Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I von Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf

André Kunz, Ariane Paccaud, Giuliana Pastore und Reto Luder

Zusammenfassung
Der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I ist bedeutsam für jedes Kind (Erwartungen, Emotionen, Stress usw.). Nach einer Einführung in die theoretischen Grundlagen zum Thema Übergang befasst sich dieser Artikel insbesondere mit den Bedingungen, die den Erfolg des Übergangs für Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Schweiz begünstigen. Die in diesem Artikel vorgestellten Daten stammen aus dem SNF-Forschungsprojekt «Integrative Förderung in der Schweiz». Eine Analyse der sonderpädagogischen Konzepte der Schulen sowie Interviews mit Schulleitungen und Eltern zeigen auf, wie wichtig es ist, den Informationsfluss, die individuelle Vorbereitung des Kindes und der Beteiligten sowie den Einbezug der Eltern zu gewährleisten. Für die Praxis lässt sich ableiten, dass eine sorgfältige Kommunikation vor, während und nach dem Übergang besonders für Kinder wichtig ist, welche auf Unterstützung zur möglichst stressfreien Bewältigung von Übergängen angewiesen sind.

Résumé
La transition entre l’école primaire et l’école secondaire est un moment significatif pour les enfants (attentes, émotions, stress, etc.). Après une présentation des fondements théoriques autour des transitions, cet article s’intéresse en particulier aux conditions favorisant la réussite de cette transition pour les élèves ayant des besoins éducatifs particuliers dans le contexte suisse. Les données présentées sont issues du projet de recherche national intitulé « Integrative Förderung in der Schweiz ». Une analyse des concepts de pédagogie spécialisée des établissements scolaires, ainsi que des entretiens avec les directions d’école et les parents démontrent l’importance de veiller à la circulation de l’information, à la préparation individuelle de l’enfant et des personnes concernées et à l’implication des parents. Dans la pratique, on peut en déduire qu’une communication soigneuse avant, pendant et après la transition est particulièrement importante pour les enfants qui ont besoin d’un soutien particulier pour surmonter les transitions avec le moins de stress possible.

Keywords: besonderer Bildungsbedarf, Eltern-Schule-Beziehung, Übergang Primarstufe – Sekundarstufe I / besoins éducatifs particuliers, relation parents-école, transition degré primaire – degré secondaire I

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-08-07

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 08/2023

Creative Common BY

Erfolgreiche Übergänge

Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I ist ein Wechsel von einem sozialen Kontext in einen anderen, der mit unterschiedlichen Erwartungen, Emotionen und Möglichkeiten verbunden ist (Griebel & Niesel, 2020). Bronfenbrenner (1981) definierte solche Übertritte als Transitionen, die zu grossen Veränderungen in vielen Lebensbereichen führen. Mit jedem Wechsel gehen Entwicklungsprozesse einher, die auch Unsicherheiten und Belastungen mit sich bringen. Neuenschwander (2017) verweist dabei auf die individuelle Passung im Verhältnis zum veränderten Kontext. Beeinträchtigtes Wohlbefinden deutet auf eine ungünstige Bewältigung von Übergangssituationen hin. Im transaktionalen Stressmodell von Lazarus (1981, 1984) liegt der Fokus auf den subjektiv wahrgenommenen internen und externen Ressourcen. Stress stellt sich ein, wenn Kinder nicht über genügend Ressourcen verfügen, Anforderungen zu bewältigen. Stress hängt zudem massgeblich davon ab, wie die Person ihre Bewältigungsmöglichkeiten bewertet sowie von den Anforderungen der Situation. Noack und Kracke (2020) betonen, dass das zeitliche Zusammentreffen mehrerer Anforderungen und Belastungen ein Risiko für Krisen darstellt.

Die Zuordnung in einen neuen Bildungskontext ist dann erfolgreich, wenn das Kind kompetent ist; das heisst, «wenn es sich in der Schule wohl fühlt, die gestellten Anforderungen bewältigt und die Bildungsangebote für sich optimal nutzt» (Griebel, 2011, S. 25). Der Erfolg eines Übergangs hängt stark von der Bereitschaft aller beteiligten Akteur:innen ab, das betroffene Kind zu begleiten. Besonders der Familie wird – neben der abgebenden und der aufnehmenden Schule – eine Schlüsselrolle zugewiesen, um den Transitionsprozess mitzusteuern (Neuenschwander, 2017).

Kinder mit besonderem Förderbedarf bei Übergängen

Beelmann (2013) konnte in einer Untersuchung zum Übergang vom Kindergarten in die Schule vier Typen von Kindern eruieren: Risikokinder, Übergangsgestresste, Geringbelastete und Übergangsgewinner. Die Risikokinder und Übergangsgestressten verfügen über zu wenig eigene Ressourcen zur Bewältigung einer guten Person-Umwelt-Passung im neuen Setting. Für Kinder mit besonderem Förderbedarf zeigten sich in verschiedenen Untersuchungen mögliche Hindernisse beim Übergang: drohender Bruch in der eigenen Bildungsbiografie bei Separation, schulleistungsbezogene Herausforderungen, Risiko von Stigmatisierung sowie Vorurteilen, Nichtbeachtung im neuen Setting und ein bedrohtes subjektives Wohlbefinden (Niesel & Griebel, 2015; Weber-Liel, 2021; Luder et al., 2022).

Für Eltern sind beim Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe das emotionale Wohlbefinden und die Integration ihres Kindes in der neuen Klasse wichtig. Auch die Partizipation ist ein zentrales Anliegen. Echte Partizipation mit Mitbestimmung wird jedoch nur selten erlebt, viel häufiger wird von einseitiger Information oder Anhörung berichtet (Luder et al., 2020). Weiter befürchten Eltern den hohen Leistungsdruck und den möglichen Verlust an Unterstützung im Vergleich zur Primarstufe, weshalb sie sich neben der guten fachlichen Unterstützung vor allem eine «individuell zufriedenstellende Schullaufbahn» für die schulische Zukunft ihrer Kinder wünschen (Paccaud et al., 2021). Dem steht eine zunehmend erhöhte Standardisierung im Bildungssystem entgegen (Tillmann, 2013), die wenig Raum für individuelle Schulbiografien lässt. Es überrascht deshalb nicht, dass Eltern kritisch gegenüber Standardisierungen sind, mehr Mitbestimmung fordern und eher Schulformen bevorzugen, welche die Selektion bei Übergängen verringern (Weber-Liel, 2021).

Niesel und Griebel (2015) nennen verschiedene Faktoren für einen gelungenen Übergang wie Klarheit über den Prozess, der Einbezug der Perspektiven aller Beteiligten, klare Kommunikation, Partizipation und passende Arbeitsbedingungen. Weber-Liel und Kracke (2020) verweisen ausserdem auf Faktoren, die besonders für Kinder mit besonderem Förderbedarf relevant sind. Dazu gehören eine schulübergreifende Strukturierung des Übergangs, eine Systematisierung der Unterstützungsmöglichkeiten, eine klare personelle Verantwortung für die Organisation des Übergangs sowie eine Bereitstellung von Ressourcen seitens der Schule und Schulverwaltung für ein erfolgreiches Übergangsmanagement. Dabei gelten als fundamentale Grundhaltung die Bereitschaft und die Kompetenz, Stärken und Potenziale von Schüler:innen zu erkennen und angepasste Lösungen zu finden. So wird die individuelle Entwicklung der Lernenden gefördert. Alle Aspekte bei einem Übergang zu beachten (d. h. Fokus auf das Kind, die Aufgabe sowie die Bezugssysteme), entspricht einer ökosystemischen Sichtweise und wird dem dynamischen Charakter der Passung gerecht (Neuenschwander, 2017).

Modell zur Gestaltung von Übergängen

Das Modell zur Gestaltung von Übergängen von Kracke et al. (2019), betont fünf zentrale Ziele für die Kinder: Unterstützung, Sicherheit, Entlastung, Wohlbefinden sowie Selbstwirksamkeit. Darauf basierend lassen sich für den Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe aus inklusiver Sicht für Kinder mit besonderem Förderbedarf verschiedene Phasen unterscheiden:

Idealerweise sind alle Personen, die mit der Situation des Kindes zu tun haben (auf schulischer, therapeutischer und familiärer Ebene), in den Übergangsprozess eingebunden. Insbesondere verweist das Modell von Kracke et al. (2019) auf unterschiedliche Elemente in diesem Prozess:

Folgende Bedingungen, die eng verbunden sind mit den Gelingensbedingungen schulischer Inklusion, führen gemäss Weber-Liel (2021) zu einer erfolgreichen individuellen Übergangsgestaltung: eine offene und inklusionsbefürwortende Haltung, Wissen zu sonderpädagogischen Inhalten, Diagnostik und Kooperationsbereitschaft sowohl mit schulischen als auch mit ausserschulischen Partner:innen (Weber-Liel, 2021).

Ausgehend von diesen theoretischen Grundlagen wird in diesem Beitrag der Frage nachgegangen, wie sich der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I für Kinder mit besonderem Förderbedarf in Regelschulen in der Schweiz gestaltet.

Design der Studie

Die im Folgenden dargestellten Daten stammen aus der Studie «Integrative Förderung in der Schweiz auf der Sekundarstufe I» (www.phzh.ch/ifch), die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wurde. Es wurden sonderpädagogische Konzepte der Schulen analysiert und Interviews mit Schulleitungen und Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf geführt. Das längsschnittlich angelegte Forschungsprojekt besteht aus drei Phasen:

Aus den Konzepten wurden Aussagen zum Übergang analysiert. Im leitfadengestützten Interview mit der Schulleitung wurden Rückfragen zur Klärung der Konzepte eingesetzt. Die Eltern wurden zu Beginn der ersten Sekundarstufe mit semistrukturierten Interviews befragt. In diesen Interviews ging es um die elterlichen Ansichten zum Schulstart ihres Kindes, zu den Unterstützungsmassnahmen und zur Zusammenarbeit mit der Schule. Die aus den drei Quellen erhobenen Daten wurden mit der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) analysiert.

Ergebnisse

Übergangsprozesse aus Sicht der Schule

Die sonderpädagogischen Konzepte enthalten mehrheitlich Hinweise zu Sitzungen zur Planung des Übergangsprozesses. Auch Fragen der Zuweisung von Fördermassnahmen in der Sekundarstufe werden angesprochen: Es geht darum, festzulegen, ob das Kind einfache oder verstärkte sonderpädagogische Fördermassnahmen benötigt oder nicht. Bei Unsicherheiten im Zuweisungsprozess werden zusätzlich diagnostische Abläufe initiiert, unter Einbezug der Schulpsychologie und weiterer Fachstellen und Diensten.

Die Gestaltung von Übergängen

Der meist klar beschriebene Übergangsprozess enthält einen zeitlichen Ablauf für den Informationsaustausch zwischen den Klassenlehrpersonen und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen vor und nach dem Übergang. Zudem zeichnet sich der Übergang aus durch zeitliche Verbindlichkeit im Jahresplan, eine einheitliche Dokumentation, die Einhaltung des Datenschutzes sowie Beratung des Übergangsprozesses durch die Personen aus der Primarstufe, welche das Kind kennen.

Darüber hinaus werden diese Übergangsprozesse auch individuell auf die Schüler:innen und ihre besonderen Bildungsbedürfnisse abgestimmt. Dies wird durch verschiedene Massnahmen vor und/oder nach dem Übergang erreicht: Gespräche zwischen Regel- und Sonderschullehrpersonen, Eltern und Therapeut:innen, Kontaktaufnahme zwischen der Schulleitung und den Eltern sowie ein Besuch der Schule durch das Kind vor dem Übergang. Die endgültige Entscheidung über die Zuweisung der sonderpädagogischen Ressourcen erfolgt flexibel, je nach den Erfahrungen in den ersten Wochen des Schuljahrs.

Zuweisung von Fördermassnahmen und die Weitergabe von Informationen

Der Einbezug (Partizipation) der Eltern beim Entscheid über die Zuweisung eines Förderstatus ist relevant. Bereits organisierte Fördermassnahmen wie integrierte Sonderschulung oder individuelle Lernziele werden nach Möglichkeit beibehalten. Informationen zu Nachteilsausgleichsmassnahmen werden weitergegeben. Liegt ein umfangreicher Anspruch auf Förder- oder Nachteilsausgleichsmassnahmen vor, so werden diese beim Übergang teilweise auch nochmals validiert und in Folge regelmässig überprüft. Der Übergang wird durch Informationen zu Förderstatus und Klassendynamik für die Klassenbildung auf der Oberstufe frühzeitig unterstützt (meist im 2. Quintal der 6. Primarklasse).

Günstige Bedingungen für das weitere Lernen der Schüler:innen

Der Übergang wird durch eine Schulorganisation und Schulkultur unterstützt, welche über die Stufen hinweg aufgebaut und umgesetzt werden. Lehrpersonen auf der Oberstufe kennen die Schüler:innen der Primarstufe bereits vor dem Übergang. Gewisse Lehr- und Lernformen (wie z. B. die Arbeit mit individualisierten Lernplänen) kennen die Kinder bereits. Dies verhindert Brüche im Lernprozess beim Wechsel von der Primar- in die Oberstufe.

Erschwerende Bedingungen beim Übergang

Der Übergang wird erschwert, wenn die Kompetenzen der Schüler:innen vor und nach dem Übergang nicht gleich bewertet werden oder wenn es Lücken gibt in den übermittelten Informationen über den Förderstatus der Schüler:innen bei der Orientierung in den verschiedenen Bildungsgängen der Sekundarstufe. Auch gestaltet sich der Übergang herausfordernd, wenn Informationen nicht oder nur unvollständig übermittelt werden.

Übergangsprozesse aus Sicht der Eltern

Informationsfluss und Übernahme von Massnahmen

Für die Eltern von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist die Informationsvermittlung ein zentrales Element des Übergangs von der Primar- zur Sekundarstufe. Denn diese hat einen grossen Einfluss auf die Fortführung von Fördermassnahmen sowie auf die Berücksichtigung des Nachteilsausgleichs.

Einige Eltern äusserten sich positiv über die Art und Weise, wie die Informationen weitergegeben werden. Sie berichten von einem direkten Austausch zwischen Primar- und Sekundarlehrpersonen, von einer «Aktenweitergabe» sowie von Kontakten zwischen Eltern und Lehrpersonen und/oder der Schulleitung.

Im Gegensatz dazu berichten andere Eltern, dass die Akten nicht weitergegeben werden, obwohl die Primarschule und die Sekundarschule «nur zwei Strassen voneinander entfernt sind». Besonders frustrierend ist es für die Eltern, wenn die Schule ihr Wissen und allfällige Abklärungsdokumente, ihre Kompetenzen und Erfahrungen mit dem Kind komplett ausser Acht lassen. Zudem machen Eltern negative Erfahrungen, wenn schulische Entscheidungen nur auf der Basis «offizieller» Anlaufstellen (Primarschule, Therapeut:innen usw.) getroffen werden. Dabei geht viel Zeit verloren. Währenddessen bekommt das Kind keine geeignete Unterstützung. Dies hat schwerwiegende Folgen für das Kind; insbesondere in Bezug auf seine Motivation, seine schulischen Leistungen und sein Verhalten.

Struktur und Organisation der Sekundarschule aus Sicht der Eltern

Die befragten Eltern erwähnen auch wichtige Unterschiede zwischen der Funktionsweise der Primarschule und derjenigen der Sekundarschule. Die Zuteilung auf ein Niveau auf der Sekundarstufe führt manchmal dazu, dass es kaum integrative Förderung gibt, da bei der Zuteilung das tiefste Niveau bevorzugt wird. Für manche Schüler:innen ist dies kein Problem. Sie sind manchmal sogar erleichtert, mit Kindern in einer Klasse zu sein, die ein ähnliches Potenzial haben. Sie geniessen es, «keine Sonderbehandlung mehr zu haben» und «wie alle anderen zu sein». In anderen Situationen bedauern Eltern, dass ihre Kinder keinen Anspruch mehr auf Unterstützung haben, obwohl sie in der Primarschule Fördermassnahmen erhalten haben. Ein weiteres von einigen Eltern hervorgehobenes Element ist die Spannung zwischen den Bedürfnissen der Schüler:innen (besondere Aufmerksamkeit, Fördermassnahmen) und dem System der Oberstufe mit einem weitgehenden Fachlehrpersonenprinzip mit teilweise wenig Kontakt zu einzelnen Kindern in einer Schulwoche. Insbesondere scheint es aus den berichteten Erfahrungen der Eltern in der Sekundarschule schwieriger als in der Primarschule zu sein, einen Nachteilsausgleich umzusetzen.

Erleben des Kindes in der Wahrnehmung der Eltern

Die grosse Veränderung, die der Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe mit sich bringt, hat für einige Schüler:innen Vorteile. Manche Eltern berichten von den positiven Auswirkungen eines Wechsels der Umgebung, der Lehrkraft oder der Mitschüler:innen. Dies gilt sowohl für Kinder, die in der Grundschule Schwierigkeiten mit Lehrpersonen oder Mitschüler:innen hatten (Belästigung, Mobbing), als auch für Kinder, die einfach die Veränderung geniessen: Sie fühlen sich erwachsener, eine Etappe weiter, selbstständiger und verantwortungsbewusster. Zudem erwähnt eine Familie die Tatsache, dass dieser Übergang mit dem Erhalt des «Sonderschulstatus» einherging, wodurch Fördermassnahmen möglich wurden und das Kind sich endlich in der Schule wohlfühlte.

Dieser Wechsel kann manchmal aber auch als unangenehm erlebt werden; insbesondere aufgrund der von einigen Schüler:innen empfundenen grossen Diskrepanz zwischen dem Rhythmus und den Anforderungen der Primar- und der Sekundarstufe. Mehrere Eltern erwähnen, dass die Kinder nicht auf diesen Wechsel vorbereitet werden. Darüber hinaus scheinen einige Schüler:innen der Stichprobe von der neuen Situation enttäuscht oder überfordert zu sein. Die Mutter einer Schülerin berichtet, dass ihre Einschränkungen so gross sind, dass sie selbst mit den vorhandenen Anpassungen nicht mithalten kann. Andere Eltern erzählen von der Enttäuschung ihrer Tochter, dass sie es nicht ohne Hilfe schafft, selbst wenn sie im tiefsten Niveau eingeteilt wurde.

Diskussion

Bezugnehmend auf das Modell für die Gestaltung von Übergängen von Kracke et al. (2019) wird sowohl aus den Analysen der sonderpädagogischen Konzepte und den Aussagen der Schulleitungen wie auch der Eltern klar, dass die drei Phasen allesamt wichtig sind. Die Ergebnisse zeigen in der Orientierungs- und Entscheidungsphase folgende Erfolgsfaktoren: Kontaktaufnahme seitens der Primarschule mit der aufnehmenden Schule, Rücksprache mit den Eltern, Einbezug der Eltern in die Entscheidung über den Ort und die Art der Förderung auf der Oberstufe (Niveau, Klassenzusammensetzung, Unterstützungsbedarf), Weitergabe von Informationen an die aufnehmende Schule. Für die Planungs- und Kontaktphase ist zudem die Vorbereitung der Kinder wichtig: Kennt das Kind die zukünftige Klasse, die Lehrperson und das Schulhaus? Ist es «bereit» für den Start nach den Sommerferien? Dies vermittelt Sicherheit, reduziert Ängste und verringert damit Stress. Besonderes Augenmerk liegt in der Ankunfts- und Integrationsphase auf dem rechtzeitigen Informationsfluss. Berichtet werden hierbei Schwierigkeiten, weil Informationen zu spät oder unvollständig an die aufnehmende Schule gelangen.

In Bezug auf diagnostisch relevante Informationen sowie prognostische Einschätzung und Angaben zur Förderplanung berichten Eltern sowohl von erfolgten Informationsübergaben wie auch von deren Nicht-Berücksichtigung. Der Rückgang an Ressourceneinsatz für die sonderpädagogische Unterstützung auf der Sekundarstufe I führt oft dazu, dass Förderung qua Zuteilung ins tiefste Niveau geschieht. Damit entsteht eine Art «stille Integration», eventuell ohne spezifische Förderung oder in geringerem Umfang.

Die Ergebnisse der berichteten Studie sind zwar nicht repräsentativ für die Schweiz.[1] Dennoch finden sich viele Parallelen zum Modell von Kracke et al. (2019) sowie zu den von Weber-Liel (2021) ausgeführten spezifischen Aspekten für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Für die Gestaltung von Übergangsprozessen lässt sich somit ableiten, dass eine sorgfältige Kommunikation vor, während und nach dem Übergang besonders für Kinder wichtig ist, welche auf Unterstützung zur möglichst stressfreien Bewältigung von Übergängen durch ihr Umfeld angewiesen sind, sei es mit oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.

Prof. Dr. André Kunz

Pädagogische Hochschule Zürich

andre.kunz@phzh.ch

Dr. phil. Ariane Paccaud

Pädagogische Hochschule Freiburg

ariane.paccaud@edufr.ch

Giuliana Pastore, MA

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Pädagogische Hochschule Zürich

giuliana.pastore@phzh.ch

Prof. Dr. Reto Luder

Leiter Zentrum Inklusion und Gesundheit in der Schule

Pädagogische Hochschule Zürich

reto.luder@phzh.ch

Literatur

Beelmann, W. (2013). Normative Übergänge im Kindesalter: Anpassungsprozesse beim Eintritt in den Kindergarten, in die Grundschule und in die weiterführende Schule. Kovač.

Bronfenbrenner, U. (1981). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung: Natürliche und geplante Experimente. Klett-Cotta.

Griebel, W. (2011). Übergang in die Grundschule als Transition der Familie – Ein Ansatz aus der Entwicklungspsychologie. In C. S. Koop (Hrsg.), Herausforderung Übergänge – Bildung für hochbegabte Kinder und Jugendliche gestalten (S. 23–26). Cornelsen. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-opus-91074

Griebel, W. & Niesel, R. (2020). Übergänge verstehen und begleiten: Transition in der Bildungslaufbahn von Kindern (6. Aufl.). Cornelsen.

Kracke, B., Mayhack, K., Noack, P. & Weber-Liel, D. (2019). Übergangskonferenzen: Eine Praxishilfe zur individuellen Übergangsgestaltung in Kindergarten und Schule. Beltz Juventa.

Kuckartz, U. (2016). Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung (3. Aufl.). Beltz Juventa.

Lazarus, R. S. (1984). Stress, appraisal, and coping. Springer Pub. Co.

Lazarus, R. S. & Launier, R. (1981). Stressbezogene Transaktion zwischen Person und Umwelt. In J. R. Nitsch (Hrsg.), Stress. Theorien, Untersuchungen, Massnahmen (S. 213–259). Huber.

Luder, R. (2021). Integrative Förderung in der Schweiz. Eine empirische Studie zur praktischen Umsetzung sonderpädagogischer Unterstützung und Förderung in integrativen Regelklassen in der Schweiz. Habilitationsschrift Philosophische Fakultät der Universität Fribourg. https://phzh.ch/globalassets/phzh.ch/forschung/forschungszentren/iugids/ifch/habil_integral_printversion.pdf

Luder, R., Kunz, A. & Keller, R. (2022). Editorial: Inclusive Healthy Schools. Frontiers in Education, 6. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/feduc.2021.834359/full

Luder, R., Kunz, A., Pastore, G. & Paccaud, A. (2020). Elternsicht auf Integration. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 278–290.

Neuenschwander, M. (2017). Schultransitionen – Ein Arbeitsmodell. In M. Neuenschwander & C. Nägele (Hrsg.), Bildungsverläufe von der Einschulung bis in den ersten Arbeitsmarkt. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Beispiele (S. 3–19). Springer VS.

Niesel, R. & Griebel, W. (2015). Übergänge ressourcenorientiert gestalten: Von der Familie in die Kindertagesbetreuung. KinderStärken, 3, 149.

Noack, P. & Kracke, B. (2020). Übergänge in der schulischen Bildungsbiografie. In N. Berkemeyer, B. Kracke, S. Meißner & P. Noack (Hrsg.), Schule gemeinsam gesund gestalten. Facetten, Erfahrungen und Ergebnisse zweier schulischer Interventionsstrategien (S. 22–38). Beltz Juventa.

Paccaud, A., Keller, R., Luder, R., Pastore, G. & Kunz, A. (2021). Satisfaction With the Collaboration Between Families and Schools – The Parent’s View. Frontiers in Education, 6. https://doi.org/10.3389/feduc.2021.646878

Tillmann, K.-J. (2013). Die Bewältigung von Übergängen im Lebenslauf – eine biographische Perspektive. In G. Bellenberg & M. Forell (Hrsg.), Bildungsübergänge gestalten. Ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis (S. 15–31). Waxmann.

Weber-Liel, D. (2021). Bildungsübergänge für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf. Journal für Schulentwicklung, 21 (1), 21–32.

Weber-Liel, D. & Kracke, B. (2020). Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf in Bildungsübergängen. In N. Berkemeyer, B. Kracke, S. Meißner & P. Noack (Hrsg.), Schule gemeinsam gesund gestalten. Facetten, Erfahrungen und Ergebnisse zweier schulischer Interventionsstrategien (S. 39–69). Beltz Juventa.

  1. Das Design der Studie IFCH auf der Sekundarstufe I sah vor, dass im Längsschnitt diejenigen Kinder weiterverfolgt werden, deren Eltern eingewilligt haben. Das erste SNF-Projekt IFCH in der 3. Primarklasse war damals repräsentativ für die Schweiz in Bezug auf die Grösse der Schule, die Urbanität der Schulgemeinde sowie die Landessprachen.