Begabungsdiagnostik unter der Lupe

Anuschka Meier-Wyder und Priska Hagmann-von Arx

Zusammenfassung
Jedes Kind hat das Recht auf eine individuelle Förderung, zu der auch die Begabungsförderung in der Schule gehört. Um Unterforderung begabter Kinder und damit negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung zu vermeiden, ist es entscheidend, Begabungen frühzeitig zu erkennen. In diesem Artikel besprechen wir zuerst die Hochbegabung als weit überdurchschnittliche Intelligenz – und damit verbunden die Intelligenzdiagnostik. Anschliessend thematisieren wir (Hoch-)Begabungsmodelle, die Begabung als mehrdimensionales und dynamisches Konzept modellieren. Schliesslich erörtern wir Möglichkeiten und Herausforderungen der Begabungsdiagnostik und ziehen ein Fazit für die schulische Praxis.

Résumé
Chaque enfant a droit à un soutien individuel à l’école. L’encouragement des talents en fait partie. Afin d'éviter les répercussions négatives qu’un manque de sollicitation pourrait avoir sur le développement des enfants doués, il est essentiel de les détecter à un stade précoce. Dans cet article, nous abordons tout d'abord la notion de haut potentiel intellectuel en tant qu'intelligence largement au-dessus de la moyenne – et le diagnostic s’y référant. Ensuite, nous abordons les modèles de (haut) potentiel qui modélisent la douance comme un concept multidimensionnel et dynamique. Enfin, nous examinons les possibilités et les défis du diagnostic de haut potentiel et en tirons des conclusions pour la pratique scolaire.

Keywords: Begabung, Hochbegabung, Intelligenz, Diagnostik, besonderer Bildungsbedarf, Förderung / douance, haut potentiel, intelligence, diagnostic, besoins éducatifs particuliers, encouragement

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-08-04

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 08/2023

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Begriffsklärung

Begabung und Hochbegabung

Die Begabungsförderung in der Schule trägt dazu bei, dass begabte Kinder und Jugendliche ihre individuellen Stärken weiterentwickeln können. Zentral ist das Erkennen von Begabungen, da eine dauerhafte Unterforderung negative Folgen sowohl für das Wohlbefinden als auch für die Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung haben kann (Lehwald, 2017; Preckel & Vock, 2021).

Der Begriff «Begabung» bezeichnet im Allgemeinen «das Leistungsvermögen» und im Speziellen «den individuellen Entwicklungsstand der leistungsbezogenen Potenziale» eines Menschen (iPEGE, 2009, S. 17). In der Pädagogik wird eine begabte Person als eine Person mit einem überdurchschnittlichen Leistungs- und Entwicklungspotenzial bezeichnet. Hochbegabung bezieht sich also auf ein aussergewöhnliches Potenzial für hohe Leistungen, das sich grundsätzlich in allen Lebensbereichen zeigen kann. In diesem Artikel liegt der Fokus insbesondere auf der kognitiven Hochbegabung, die aussergewöhnlich hohe Lern- und Denkfähigkeiten umfasst (ebd.).

Begabung und Hochbegabung sind abstrakte Konstrukte und nicht direkt beobachtbar. Beobachtbar ist das Verhalten in spezifischen Leistungssituationen, in denen Kriterien für erfolgreiches Verhalten definiert werden können (Hagmann-von Arx et al., 2021; Preckel & Vock, 2021). Für die Begabungsdiagnostik stellt sich die Frage, welche Leistungssituationen dazu gehören und wie diese erfasst werden können.

Intelligenz

Intelligenz kann verstanden werden als «allgemeine geistige Kapazität, die unter anderem die Fähigkeit zum Schlussfolgern, Planen, Problemlösen, abstrakten Denken, Verstehen komplexer Ideen, schnellen Lernen und Lernen aus Erfahrung umfasst» (Gottfredson, 1997, S. 13).

Intelligenz ist – wie die Begabung – ein abstraktes Konstrukt, das nicht direkt beobachtbar ist, sondern aus Verhaltensweisen erschlossen werden muss, die als intelligent gelten. Intelligenztests stellen Leistungssituationen für solche Verhaltensweisen bereit. Diese Tests liefern eine Schätzung der Intelligenz, die einem altersrelativierten Wert entspricht (Intelligenzquotient, IQ), der in der Regel mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 angegeben wird (Hagmann-von Arx et al., 2021). In einigen Definitionen von Hochbegabung wird Intelligenz als das einzige Merkmal betrachtet, das darüber entscheidet, ob eine Person hochbegabt ist oder nicht. Hochbegabung erfordert bei diesen Definitionen eine Intelligenz von zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert, was einem IQ ≥ 130 entspricht (Rost & Sparfeldt, 2017).

Als Grundlage für eine umfassende Begabungsdiagnostik können verschiedene Begabungsmodelle (z. B. Fischer et al., 2021; Gagné, 2000; Heller et al., 2005; Preckel et al., 2020; Renzulli, 1978) beigezogen werden. Die Modelle setzen unterschiedliche Schwerpunkte, ihr «kleinster gemeinsamer Nenner» ist die Intelligenz (Preckel & Vock, 2021, S. 43). Grundlegende Kenntnisse über Intelligenz und Intelligenzdiagnostik sind daher für das Verständnis von Begabung zentral. Herausragende Leistungen sind jedoch das Ergebnis von vielen Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen, was in aktuellen Begabungsmodellen zum Ausdruck kommt.

Psychometrische Intelligenzmodelle

Das heute prominenteste psychometrische Intelligenzmodell ist die Cattell-Horn-Carroll-Theorie (CHC) (Schneider & McGrew, 2018). Diese Theorie integriert frühere Modelle, die von Raymond Bernard Cattell, John L. Horn und John B. Carroll entwickelt wurden. Die CHC-Theorie hat eine hierarchische Struktur. Am unteren Ende der Hierarchie befinden sich spezifische Fähigkeiten, die an bestimmte Aufgaben gebunden sind. Diese spezifischen Fähigkeiten sind die einzigen Fähigkeiten, die direkt mit Intelligenztests respektive den darin enthaltenen konkreten Aufgaben gemessen werden können. Eine Ebene höher werden ähnliche Aufgaben zusammengefasst und als enge Fähigkeiten bezeichnet. In Intelligenztests werden die engen Fähigkeiten durch die verschiedenen Untertests wie «Matrizen ergänzen», «Gemeinsamkeiten finden», «Zahlen nachsprechen», «Mosaike nachlegen» oder «Symbole suchen» repräsentiert. Eine Ebene höher werden ähnliche enge Fähigkeiten zu sogenannten breiten Fähigkeiten zusammengefasst. In Intelligenztests werden die breiten Fähigkeitsgruppen durch Intelligenzfaktoren wie «Fluide Intelligenz», «Kristalline Intelligenz», «Arbeitsgedächtnis», «Visuelle Verarbeitung» oder «Verarbeitungsgeschwindigkeit» repräsentiert. Die breiten Fähigkeiten werden schliesslich auf der höchsten Hierarchieebene zu einem allgemeinen Intelligenzfaktor zusammengefasst. Dieser wird in Anlehnung an den frühen Intelligenzforscher Charles Spearman auch als genereller Faktor der Intelligenz bezeichnet, für welchen die Abkürzung «g» verwendet wird. Die CHC-Theorie ist humorvoll in Abbildung 1 veranschaulicht.

Abbildung 1: Veranschaulichung der CHC-Theorie (© Priska Hagmann-von Arx)

An der Spitze des Eisbergs steht die Allgemeine Intelligenz "g". Darunter sind die breiten Fähigkeiten wie Fluide Intelligenz, Kristalline Intelligenz oder Quantitatives Wissen. Zuunterst sind die engen Fähigkeiten wie Analoges Schlussfolgern, Mathematisches Wissen oder Wortschatz.

Der erste moderne Intelligenztest wurde im Jahre 1905 in Frankreich von Alfred Binet und Théodore Simon unter dem Namen échelle métrique d’intelligence herausgegeben. Lewis Terman adaptierte diesen Test für amerikanische Kinder an der Stanford University. Diese Adaptation wurde im Jahr 1916 unter dem Namen Stanford Binet Intelligence Scale bekannt. Mittlerweile liegt der Test in der fünften Auflage vor (SB5) und wurde kürzlich von Grob et al. (2019) für den deutschen Sprachraum adaptiert. Weitere Intelligenztests, die in der diagnostischen Praxis im deutschen Sprachraum sowie international eingesetzt werden, sind beispielsweise die Wechsler Intelligence Scales for Children (WISC-V; Petermann, 2017) und die Intelligence and Development Scales für Kinder und Jugendliche (IDS-2) (Grob & Hagmann-von Arx, 2018).

Alle drei gängigen Intelligenztests (d. h. SB5, WISC-V und IDS-2) beziehen sich auf die CHC-Theorie. Da die Intelligenztests verschiedene Intelligenzfaktoren, Untertests und Aufgaben integrieren, empfiehlt es sich in der Praxis, mindestens zwei Intelligenztests durchzuführen. So können die Kinder und Jugendlichen zeigen, in welchen Bereichen ihre Stärken liegen (Hagmann-von Arx et al., 2018). Beispielsweise integrieren alle drei Intelligenztests den Untertest «Matrizen ergänzen», der jedoch in allen drei Intelligenztests unterschiedliche Aufgaben beinhaltet. Weiter umfasst der IDS-2 als einziger Test von diesen dreien den Intelligenzfaktor «Langzeitgedächtnis», während der SB5 einen Intelligenzfaktor «Quantitatives Schlussfolgern» integriert.

Psychometrische Modelle fassen Begabung und Hochbegabung also hauptsächlich als Funktion der allgemeinen Intelligenz auf, gemessen durch standardisierte Intelligenztests. Ein Vertreter dieser Forschungsrichtung war zum Beispiel Lewis Terman. Er startete im Jahr 1921 an der Stanford University die erste gross angelegte Längsschnittstudie zur Untersuchung von hochbegabten Kindern. Mit den Kindern wurden die von Terman herausgegebenen Stanford Binet Intelligence Scales durchgeführt. Diejenigen Kinder, die einen IQ von mindestens 140 erreichten, wurden in die Studie aufgenommen. Die Kinder wurden liebevoll als «Termiten» bezeichnet und ihre Entwicklung bis ins hohe Alter weiterverfolgt (Preckel & Vock, 2021). Terman konzentrierte sich auf die kognitiven Fähigkeiten und betrachtete Begabung als eine einzige Dimension. Dieser Ansatz wird heute kaum mehr vertreten.

Intelligenz gilt zwar als bester Einzelprädiktor für schulischen Erfolg (Rost & Sparfeldt, 2017). Eine Metaanalyse zu Korrelationen[1] mit Schulnoten berichtet beispielsweise über einen mittleren Zusammenhang von r = .54 (Roth et al., 2015). Die Intelligenz kann somit rund 25 bis 50 Prozent der Varianz (Unterschiede) am schulischen Erfolg erklären. Dennoch bleibt ein grosser Teil ungeklärt (Hagmann-von Arx et al., 2021). Weitere Faktoren, die zu Schulerfolg beitragen, sind individuelle nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit (Dumfart & Neubauer, 2016), Motivation (Kriegbaum et al., 2018) und sozial-emotionale Kompetenzen (Gut et al., 2012). Darüber hinaus stehen auch soziale Faktoren mit dem Schulerfolg in Zusammenhang. Im familiären Umfeld sind dies beispielsweise der sozioökonomische Status sowie die Einstellungen und Erwartungen der Eltern. Im schulischen Umfeld spielen beispielsweise das Klassenklima, die Unterrichtsqualität und die Beziehungsqualität zwischen Lehrperson und Lernenden eine wichtige Rolle (z. B. Gutiérrez-de-Rozas et al., 2022; Koçak et al., 2021). Herausragende schulische Leistungen sind also das Ergebnis vieler Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. Diese werden in mehrdimensionalen Begabungsmodellen dargestellt.

Mehrdimensionale Modelle zur (Hoch-)Begabung

Heute international geläufige Modelle betrachten Begabung als mehrdimensional und dynamisch: Eine hohe Intelligenz alleine reicht für hohe Leistungen nicht aus. Vielmehr wird die Entfaltung von Begabungen als Ergebnis einer Wechselwirkung verschiedener Faktoren verstanden. (z. B. Preckel & Vock, 2021). Wir schlagen vor, die Modelle wie folgt zu gruppieren:

  1. Multidimensionale Modelle: Im Gegensatz zu psychometrischen Modellen betrachten diese Modelle Begabung als mehrdimensionales Konstrukt. Sie berücksichtigen verschiedene kognitive, emotionale, soziale und kreative Faktoren, die zur Begabung beitragen können. Vertreter:innen dieser Forschungsrichtung sind Gagné (2000), Heller et al. (2005), Mönks (1992) sowie Renzulli (1978).
  2. Entwicklungsmodelle: Diese Modelle betonen die Bedeutung von Umweltfaktoren und Entwicklung bei der Entfaltung von Begabungen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Einfluss der Bildung, der sozialen Bedingungen, der familiären Unterstützung und anderen Umweltaspekten. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, begabte Menschen zu fördern und zu unterstützen, damit diese ihr volles Potenzial entfalten können. Bekannte Vertreter:innen dieser Auffassung sind beispielsweise Fischer (2021) sowie Mönks und Ypenburg (2012).
  3. Expertise-Modelle: Diese Modelle betrachten Begabung als das Ergebnis von intensiver Übung und Erfahrung in einem bestimmten Bereich. Sie betonen die Bedeutung von Gelegenheiten, Fähigkeiten zu üben und zu entwickeln. Laut diesen Modellen kann Begabung durch harte Arbeit und Training entwickelt werden. Vertreter:innen sind zum Beispiel Preckel et al. (2020) oder Ericsson (1993).
  4. Soziale Modelle: Diese Modelle heben den sozialen Kontext der Begabung hervor. Sie untersuchen die Rolle sozialer Normen, kultureller Erwartungen und gesellschaftlicher Bedingungen bei der Erkennung und Entwicklung von Begabungen. Sie berücksichtigen auch soziale Aspekte wie Zusammenarbeit, Motivation und soziale Kompetenzen. Wichtige Vertreter:innen dieser Forschungslinie sind Preckel und Vock (2021) sowie Ziegler (2009).

Die genannten Modelle sind nicht unbedingt gegensätzlich, sondern ergänzen sich oft. Multidimensionale Modelle sowie die Entwicklungsmodelle unterscheiden zwischen Fähigkeiten (Potenzialen) und Leistung (Performanz). Begabung ist eine angeborene, aber noch nicht voll entwickelte Fähigkeit in einem oder mehreren Bereichen. Leistung hingegen ist eine weiter entwickelte Begabung, bei der man eine hohe Kompetenz und überdurchschnittliche Leistungen in einem Bereich zeigt. Die Entwicklung von Begabung zu konkreten Leistungen hängt sowohl von persönlichen Eigenschaften als auch von Umwelteinflüssen ab. Diese Einflüsse können sowohl fördernd als auch hemmend wirken. Fördernd wirken eine hohe Motivation und Ausdauer, gute Lernstrategien und Konzentrationsfähigkeit, aber auch mit Misserfolgen umgehen zu können sowie positive Umwelteinflüsse wie Unterstützung durch Familie und Schule.

Insbesondere die multidimensionalen Modelle und die Entwicklungsmodelle haben einen starken praktischen Bezug und sind daher in der Schule besonders relevant. Für die Begabungsdiagnostik ist es wichtig, die verschiedenen Faktoren und ihre Wechselwirkungen zu berücksichtigen.

Möglichkeiten und Herausforderungen für die Begabungsdiagnostik

Diagnostizierende Fachpersonen wie beispielsweise Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen setzen zur Feststellung von Begabung verschiedene Instrumente ein. Zur Bestimmung der kognitiven Leistungsfähigkeit wird in der Regel auf Intelligenzdiagnostik zurückgegriffen. Häufig wird wie oben bereits erwähnt ein IQ ≥ 130 als Cut-off-Wert verwendet, um ein Kind als «hochbegabt» einzustufen (Preckel & Vock, 2021). Dieser Grenzwert ist jedoch willkürlich und nicht inhaltlich begründet. Es gibt keinen qualitativen Sprung zwischen Hochbegabten und Nicht-Hochbegabten, sodass ab einem IQ von 130 «keine neue Welt beginnt» (ebd., S. 154). Für den Einsatz und den Erfolg von Fördermassnahmen macht es keinen Unterschied, ob ein Kind einen IQ von 127 oder 132 erzielt. Daher sollte die Entscheidung zur Initiierung von Fördermassnahmen nicht in jedem Fall vom Kriterium von IQ ≥ 130 abhängig gemacht werden (Rost & Sparfeldt, 2017). Vielmehr sollten die individuellen Begabungsschwerpunkte und die angebotenen Fördermassnahmen aufeinander abgestimmt werden.

Im Schulalltag kann die Identifikation von hohen Begabungen im kognitiven Bereich herausfordernd sein; insbesondere, wenn Lehrpersonen das nötige Wissen dazu fehlt und ihr Urteil auf Alltagswissen gründet, das Begabung weitgehend mit gezeigten schulischen Leistungen gleichsetzt. Fehlende diagnostische Kompetenzen können dazu führen, dass verdeckte Potenziale nicht erkannt und gefördert werden. Vorhandene Begabungen finden keine angemessene Anerkennung (Flury, 2022). Dies betrifft insbesondere Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen oder fremdsprachigen Familien (z. B. Quenzel & Hurrelmann, 2019). Auch Begabungen von stillen Lernenden, die sich nicht bemerkbar machen, oder von lebhaften Kindern, deren Verhalten als störend empfunden wird, können übersehen oder falsch interpretiert werden. Sogenannte Minderleister:innen (Underachiever), also Schüler:innen, die ihr Potenzial aufgrund von Unterforderung oder mangelnder Selbststeuerungsfähigkeit nicht in Leistung umsetzen können, sind ebenfalls Lernende, deren Potenzial oft nicht erkannt wird (Meier-Wyder, 2023).

Um Begabungen festzustellen, eignen sich im Schulalltag pädagogische Diagnoseinstrumente, wie beispielsweise die Beobachtung und Befragung der Lernenden, die auch nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale wie «Leistungswille, sachbezogenes Interesse, Arbeitsdisziplin, Selbstvertrauen und Fähigkeiten der Selbststeuerung» (iPEGE, 2009, S. 18) berücksichtigen. Für die Lehrpersonen gilt es, aktiv nach Begabungen aus verschiedenen Bereichen zu suchen und dafür vielfältige Lernsituationen bereitzustellen. Beispiele hierzu sind projektbasiertes oder interdisziplinäres Lernen, das Schüler:innen ermöglicht, Themen ihrer Wahl und Interessen zu vertiefen.

Fazit für die Schulpraxis

Damit Begabungen im Kontext schulischen Lernens gezielt angeregt und gefördert werden können, müssen sie erkannt werden. Begabungen entwickeln sich im Zusammenspiel von kognitiven Fähigkeiten, nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie familiären und schulischen Umweltfaktoren. Für eine Begabungsdiagnostik reicht daher ein Intelligenztest allein nicht aus. Vielmehr muss die Begabungsdiagnostik mehrere Informationsquellen einbeziehen. Nebst Testverfahren eigenen sich dafür standardisierte Selbst- und Fremdurteile (z. B. Interessenfragebögen), Befragung der Lernenden und Eltern zu nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie Beobachtungen aus dem Unterricht.

Es liegt in der Verantwortung der Schule, Lerngelegenheiten aus verschiedenen Bereichen anzubieten, beispielsweise durch projektbasiertes und interdisziplinäres Lernen. Dies ermöglicht es, die unterschiedlichen Begabungen der Schüler:innen sichtbar zu machen und entsprechend zu fördern.

Dr. phil. Anuschka Meier-Wyder

Senior Lecturer

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, Zürich

anuschka.meier@hfh.ch

Prof. Dr. Priska Hagmann-von Arx Professorin

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, Zürich

priska.hagmann@hfh.ch

Literatur

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  1. Eine Korrelation ist ein statistisches Mass für die Stärke eines Zusammenhanges von zwei oder mehr Merkmalen.