al., 2014). Die medizinische Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen stellt alle Beteiligten – das Team im Spital, die Eltern/Erziehungsberechtigten und das Kind selbst – vor spezifische Herausforderungen.

Herausforderung: Zeit

Für die Aufklärung, Behandlung, Pflege und Betreuung von kranken Kindern braucht es mehr Zeit als für diejenige von Erwachsenen. Hat das Kind eine Beeinträchtigung, kann der benötigte Zeitaufwand den eingeplanten übersteigen, denn medizinische Fachpersonen stehen wegen des Personalmangels und der steigenden Gesundheitskosten unter Zeitdruck. Zudem äussern sich Krankheiten bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen unter Umständen anders als bei anderen Patient:innen. Wenn ausserdem die Schilderung der Beschwerden und deren Entwicklung nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, müssen übliche Massnahmen der Diagnostik und Therapie modifiziert werden. So müssen unter Umständen Untersuchungen oder einfache Behandlungen unter Narkose durchgeführt werden, was eine zusätzliche psychische und körperliche Belastung mit sich bringt. Insgesamt sind die diagnostischen und therapeutischen Prozesse bei Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen oft schwieriger, langwieriger, komplexer und damit ressourcenaufwendiger. Nebst dem überdurchschnittlichen Zeit- und Ressourcenaufwand kommt es häufig zu überdurchschnittlich langen Aufenthaltsdauern (Seidel, 2010).

Herausforderung: Informationsverarbeitung und Umgang mit komplexen Herausforderungen

Bei Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen kann eine Einschränkung in der Informationsverarbeitung den Umgang mit komplexen Anforderungen erschweren. Mohr und Schäfer (2018) verdeutlichen diese Herausforderungen am Beispiel des Umgangs mit Schmerz. Für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen kann es schwierig oder nicht möglich sein, eine Ursache zu lokalisieren sowie zu benennen oder sich von den Schmerzen zu lösen beziehungsweise diese als vorübergehend einzuordnen. Dies führt unter Umständen zu Verwirrung und Überforderung, was sich wiederum in herausforderndem Verhalten äussern kann – speziell, wenn andere Ausdrucksmöglichkeiten fehlen (ebd.).

Das Spital ist eine fremde Umgebung mit unbekannten Personen, fremdartigen Gerüchen und Geräuschen. Dazu kommen unangenehme Untersuchungen und Behandlungen. Dies kann – zusammen mit der gesundheitlichen Belastung – zu grosser Unsicherheit führen, welche in Form von herausfordernden Verhaltensweisen in Erscheinung treten kann, da andere Verarbeitungs- und Ausdrucksmöglichkeiten oft fehlen. Auffällige Verhaltensweisen äussern sich auf verschiedene Arten:

All diese Verhaltensweisen sind Hinweise auf grosse Belastungen und erfordern eine sensible Reaktion des Umfeldes.

Als weitere psychosoziale Belastungsfaktoren kommen sogenannte «chronische kleine Traumatisierungen» hinzu (Mohr & Schäfer, 2018, S. 36). Es handelt sich dabei um Situationen, «die Menschen immer wieder verletzen oder leicht überfordern» (ebd.). Zu solchen Situationen kommt es im Alltag des Spitals immer wieder. In der Folge haben die Kinder und Jugendlichen ein dauerhaft erhöhtes Erregungsniveau und stehen unter dauerhaftem Stress. Fehlen dann Kompensationsmöglichkeiten, welche helfen, das Erregungsniveau zu senken, reichen unter Umständen scheinbar kleine Auslöser, die zu einer Krise führen (Elvén, 2017).

Herausforderung: Sprache und Kommunikation

Besonders Ärzt:innen, aber auch andere (medizinische) Fachpersonen nutzen während ihrer Berufsausübung eine effiziente, ausgefeilte, präzise Sprache. Dieser versierten Bildungssprache (CALP – cognitive academic language proficiency – nach Cummins, 2000) steht die Sprache von Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen gegenüber, die in Stresssituationen schon mit der Mundart-Alltagssprache (BICS – basic interpersonal communicative skills – nach Cummins, 2000) überfordert sein können. Medizinische Fachpersonen schulen ihre Kommunikationsfähigkeiten während der Ausbildung und der Berufsausübung. Dennoch gibt es immer wieder Missverständnisse – und dies nicht nur bei Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen. So schlief eine Jugendliche nach einer orthopädischen Operation eine halbe Nacht nicht, weil ihr gesagt wurde, sie würde morgen «mobilisiert». Anstatt nachzufragen, malte sie sich aus, was das bedeuten könnte. Von «Automobil» abgeleitet, stellte sie sich einen medizinischen Apparat vor, in den sie hineingespannt würde.

Es braucht von den medizinischen Fachpersonen eine angepasste (sprachliche wie nicht-sprachliche) Kommunikation. Leichte beziehungsweise Einfache Sprache unterstützt das Verstehen erheblich. Ebenso können längerfristig angebahnte Methoden der Unterstützten Kommunikation (UK) eine Lösung sein. Spezifisches Vokabular für Spital und Krankheit in einer alternativen Kommunikationsform sind dabei von besonderer Bedeutung. Dieses bietet beispielsweise die kostenlose App UK-Pflege (Methodenzentrum Unterstützte Kommunikation, 2019).

Sind Kinder auf Leichte Sprache oder sogar Unterstützte Kommunikation (UK) angewiesen, stellt dies medizinische Fachpersonen oft vor grosse Herausforderungen. Kompetente Eltern/Erziehungsberechtigte sind wertvoll beim Überbrücken von Kommunikationsbarrieren. Als gefühlsmässig Involvierte sind sie aber oft nicht in der Lage, die benötigte Zeit einzufordern, um das Kind voll und ganz einzubeziehen. Dolmetschende können sprach- und kulturvermittelnd unterstützen, aber letztlich kann einiges in der Übersetzung oder Vermittlung verloren gehen.

Herausforderung: Krankheitsverständnis und Adhärenz

Gemäss Artikel 4 der EACH-Charta (EACH, 2016) haben Kinder und ihre Eltern das Recht, ihrem Alter und ihrem Verständnis entsprechend informiert zu werden. Der Weg vom im Aufklärungsgespräch Gesagten zum fully informed consent ist jedoch lang. Die Aussagen der medizinischen Fachperson können – wenn überhaupt – allenfalls anders verstanden werden. Ist es hingegen richtig verstanden worden, heisst das noch nicht zwingend, dass ein Konsens besteht.

Eine medizinische Behandlung gelingt dann am besten, wenn sich Patient:innen mit voller Überzeugung darauf einlassen können. Bei Kindern müssen zudem die Eltern/Erziehungsberechtigten bewusst einbezogen werden. Wenn die medizinischen Informationen verstanden wurden und die Behandlung innerlich angenommen wird, kann Letztere optimal zur Wirkung kommen. Nicht selten hängt die Adhärenz[1] ab von der Kommunikation rund um die Krankheit, der Behandlung und dem Umgang mit Nebenwirkungen.

Eine Krankheit oder Verletzung mit all ihren Facetten zu verstehen setzt ein grosses Wissen und Verständnis für Körperfunktionen voraus. Kinder bauen anhand des Gehörten und ihres Körperverständnisses Konzepte auf, die nicht immer korrekt sind. Oft können sie diese nicht mit Fragen der Realität anpassen. Hilfreicher ist es, wenn Bezugs- oder medizinische Fachpersonen gezielt nachfragen, um herauszufinden, welche Konstrukte sich das Kind macht. Das während der Covid-19-Pandemie Gelernte wird beispielsweise oft übergeneralisiert auf alle Krankheiten angewendet. So glauben viele Kinder, dass jede Krankheit ansteckend ist.

Es hat sich in der Praxis bewährt, generell Kinder und Jugendliche und im Speziellen diejenigen mit kognitiven Beeinträchtigungen erklären zu lassen, was sie verstanden haben, um Missverständnisse möglichst früh aufdecken und das Niveau der Sprache anpassen zu können.

Herausforderung: Stress

Für Patient:innen und Eltern/Erziehungsberechtigte bedeutet ein Spitalaufenthalt meist eine Ausnahmesituation, die bestenfalls geplant werden kann: Nebst der Sorge um die Gesundheit des Kindes gilt es oft, Geschwisterkinder zu versorgen, alles rund um die Arbeitsstelle zu organisieren, sich in einer allfälligen Partnerschaft und mit anderen Bezugspersonen gut abzusprechen oder Mehrkosten für Fahrten und auswärtige Verpflegung zu stemmen. Das sogenannte Rooming in in Kinderkliniken und -spitälern erlaubt es den Eltern/Erziehungsberechtigten, rund um die Uhr beim hospitalisierten Kind zu sein. Dies ist nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Erwartung des medizinischen Fachpersonals. Denn dieses hat häufig wenig Zeit, die Grundpflege der Kinder zu übernehmen und ist froh, neben dem Kind noch entscheidungsbefugte Ansprechpersonen zu haben. Die Nächte in Spitälern sind meist auch für Eltern/Erziehungsberechtigte nicht sehr erholsam. Das Kind fühlt sich unwohl und die Eltern/Erziehungsberechtigten befinden sich in einer aussergewöhnlich anspruchsvollen Situation. Das erzeugt Stress und dieser überträgt sich von den Eltern/Erziehungsberechtigten auf das Kind und umgekehrt.

Medizinische Fachpersonen sind sich den Umgang mit diesen herausfordernden Situationen gewohnt und wenden viele unterstützende Massnahmen an. Je besser einem Kind alles erklärt werden kann, desto eher kann es damit umgehen, allenfalls sogar Resilienz aufbauen. Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen hingegen nehmen oft die angespannte Stimmung wahr, können nicht gut verstehen, was passiert und verspüren grosse Angst.

Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen sind öfter im Spital und haben insgesamt mehr Bedarf in der Gesundheitsversorgung (Aston et al., 2014). Dies kann zu ungünstigen Konditionierungen oder Traumatisierungen führen, vor allem, wenn die Kinder lebensbedrohliche Notfallsituationen erlebt haben. So kann beispielsweise ein Piepsen eines Infusomaten, der Geruch eines Desinfektionsmittels oder der Anblick einer Spritze eine Angstreaktion triggern. Hat die Amygdala[2] Alarm geschlagen, können die überschiessenden Stresshormone die älteren Teile des Gehirns aktivieren, was zu automatisierten Reaktionen wie Kampf, Flucht oder Erstarren führt. Der präfrontale Kortex wird gedämpft und kann seine Kontrollfunktion nicht mehr wahrnehmen (Wolf, 2017). Das Einreden auf das Kind oder Erklärungs- und Beruhigungsversuche in unverändertem Setting nützen so nichts. Das bedeutet, dass Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen angewiesen sind auf eine besonders sorgfältige Aufklärung und Absprachen, wie vorgegangen werden soll. Wichtig ist auch, dass sie in die Handlungen einbezogen werden, also beispielsweise selbst ein Pflaster entfernen dürfen. Wenn sie die Kontrolle über die Situation behalten und auch mal «Stopp» sagen dürfen, hilft das sowohl beim Coping als auch beim Vermeiden der Ausschüttung von zu viel Stresshormonen.

Herausforderung: Körperliche Integrität und Selbstbestimmung

Frauen mit einer geistigen Behinderung sind gemäss der Fachstelle Frauenberatung sexuelle Gewalt drei bis vier Mal häufiger Opfer von sexueller Gewalt, als dies bei Frauen ohne kognitive Beeinträchtigung der Fall ist (Verein Frauenberatung sexuelle Gewalt, o. J.).

Da chronisch kranke Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen immer wieder Untersuchungen und Behandlungen über sich ergehen lassen müssen, ist es wichtig, dass sie dennoch lernen, ihre körperliche Integrität aufzubauen. Eine Jugendliche mit kognitiver Beeinträchtigung lernte im Sexualunterricht, dass sie über ihren Körper selbst bestimmen darf. Im Spitalschulunterricht wurden auf einem Körperbild die Zonen eingezeichnet, in denen sie Berührungen von definierten Personen zulassen würde und darüber diskutiert. Die Jugendliche lernte zudem, deutlich und mit klarer Körpersprache «Stopp» zu sagen, um ihre Grenzen zu wahren. Dies wendete sie dann auch erfolgreich an, als eine Ärztin sie untersuchen wollte. Ein Gefühl dafür zu entwickeln, was sein muss und wann ein Übergriff beginnt, ist für Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen unter Umständen schwierig, besonders, wenn sie wegen zusätzlichen körperlichen Beeinträchtigungen auf Hilfe bei der Körperpflege angewiesen sind.

Für medizinische Fachpersonen ist es eine Gratwanderung, Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen einzuschätzen. In welchen Bereichen können sie selbst die Verantwortung für ihr Krankheitsmanagement übernehmen und wobei brauchen sie Unterstützung? Was können sie vollumfänglich verstehen und selbst entscheiden und wann sind die Eltern/Erziehungsberechtigten gefragt?

Der Herausforderungen zu viele?

Es könnte nun der Eindruck entstehen, dass Spitalaufenthalte für Kinder und Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen zwangsläufig zu Traumatisierungen führen. Die Praxis zeigt jedoch, dass die meisten Kinder und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen es schaffen, an diesen Herausforderungen zu wachsen. Dies kann geschehen, wenn das Fachpersonal in Kinderkliniken und -spitälern sensibilisiert ist für die Bedürfnisse von kleinen Patient:innen mit und ohne kognitive Beeinträchtigungen. Meist leisten auch Eltern und Erziehungsberechtigte von Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Beeinträchtigungen einen Extra-Effort. Dennoch ist es wichtig, diese besonderen Patient:innen im Gesundheitswesen gut im Blick zu haben.

Christine Walser

Lehrerin/Schulische Heilpädagogin

Spitalschule im Universitäts-Kinderspital Zürich

Lehrbeauftragte HfH und HF Pflege Careum Zürich

Committee Member bei HOPE

christine.walser@kispi.uzh.ch

www.hospitalteachers.eu

Prof. Dr. Melanie Willke

Professorin für Bildung im Bereich körperlich-motorische Entwicklung und chronische Krankheiten

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich

melanie.willke@hfh.ch

Literatur

Aston, M., Breau, L. & MacLeod, E. (2014). Hospital Experiences of Children with Intellectual Disabilities, their Parents and Nurses. https://cdn.dal.ca/content/dam/dalhousie/pdf/healthprofessions/School%20of%20Nursing/faculty_docs/Hosptial_Experiences_of_Children_with_Intellectual_Disabilitie_%20their_Parents_and_Nurses.pdf

Bundesamt für Statistik (2014). Kinder im Spital. Bundesamt für Statistik. www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen.assetdetail.350830.html

Cummins, J. (2000). Language, power, and pedagogy: Bilingual children in the crossfire. Multilingual matters. https://doi.org/10.21832/9781853596773

EACH (European association for children in hospital) (2016). Die EACH Charta mit Erläuterungen. www.kindundspital.ch/downloads/each-charta

Elvén, B. H. (2017). Herausforderndes Verhalten vermeiden. Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten ermöglichen. dgvt.

Iacono, T., Bigby, C., Unsworth, C., Douglas, J. & Fitzpatrick, P. (2014). A systematic review of hospital experiences of people with intellectual diability. BMC Health Service Research, 14, 505–512. https://doi.org/10.1186/s12913-014-0505-5

Klauss, T. (2018). Psychische Störungen im Kontext Schule – Erkenntnisse und Handlungsoptionen. In H. Schäfer & L. Mohr (Hrsg.), Psychische Störungen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (S. 58–72). Beltz.

Methodenzentrum Unterstützte Kommunikation (2019). Die UK-Pflege – eine neue Kommunikationshilfe in der Pflege. https://web.mezuk.org/2020/07/25/die-uk-pflege-eine-neue-kommunikationshilfe-in-der-pflege

Mohr, L. & Schäfer, H. (2018). Psychische Störungen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung – pädagogische Implikationen und thematische Orientierung. In H. Schäfer & L. Mohr (Hrsg.), Psychische Störungen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (S. 10–27). Beltz.

Sappok, T. & Feuerherd, C. (2018). Red Flags für die psychiatrische Vorstellung. In H. Schäfer & L. Mohr (Hrsg.), Psychische Störungen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (S. 185–196). Beltz.

Seidel, M. (2010). Die Situation von Patientinnen und Patienten mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Krankenhaus – ein Problemaufriss. In Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V. (BeB), Patientinnen und Patienten mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Krankenhaus – Problemlagen und Lösungsperspektiven (S. 20–29). BeB.

Verein Frauenberatung sexuelle Gewalt (o. J.). Zahlen & Fakten. www.frauenberatung.ch/fachstelle/zahlen-fakten/index.html [Zugriff: 26.09.2023].

Wolf, C. (2017) Hirn unter Druck. Gehirn & Geist, 6, 13–16.

  1. Damit gemeint ist die Einhaltung von verabredetem Verhalten, das zum Erreichen von Therapiezielen förderlich ist.

  2. Die Amygdala (Mandelkern) ist ein Teil des Gehirns und an emotionalen Reaktionen beteiligt.