Diagnostik in den Bereichen Verhalten und Erleben

Pädagogische Standards zur Feststellung von Förderbedarf

Dennis Christian Hövel, Melanie Nideröst, Patrizia Röösli, Barbara Maria Schmidt, Alfred Schabmann und Ann-Kathrin Hennes

Zusammenfassung
Die Kriterien zur Feststellung der Notwendigkeit von verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen im Bereich Verhalten sind uneindeutig. Für eine Schule ohne Diskriminierung bedarf es jedoch einer fairen, das heisst einheitlichen und validen Diagnostik. Diese dient dazu, Unterrichtsangebote und Fördermassnahmen auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen anzupassen. Der Beitrag skizziert auf Basis einer pädagogischen Definition des «Council for Children with Behaviour Disorders» einen diagnostischen Entscheidungsbaum. Hierbei stehen sowohl der prozesshafte Charakter als auch die Kind-Umwelt-Interaktion im Fokus. Diagnostik, Unterricht und Förderung sind zu allen Zeitpunkten eng miteinander verbunden.

Résumé
Les critères visant à déterminer la nécessité d’attribuer des mesures de pédagogie spécialisée renforcées dans le domaine du comportement sont ambigus. Cependant, une école sans discrimination exige un enseignement et des mesures de soutien adaptés aux besoins individuels des élèves. Une évaluation diagnostique juste, c'est-à-dire uniforme et valide, est donc nécessaire. Sur la base d'une définition pédagogique du « Council for Children with Behavior Disorders » (conseil pour les enfants présentant des troubles du comportement), cet article esquisse un arbre décisionnel diagnostique. Le caractère processuel ainsi que l'interaction enfant-environnement sont au centre de cette approche. L'évaluation, l'enseignement et le soutien sont étroitement liés à chaque étape.

Keywords: Verhaltensauffälligkeit, Diagnostik, besonderer Bildungsbedarf, Diskriminierung / troubles du comportement, diagnostic, besoins éducatifs particuliers, discrimination

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-08-02

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 08/2023

Creative Common BY

Einleitung

Über das Thema Verhalten wird in Pädagogik und Politik aktuell breit und kontrovers diskutiert. Hierbei zeigt sich eine widersprüchliche Ausgangslage zwischen der tatsächlichen sonderpädagogischen Förderquote und dem anhand von klinischen Diagnosen zu erwartenden Förderbedarf von Lernenden. Während die Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit klinisch relevanten psychosozialen Beeinträchtigungen (z. B. Angst, Aggression, Depression, ADHS) entlang unterschiedlicher Metaanalysen (u. a. Barkmann & Schulte-Markwort, 2012; Fuchs et al., 2013) seit Jahrzehnten relativ stabil bei rund 15 bis 20 Prozent liegt, zeigt sich mit aktuell rund 5 Prozent (Bundesamt für Statistik, 2023) eine stark schwankende Quote an Schüler:innen mit verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen, wovon etwa 1 Prozent dem Bereich Verhalten zugeordnet werden kann. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Förderquote in der Schweiz zu niedrig ist. Allerdings gilt es auch zu bedenken, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die trotz psychischer Auffälligkeiten keinen sonderpädagogischen Bedarf haben. Eine zuverlässige Aussage zum tatsächlichen Anteil an Lernenden mit sonderpädagogischem Bedarf ist zurzeit nicht möglich. Somit wird deutlich, dass eine schulspezifische Operationalisierung der Notwendigkeit verstärkter sonderpädagogischer Massnahmen im Bereich des Verhaltens und Erlebens benötigt wird. Nur so lässt sich zuverlässig und ohne Diskriminierung erfassen, ob ein sonderpädagogischer Bedarf vorliegt. Denn nur entlang einer fairen, das heisst einheitlichen und validen Diagnostik, können Unterrichtsangebote und Fördermassnahmen auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen angepasst werden.

Der Beitrag präsentiert eine solche Operationalisierung und skizziert auf Basis der Definition von Gefühls- und Verhaltensstörungen des Council for Children with Behaviour Disorders (CCBD), welche von Opp (2003) ins Deutsche übersetzt wurde, einen förderdiagnostischen Entscheidungsbaum. Dieser dient der prozesshaften und standardisierten Feststellung der möglichen Notwendigkeit verstärkter Massnahmen und Förderung im Bereich Verhalten und Erleben. Hierbei stehen sowohl der prozesshafte Charakter des Feststellungsprozesses als auch die Kind-Umwelt-Interaktion im Fokus. Die Standards operationalisieren entlang der CCBD-Definition Probleme in den Bereichen Verhalten und Erleben wie folgt:

  1. Die in der Schule wahrgenommenen emotionalen Reaktionen und das Verhalten unterscheiden sich von den altersangemessenen, kulturellen oder ethnischen Normen so weit, dass sie auf die Erziehungserfolge des Kindes oder Jugendlichen einen negativen Einfluss haben. Erziehungserfolge umfassen schulische Leistungen, soziale, berufsqualifizierende und persönliche Fähigkeiten.
  2. Es handelt sich um mehr als eine zeitlich begrenzte, erwartbare Reaktion auf Stresseinflüsse in der Lebensumgebung.
  3. Die Probleme treten in verschiedenen schulischen sowie ausserschulischen Situationen und bei mehr als einer Bezugsperson (Klassenlehrperson, Fachlehrperson, Betreuungsperson, Eltern usw.) auf.
  4. Sie sind nicht durch unterrichtliche Massnahmen und direkte Interventionen im Rahmen allgemeiner Erziehungsmassnahmen aufhebbar.
  5. Sie erzeugen einen Leidensdruck auf Seiten des Kindes.

Für die Überprüfung dieser Kriterien im Schulalltag empfehlen wir einen Prozess mit vier Schritten. Im einem Entscheidungsbaum sind diese Schritte visualisiert.[1] Der Entscheidungsbaum wurde im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojektes «StaFF»[2] entwickelt. Durchgeführt wird das Projekt von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Kooperation mit den Universitäten Köln und Regensburg für die Schwerpunkte Lernen, Sprache, Geistige Entwicklung und Verhalten.

Schritt 1: Universelle (Früh-)Erkennung und Durchführung präventiver Massnahmen

Die Einschätzung des Verhaltens und Erlebens eines Kindes hinsichtlich Alter, kultureller oder ethnischer Norm ist für die Schule eine Herausforderung. Bei Kindern und Jugendlichen mit externalisierenden Verhaltensweisen (z. B. Aggression, Impulsivität, Unaufmerksamkeit) tendieren Lehrpersonen dazu, die Unterstützungsbedarfe im Vergleich zur empirischen Auftretenshäufigkeit (Klasen et al., 2016) zu überschätzen (Baumgaertel et al., 1995). Demgegenüber werden internalisierende Verhaltensweisen (z. B. ängstlich zurückziehendes Verhalten) von Lehrpersonen häufig übersehen oder falsch gedeutet (Bilz, 2014). Prozentual ist die Gruppe der Schüler:innen mit internalisierenden Problemen deutlich verbreiteter als diejenige mit externalisierenden Problemen (Klasen et al., 2016).[3]

Vor diesem Hintergrund ist ein Entwicklungsmonitoring zur universellen Früherkennung und Prävention von Herausforderungen im Verhalten und Erleben wichtig. Lehrpersonen sollten das Verhalten aller Schüler:innen in einer Klasse unter Einsatz standardisierter Fragebögen (vgl. dazu den nächsten Abschnitt) erfassen. Durch den Einsatz standardisierter Fragebögen kann das gezeigte Verhalten der Schüler:innen strukturiert, systematisiert und mit einer Norm verglichen werden. Dadurch wird es möglich, der teilweise subjektiven Einschätzung von Lehrpersonen entgegenzuwirken.

Standardisierte Verhaltensbeurteilung

Für ein solches Entwicklungsmonitoring besonders geeignet ist der Fragebogen von Goodman zu Stärken und Schwächen (Strengths and Difficulties Questionnaire/SDQ, www.sdqinfo.org), ein ökonomisches, frei und kostenlos zugängliches sowie in diversen Sprachen verfügbares Instrument. Er kann Verhaltensprobleme im internalisierenden und externalisierenden Bereich sowohl im Urteil der Lehrpersonen als auch im Urteil der Eltern erfassen und valide zwischen den beiden Problembereichen unterscheiden (Goodman et al., 2010). Der Bogen umfasst 25 Fragen zu fünf Skalen, je zwei Skalen (à 5 Items) zu externalisierenden (Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsprobleme, Verhaltensprobleme) und internalisierenden (Emotionale Probleme, Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen) Problemen. Die fünfte Skala «Prosoziales Verhalten» erfasst die Stärken des Kindes. Ab dem 11. Lebensjahr steht der Fragebogen auch als Selbstbeurteilung zur Verfügung und sollte von den Jugendlichen selbst ausgefüllt werden, da die Selbsteinschätzung bei internalisierenden Problemlagen zuverlässiger ist (Klasen et al., 2016).

Verhalten und Erleben unterliegt starken Veränderungen. Für den universellen Einsatz wird empfohlen, den Fragebogen mindestens einmal pro Schuljahr in jeder Schulklasse einzusetzen.

Präventive unterrichtliche Förderung

Identifiziert die Lehrperson Auffälligkeiten im Verhalten und Erleben des Kindes oder Jugendlichen, sollten gezielte schulische Fördermassnahmen, deren Wirkung wissenschaftlich bestätigt (evidenzbasiert) ist, eingesetzt werden. Erster Handlungsansatz bei internalisierenden Problemen sind kognitionspsychologische Methoden (z. B. das Einüben von Selbstinstruktion und lautem Denken) sowie die Unterstützung bei der Reduktion möglicher auslösender Faktoren (z. B. Leseförderung bei Leseproblemen). Bei externalisierenden Problemen sind lerntheoretische Ansätze zu präferieren sowie eine funktionale Analyse des Verhaltens (z. B. Einsatz von Aggression zur Erreichung von persönlichen Zielen) und ein systemischer Entzug dieser Funktion (z. B. ein Kind möchte durch Regelverletzung erreichen, den Unterricht verlassen zu können, die Lehrperson kommt diesem Ziel jedoch nicht nach).

In Programmen des sozial-emotionalen Lernens (SEL) werden häufig kognitive und lerntheoretische Elemente kombiniert. Die Wirksamkeit eines universellen Einsatzes von SEL konnte in mehreren Metaanalysen bestätigt werden (u. a. Durlak et al., 2011).

Bei Schüler:innen mit auffälligen Werten im Screening empfehlen wir, ein Schulisches Standortgespräch (siehe Handreichungen der Kantone) durchzuführen und die geplanten SEL-Massnahmen gemeinsam mit dem Kind, den Eltern sowie dem Klassenteam zu besprechen.

Schritt 2: Evaluation präventiver Massnahmen

Nach dem Einsatz präventiver Massnahmen geht es im Schritt zwei um die Evaluation der eingesetzten Massnahmen. In diesem Prozessschritt überprüft die Lehrperson die Kriterien zwei bis vier der CCBD-Definition (siehe oben).

Hinsichtlich der Zeit lässt sich festhalten, dass Verhaltensförderung in der Schule erst ab einer Umsetzungsdauer von 20 Einheiten (Wilson & Lipsey, 2007) bis 24 Einheiten (Hövel et al., 2019) das Potenzial hat, eine positive Verhaltensentwicklung zu bewirken. Für die meisten Massnahmen wird eine Umsetzungshäufigkeit von zwei Lektionen pro Woche empfohlen (Wilson & Lipsey, 2007). Hieraus lässt sich eine Zeitgrenze von mindestens drei Monaten ableiten. Nach dieser Zeit sollten die Schüler:innen, welche bei der ersten Erfassung aufgefallen sind, erneut durch die Klassenlehrperson mittels Fragebogen beurteilt werden. Dadurch wird interindividuell eruiert, ob die präventiven Massnahmen eine Wirkung gezeigt haben.

Erfassung des Verhaltens in verschiedenen Interaktionsbereichen

Verhalten ist in der Regel abhängig vom Setting, den jeweiligen Anforderungen und Interaktionen. Nebst der Betrachtung von internalisierenden und externalisierenden Problembereichen sollten daher auch Unterschiede zwischen verschiedenen Beurteilenden analysiert werden. Diese können förderrelevante Informationen zur Abhängigkeit des Verhaltens von spezifischen Anforderungen und Beziehungen liefern.

Zur Erfassung und Überprüfung kann der fürs universelle Screening eingesetzte Fragebogen (z. B. der SDQ) durch weitere Personen ausgefüllt werden. Es sollte mindestens die Beurteilung von je einer weiteren schulischen (z. B. Fachlehrperson) und ausserschulischen Bezugsperson (z. B. Elternteil) eingeholt werden, um zwischen unterschiedlichen Anforderungssituationen und Interaktionsstilen differenzieren zu können.

Begründete Vermutung der Notwendigkeit verstärkter sonderpädagogischer Massnahmen

Tritt das auffällige Verhalten über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten zwischen mehreren verschiedenen Verhaltens- und Interaktionsbereichen und mit unterschiedlichen Bezugspersonen auf, wird empfohlen, ein Standardisiertes Verfahren zur Abklärung der Notwendigkeit verstärkter sonderpädagogischer Massnahmen zu initiieren. Entlang der Definition des CCBD ist von einer begründeten Vermutung auszugehen, wenn

Tritt das auffällige Verhalten nur bei einzelnen Bezugspersonen auf, sollte kein Abklärungsverfahren eröffnet werden. Stattdessen sollten eine Analyse und Beratung, wie das Setting entlastet und/oder verändert werden kann, erfolgen.

Schritt 3: Überprüfung der Notwendigkeit verstärkter sonderpädagogischer Massnahmen im Verhalten

Bei der Überprüfung eines möglichen Bedarfs an verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen im Verhalten müssen alle fünf Kriterien der CCBD-Definition datenbasiert berücksichtigt werden. Die Kriterien eins bis vier wurden in den vorherigen Schritten geprüft. Das fünfte Kriterium, das es noch abzudecken gilt, ist der Leidensdruck des Kindes oder Jugendlichen sowie dessen sozial-emotionale Fertigkeiten. Es wird empfohlen, dies beim Standardisierten Abklärungsverfahren einzubeziehen. Ausserdem sollte der Erfolg unterrichtlicher Massnahmen ein zweites Mal überprüft werden.

Wirkung unterrichtlicher Massnahmen

Eine gute Klassenführung hat sich entlang metaanalytischer Befunde (u. a. Wilson & Lipsey, 2007) als wirksames schulisches Mittel im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen herausgestellt. Um herauszufinden, ob die unterrichtlichen Massnahmen ausgeschöpft sind, sollte die Klassenführung analysiert werden. Hierzu kann entweder eine systematische Beobachtung mit Hilfe des Modells der Klassenführung und Lernunterstützung von Holodynski et al. (2017) durchgeführt werden oder auf andere Methoden der Unterrichtsdiagnostik (z. B. Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik (EMU) von Helmke et al., 2018) zurückgegriffen werden.

Auf Basis der Analyse erfolgt dann eine Beratung der Lehrperson, wie diese gezielt einzelne Aspekte der Klassenführung und Lernunterstützung einsetzen kann, um das Verhalten und Erleben des Kindes positiv zu beeinflussen. Zur unmittelbaren Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen dokumentiert die Lehrperson die Verhaltensentwicklung des Kindes im Verlauf mittels direkter Verhaltensbeurteilung (Casale et al., 2019) systematisch. Für die Wirksamkeitsprüfung muss das Verhalten sowohl vor als auch während des Einsatzes der vereinbarten Massnahmen ein- bis zweimal täglich beurteilt werden. Falls kein bedeutsamer Unterschied zwischen den täglichen Beurteilungen vor und während den Massnahmen besteht, bedeutet dies, dass die Probleme nicht durch unterrichtliche Massnahmen verringert werden konnten. Das Kriterium vier der CCBD-Definition kann somit als erfüllt angesehen werden.

Erleben des Kindes

Hinsichtlich des Leidensdrucks (Kriterium 5) zeigt die Studie von Janschewski et al. (2022), dass eine geringe soziale Integration neben schulvermeidendem Verhalten psychische Auffälligkeiten am stärksten vorhersagt, sodass ergänzend zum gezeigten Verhalten stets die vom Kind erlebte soziale Integration erfasst werden sollte. Zur Erfassung des Erlebens sollte ein standardisiertes Selbsturteil zum sozialen und akademischen Selbstkonzept des Kindes sowie die vom Kind erlebte Lehrperson-Schüler-Beziehung eingeholt werden (z. B. mittels Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern/FEESS, Rauer & Schuck, 2021).

Differenzielle Förderdiagnostik

Zur Identifikation konkreter Schwerpunkte für den Förderplan kann das Rahmenmodell des «Collaborative for Academic Social and Emotional Learning (CASEL)» hinzugezogen werden (www.casel.org). Sozial-emotionale Kompetenz lässt sich hiernach in fünf miteinander verbundene Gruppen von kognitiven, affektiven und aktionalen Fertigkeiten gliedern. Die fünf Bereiche Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Fremdwahrnehmung, Problemlösekompetenz und Beziehungsfertigkeit bauen aufeinander auf, was bedeutet, dass der jeweils vorgelagerte Bereich die Voraussetzung für die Entwicklung der nachfolgenden Bereiche darstellt. Zur Erfassung der sozial-kognitiven Fähigkeiten empfehlen wir, die Intelligence and Development Scales – 2 (IDS-2, Grob & Hagmann-von Arx, 2018) zu nutzen.

Schritt 4: Wiederkehrende Überprüfung

Die Erfüllung aller fünf Kriterien der CCBD-Definition sollte mindestens einmal pro Jahr entsprechend der in den Schritten eins bis drei skizzierten Vorgehensweisen überprüft werden. Die verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen werden aufgehoben, sobald nicht mehr alle fünf Kriterien erfüllt sind.

Der vorliegende Beitrag enthält wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfen für die Feststellung der Notwendigkeit von verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen im Bereich Verhalten und Erleben. Die fortlaufende Überprüfung der Wirksamkeit vereinbarter und durchgeführter Massnahmen zeigt den prozesshaften Ablauf des hier skizzierten Entscheidungsbaumes auf. Von Bedeutung ist dabei der sorgfältige Einsatz geeigneter (förder-)diagnostischer Methoden. Im Zentrum des gesamten Feststellungsprozesses steht das Kind in Interaktion mit seiner Umwelt. Im englischsprachigen Raum konnte das kriteriengeleitete Vorgehen entlang der CCBD-Definition bereits erfolgreich implementiert werden. Das StaFF-Projekt sammelt aktuell Erkenntnisse zu Chancen, Nutzen und Herausforderungen der Implementation im deutschsprachigen Raum.

Prof. Dr. Dennis Christian Hövel

Leiter des Instituts für Verhalten,

sozio-emotionale und psychomotorische Entwicklungsförderung

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich

dennis.hoevel@hfh.ch

Melanie Nideröst, M. Sc.

Advanced Lecturer,

Co-Leiterin Bachelor Psychomotoriktherapie

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich

melanie.nideroest@hfh.ch

Patrizia Röösli, M. Sc.

Junior Researcher

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich

patrizia.roeoesli@hfh.ch

Dr. Barbara Maria Schmidt

Akademische Rätin

Universität Köln

barbara.schmidt@uni-koeln.de

Prof. Dr. Alfred Schabmann

Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik und Didaktik

Förderschwerpunkt Lernen

Universität Köln

alfred.schabmann@uni-koeln.de

Dr. Ann-Kathrin Hennes

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Universität Köln

ann-kathrin.hennes@uni-koeln.de

Literatur

Barkmann, C. & Schulte-Markwort, M. (2012). Prevalence of emotional and behavioural disorders in German children and adolescents: a meta-analysis. Journal of Epidemiology and Community Health, 66 (3), 194–203. https://doi.org/10.1136/jech.2009.102467

Baumgaertel, A., Wolraich, M. & Dietrich, M. (1995). Comparison of diagnostic criteria for attention deficit disorders in a German Elementary School sample. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 34 (5), 629−638. https://doi.org/10.1097/00004583-199505000-00015

Bilz, L. (2014). Werden Ängste und depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen in der Schule übersehen? Reinhardt.

Bundesamt für Statistik (2023). Lernende der Sonderpädagogik: Basistabellen 2021/22. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bildung-wissenschaft/personen-ausbildung/obligatorische-schule/sonderpaedagogik.html

Casale, G., Huber, C., Hennemann, T. & Grosche, M. (2019). Direkte Verhaltensbeurteilung in der Schule. Reinhardt.

Durlak, J. A., Weissberg, R. P., Dymnicki, A. B., Taylor, R. D. & Schellinger, K. B. (2011). The Impact of Enhancing Students' Social and Emotional Learning: A Meta-Analysis of School-Based Universal Interventions. Child Development, 82 (1), 405–432. https://doi.org/10.1111/j.1467-8624.2010.01564.x

Fuchs, M., Bösch, A., Hausmann, A. & Steiner, H. (2013). The Child is Father of the Man. Review von relevanten Studien zur Epidemiologie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 41 (1), 45–57. https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000209

Goodman, A., Lamping, D. L. & Ploubidis, G. B. (2010). When to use broader internalising and externalising subscales instead of the hypothesised five subscales on the Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Data from British parents, teachers and children. Journal of Abnormal Child Psychology, 38 (8), 1179–1191. https://doi.org/10.1007/s10802-010-9434-x

Grob, A. & Hagmann-von Arx, P. (2018). IDS2. Intelligence and Development Scales – 2. Hogrefe.

Helmke, A., Helmke, T., Lenske, G., Pham, G., Praetorius, A.-K., Schrader, F.-W. & Ade-Thurow, M. (2018). Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung. http://www.unterrichtsdiagnostik.de/

Holodynski, M., Steffensky, M., Gold, B., Hellermann, C., Sunder, C., Fiebranz, A., Meschede, N., Glaser, O., Rauterberg, T., Todorova, M., Wolters M. & Möller, K. (2017). Lernrelevante Situationen im Unterricht beschreiben und interpretieren. Videobasierte Erfassung professioneller Wahrnehmung von Klassenführung und Lernunterstützung im naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht. In C. Gräsel & K. Trempler (Hrsg.), Entwicklung von Professionalität pädagogischen Personals: Interdisziplinäre Betrachtungen, Befunde und Perspektiven (S. 283–302). Springer.

Hövel, D., Hennemann, T. & Rietz, C. (2019). Meta-Analyse programmatischer-präventiver Förderung der emotionalen und sozialen Entwicklung in der Grundschule. Emotionale und Soziale Entwicklung in der Pädagogik der Erziehungshilfe und bei Verhaltensstörungen: ESE, 1, 38–55. https://doi.org/10.25656/01:25182

Janschewski, J., Käppler, C. & Berens, P. (2022). Schulische Prädiktoren für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen anhand einer Befragung von Schülerinnen und Schülern an Klinik- und Regelschulen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1–17. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000339

Klasen, F., Petermann, F., Meyrose, A.-K., Claus Barkmann, C. O., Haller, A.-C., Schlack, R., Schulte-Markwort, M., Ravens-Sieberer, U. (2016). Verlauf psychischer Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen. Kindheit und Entwicklung, 25 (1), 10–20. https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000184

Opp, G. (2003). Arbeitsbuch schulische Erziehungshilfe. Klinkhardt.

Rauer, W. & Schuck, K. D. (2021). FEESS 5–6. Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen in der 5. und 6. Klassenstufe. Hogrefe.

Wilson, S. & Lipsey, M. (2007). School-based interventions for aggressive and disruptive behavior: Update of a meta-analysis. American Journal of Preventive Medicine, 33 (2), 130–143. https://doi.org/10.1016/j.amepre.2007.04.011

  1. vgl. auch Grafik unter https://doi.org/10.17605/OSF.IO/8GP5K

  2. STAFF: Standards zur Feststellung sonderpädagogischer Förderbedarfe: Konzeption, Implementation und Evaluation von Diagnostikstandards zur Feststellung sonderpädagogischer Förderbedarfe (https://doi.org/10.17605/OSF.IO/8GP5K)

  3. Die problemspezifische Auftretenshäufigkeit (Prävalenz) ist entlang der Studie von Klassen et al. (2016) abhängig von Alter und Geschlecht. Es zeigen sich über alle Altersgruppen der obligatorischen Schulzeit hinweg geschlechtsspezifische Häufigkeiten: Störung des Sozialverhaltens (12,5 % weiblich und 11,8 % männlich), ADHS (4,3 % weiblich und 7,0 % männlich), Angst (12,3 % weiblich und 8.9 % männlich), Depression (12,3 % weiblich und 11,1 % männlich).