Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen

Tamara Carigiet

DOI: https://doi.org/10.57161/z2024-01-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 30, 01/2024

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Hippokrates, der Urvater der Medizin, definierte Krankheit in der Antike als ein Ungleichgewicht der vier Säfte des menschlichen Körpers. Abhängig davon, welcher Saft überwog, galten Menschen als «Sanguiniker» (Blut), «Phlegmatiker» (Schleim), «Choleriker» (gelbe Galle) oder «Melancholiker» (schwarze Galle). Während mehreren Jahrhunderten war die Entleerung des Körpers eine zentrale Behandlungsmethode (z. B. durch Aderlässe, Einläufe oder Brechkuren). Davon sind wir heute zum Glück weitgehend abgekommen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Krankheit über den Gegenbegriff der Gesundheit (1946). Dieser beschreibt einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens.[1] Zudem hält die WHO fest, dass ein bestmöglicher Gesundheitszustand ein Grundrecht jedes Menschen ist (ebd.). Alle Menschen haben Anspruch auf eine angemessene medizinische Behandlung und Betreuung.

In der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, 2006, 2014) hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, dass Menschen mit Behinderungen eine qualitativ gleichwertige Gesundheitsversorgung erhalten wie Menschen ohne Behinderungen. Zudem sollen die Mitarbeitenden des Gesundheitswesens bestrebt sein, das Bewusstsein für Menschenrechte, Würde und Autonomie zu stärken sowie die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu wahren. Doch wie sieht die Realität aus?

Der Verein bedürfnisgerechte medizinische Versorgung für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung (VBMB) kommt anhand einer Studie zum Schluss, dass die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz nach wie vor unbefriedigend ist (VBMB, 2022[2]). Die für medizinische Leistungen vorgesehenen finanziellen und zeitlichen Ressourcen reichen für Menschen mit Behinderungen oft nicht aus. Zudem fehle es dem medizinischen Fachpersonal vielfach an spezifischem Fach- und Erfahrungswissen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Deshalb fordert der Verein in seiner Resolution (ebd.) per sofort den Abbau von Barrieren in baulich-technischen, digitalen und administrativen Bereichen sowie in der Kommunikation. Zudem verlangt der VBMB, dass Institutionen des Gesundheitswesens und Informationskampagnen zu Gesundheit und Prävention auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind. In Spitälern und anderen Einrichtungen sollen Beauftragte für das Thema «Behinderung» ernannt und ausgebildet werden. Im deutschsprachigen Raum nimmt das Universitätsspital Basel (USB) diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, denn hier wurde eine solche Stelle bereits im Jahr 2016 geschaffen (siehe dazu das Interview auf S. 14–21).

Bis zum gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu den Angeboten im Gesundheitsbereich bleibt noch einiges zu tun. Legen wir einen Zwischenstopp ein und schauen, wo sich bereits etwas verändert (hat). In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.

Dr. phil. Tamara Carigiet

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

SZH/CSPS

tamara.carigiet@szh.ch

  1. www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1948/1015_1002_976/de

  2. www.vbmb.ch/userfiles/downloads/dokumente/Resolution_D_final_V3a.pdf