Grosse kantonale Unterschiede, aber kleine Schritte hin zu mehr Inklusion im Vorschulalter

Eine Bestandesaufnahme der familienergänzenden Betreuung für Kinder mit Behinderungen und entsprechenden politischen Entwicklungen

Anna Pestalozzi und Alex Fischer

Zusammenfassung
Der Artikel bezieht sich auf die zentralen Resultate der Studie zur familienergänzenden Betreuung von Kindern mit Behinderungen im Vorschulalter von Procap Schweiz aus dem Jahr 2021. An vielen Orten in der Schweiz gibt es einen grossen Handlungsbedarf betreffend Angebot und Finanzierung. Erfahrungen zeigen, dass frühkindliche Inklusion in Kindertagesstätten durchaus möglich ist, wenn es eine entsprechende öffentliche Finanzierung gibt. Weiter ermöglicht der Artikel einen Einblick in aktuelle politische Entwicklungen auf kantonaler und nationaler Ebene.

Résumé
Cet article se réfère aux principaux résultats de l'étude sur l'accueil extrafamilial d'enfants en situation de handicap d’âge préscolaire réalisée par Procap Suisse en 2021. Dans de nombreux endroits en Suisse, il y a un besoin important d'agir concernant l'offre et le financement de l’inclusion précoce dans les structures d’accueil de jour. Les expériences montrent que celle-ci est tout à fait possible, moyennant un financement public adéquat. L'article donne également un aperçu des développements politiques actuels aux niveaux national et cantonal.

Keywords: Inklusion, Behinderung, frühes Lernen, familienergänzende Betreuung, Kindertagesstätten, Finanzierung, Behindertenrechte / inclusion, handicap, apprentissage précoce, accueil extrafamilial, structures d’accueil de jour, financement, droits des personnes handicapées

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-07-02

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 07/2023

Creative Common BY

Ausgangslage

Die Frage nach finanzierbaren Kitaplätzen mit hoher Qualität und der Mangel an Fachpersonal sind in der Schweiz ein häufiges Thema in der Öffentlichkeit. Die Herausforderung, einen geeigneten Platz in passender Lage zu finden, ist um ein Vielfaches grösser, wenn ein Baby oder Kleinkind eine Behinderung hat. Abgesehen von betroffenen Eltern oder Fachpersonal ist das nur wenigen Leuten bekannt. Dies, obwohl in der Schweiz ungefähr 9000 Kinder im Vorschulalter (bis und mit 4 Jahre) mit einer Behinderung leben (BfS, 2019). Zudem ist es in der Schweiz an manchen Orten nicht nur schwierig, einen Platz zu finden, sondern sogar unmöglich, weil das Kind wegen der Behinderung in keiner Kita aufgenommen wird oder die Mehrkosten nicht finanziert werden (Procap, 2021).

Da familienergänzende Kinderbetreuung in der Schweiz kantonal, teilweise sogar kommunal reguliert ist, fehlte bislang eine schweizweite Übersicht über die Situation für Kinder mit Behinderungen. Procap, die Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Behinderungen, wurde vermehrt auf das Thema und den kantonalen Flickenteppich aufmerksam: Zahlreiche Eltern berichteten von der Not, aus Mangel an externen Betreuungsmöglichkeiten die Arbeit aufzugeben. Zudem weckten vereinzelte Leuchtturmprojekte inklusiver Kinderbetreuung unser Interesse – nicht zuletzt, weil diese Projekte zeigen: Inklusion im Vorschulalter ist möglich.

Bestandesaufnahme der Inklusion im Vorschulalter aus dem Jahr 2021

Projekt von Procap Schweiz

Die Analyse von Procap Schweiz «Familienergänzende Betreuung für Kinder mit Behinderungen» (Procap, 2021) bot die Gelegenheit, dem Thema mehr Sichtbarkeit zu geben, kantonsübergreifendes Lernen zu ermöglichen und die Politik aufgrund des grossen Handlungsbedarfs zu inspirieren.

Die Studie von 2021 war Teil eines einjährigen Projektes von Procap Schweiz, das vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) finanziell unterstützt wurde. Nach Veröffentlichung der Studie als erster Teil des Projektes wurde eine nationale Konferenz mit Fachpersonen aus verschiedenen Kantonen durchgeführt. Das Thema der Konferenz lautete: «Kita für alle – auch für Kinder mit Behinderungen?!». Als letzter Teil des Projektes wurden regionale Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert. Erfreulicherweise konnte Procap nach Abschluss des Projekts und der Finanzierung durch das EBGB politische Schritte unterstützen und kann dies aufgrund der Erfahrungen aus dem Projekt auch weiterhin tun.

Der Flickenteppich mit den kantonalen Unterschieden erforderte 26 kantonale Analysen, die im Anschluss einen Vergleich und eine Gesamtbeurteilung der Situation in der Schweiz ermöglichten. Hierfür führten die Autor:innen zahlreiche Gespräche mit Fachpersonen aus den Bereichen Kinderbetreuung, Frühförderung, Heilpädagogik und Inklusion im Vorschulalter. Zudem sammelten sie Informationen im Rahmen einer umfassenden Umfrage mit Fachpersonen, Eltern und Behörden. Die Ergebnisse daraus zeigen den Status quo im Jahr 2021. Da sich der Bereich in gewissen Kantonen stark weiterentwickelt, sähe eine Analyse heute leicht anders aus. Die zentralen Resultate, die im Folgenden beschrieben werden, behalten aber ihre Gültigkeit.

Problematischer Status quo

Fehlt für Kinder mit Behinderungen ein Angebot an familienergänzender Betreuung oder fallen die Mehrkosten zulasten der Eltern, sind die betroffenen Familien stark eingeschränkt in ihrer Wahlfreiheit bezüglich Familienmodell. Die mangelnden externen Betreuungsmöglichkeiten und die teils aufwendige Betreuung zwingen oft einen Elternteil – vielfach die Mutter –, die Erwerbstätigkeit aufzugeben. Dies führt zu diversen Nachteilen für die betroffenen Familien und die Gesellschaft:

Die heute vielerorts verpassten Chancen zeigen auch das zukünftige Potenzial auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, würde mehr in die inklusive Frühförderung investiert. So gibt es viel Literatur (z. B. Zimmermann, 2019; Interface, 2020), die belegt, dass sich Investitionen in der frühen Kindheit lohnen, sowohl bei den Eltern (mehr Erwerbsarbeit und Karrierechancen) als auch bei den Kindern (höhere Bildungsrendite und tiefere Sozialkosten).

Schweizweite Forderung: diskriminierungsfreier Zugang

Aufgrund der erwähnten Nachteile für die betroffenen Kinder und ihre Familien als auch für die Gesellschaft als Ganzes forderte Procap in der Studie von 2021 und bei der weiteren politischen Tätigkeit einen diskriminierungsfreien Zugang für alle Kinder zur familienergänzenden Betreuung. «Diskriminierungsfrei» bedeutet in diesem Zusammenhang zweierlei: Erstens soll jedes Kind – unabhängig von Wohnort und Behinderung – Zugang zum Betreuungsangebot haben. Gibt es aus Mangel an Plätzen eine Warteliste, so kommt das Kind mit einer Behinderung auf dieselbe Liste wie alle anderen Kinder, es wird also gleichbehandelt. Wie nah vom Wohnort die Betreuung möglich ist, wird auch in einem diskriminierungsfreien System vom Modell des Wohnkantons abhängig sein. Procap fordert auch bei Kindern mit schweren Behinderungen eine Betreuungsmöglichkeit in zumutbarer Distanz und eine Transportmöglichkeit bei Bedarf. Der zweite Aspekt eines diskriminierungsfreien Systems betrifft die Finanzierung der behinderungsbedingten Mehrkosten. Diese sollen öffentlich finanziert werden, sodass Familien von Kindern mit Behinderungen für die Betreuung gleich viel bezahlen wie andere Familien mit Kindern ohne Behinderung, gleichem Wohnort und gleichen finanziellen Verhältnissen.

Grosse kantonale Unterschiede

Die Studie ermittelte in einem ersten Schritt den Bedarf an inklusiver Betreuung. In der Schweiz leben ungefähr 9000 Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter. Unter Annahme einer ähnlichen Betreuungsquote wie bei Kindern ohne Behinderungen benötigt ungefähr ein Drittel davon einen Betreuungsplatz. Die Inklusion dieser 3000 Kinder sieht aber nicht in jedem Fall gleich aus, da sie stark von der Behinderung des Kindes und dem damit verbundenen Betreuungs- und Förderbedarf zusammenhängt. Mittels der verfügbaren statistischen Daten zu Kindern mit Behinderungen (z. B. Zimmermann, 2019) schätzt Procap, dass bei einem Viertel dieser Kinder – also bei schweizweit etwa 750 Kindern – eine sehr intensive Betreuung notwendig ist, da sie mit einer schweren Behinderung leben. Das in zahlreichen Kantonen verwendete System der Betreuungsfaktoren ermöglicht es, den Betreuungsaufwand zu messen. Von einer schweren Behinderung wird im Rahmen der Studie ab einem Betreuungsfaktor 2 (doppelt so hoher Aufwand wie bei einem Kind ohne Behinderung nach der Babyphase) und höher gesprochen. Die Einteilung ist zentral für die Schätzung des Bedarfs an inklusiven Angeboten, denn Kinder mit einer leichten Behinderung (bis Faktor 1,5) können und sollen in regulären Kitas integriert werden, zusammen mit Geschwistern und Nachbarskindern. Die Inklusion von Kindern mit schweren Behinderungen wird regional unterschiedlich gestaltet. Die nachfolgende Karte zeigt, dass sie in zahlreichen Kantonen in der Schweiz noch gar nicht existiert (Stand 2021).

Abbildung 1: Situation für Kinder mit schweren Behinderungen

Auf einer Schweizer Karte ist die Situation der Inklusion für Kinder mit schweren Behinderungen dargestellt.

Quelle: Statistischer Atlas der Schweiz, Bundesamt für Statistik, ThemaKart, Neuenburg 2009–2019. Die Färbung basiert auf der Umfrage und Recherche von Procap Schweiz.

Einen diskriminierungsfreien Zugang zu Kindertagesstätten für alle Kinder mit Behinderungen gab es Stand 2021 nur in fünf Kantonen (grün; BS, GE, VD, VS, ZG) und in der Stadt Zürich. Zahlreiche Kantone boten keine Betreuungsplätze für Kinder mit schweren Behinderungen (rot). In einigen Kantonen gab es Lösungen, doch es fehlte ein systematisches Angebot oder es haperte bei der Umsetzung (gelb).

Die Situation für Kinder mit leichten Behinderungen ist deutlich besser. Doch auch da gibt es sowohl grosse kantonale als auch regionale Unterschiede: Während die Westschweiz punkto Inklusion im Vorschulalter fortschrittlich ist, gibt es in der Ost- und Nordschweiz grossen Handlungsbedarf (detaillierte Resultate sind in der Studie im Kapitel 5 und im Anhang der Studie zu finden).

Eine sehr erfreuliche Erkenntnis im Rahmen der Untersuchung war, dass es in zahlreichen Kantonen Bemühungen für Verbesserungen gibt. Diese positive Entwicklung wurde in den vergangenen zwei Jahren in einigen Kantonen durch politische Fortschritte bestätigt. Der Flickenteppich ist für betroffene Familien ein grosser Nachteil, weil er bedeutet, dass die Wahlfreiheit bezüglich Familienmodell je nach Wohnort stark eingeschränkt ist. Der positive Aspekt der kantonalen Unterschiede ist, dass Kantone mit grossem Nachholbedarf von Musterkantonen lernen können. Denn letztere zeigen dank inklusiven Vorzeige-Kindertagesstätten, dass Inklusion im Vorschulalter mit den entsprechenden Ressourcen durchaus möglich ist. Somit muss diese Grundsatzfrage bei politischen Bemühungen glücklicherweise nicht mehr verhandelt werden.

Inklusion in der Kita: Wie geht das?

Die Studie von Procap präsentiert im Bericht Best-Practice-Beispiele in zweierlei Hinsicht: Erstens wird auf funktionierende Finanzierungssysteme hingewiesen. Zweitens werden Kitas erwähnt, die bezüglich Inklusion eine inspirierende Vorbildrolle einnehmen (z. B. Kindertagesstätten imago der Stiftung visoparents in Dübendorf und Baar, vgl. Beitrag von Kiechl in dieser Ausgabe). Die Frage, wie Inklusion gelingen kann, würden nicht alle Best-Practice-Kitas gleich beantworten. Besonders bei der Inklusion von Kindern mit schweren Behinderungen zeigen sich verschiedene Herangehensweisen:

Gemeinsam haben alle erwähnten Modelle, dass sie die Inklusion von Kindern mit schweren Behinderungen ermöglichen und damit einen zentralen Beitrag zur Frühförderung beitragen. Welches Modell für einen Kanton geeignet ist, hängt vom bereits bestehenden Angebot und von den Prioritäten ab. Procap sieht grosse Vorteile in der Betreuung von Kindern mit leichten Behinderungen in regulären Kitas am Wohnort und in der Betreuung von Kindern mit schweren Behinderungen in spezialisierten, inklusiven Kindertagesstätten in Zentrumsregionen mit Transportangebot – in jedem Fall mit einer öffentlichen Finanzierung der Mehrkosten.

Jüngste politische Entwicklungen

Was tut sich auf kantonaler Ebene?

Das Potenzial der Investitionen in die frühe Förderung wird politisch mehr und mehr erkannt. Dennoch zeigt sich, dass viel Arbeit nötig ist, damit die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen nicht vergessen und die nötigen Ressourcen tatsächlich gesprochen werden. Mit der Studie von 2021 konnte der Handlungsbedarf in vielen Kantonen aufgezeigt und die Vernetzung von Fachpersonen angetrieben werden. Die Aufzählung der Kantone ist nicht abschliessend, auch in anderen Kantonen gibt es inzwischen politische Vorstösse und Gesetzesrevisionen (z. B. Fribourg, Schaffhausen, Solothurn, Zürich).

Luzern

Seit August 2022 gehört die familienergänzende Betreuung von «Kindern mit besonderen Bedürfnissen» zu den kantonalen Aufgaben der Sonderschule. Somit muss der Kanton die Mehrkosten übernehmen. Diese gesetzliche Anpassung wurde vom Kantonsrat einstimmig gefordert und ermöglicht zukünftig auch die Betreuung von Kindern mit schwereren Behinderungen. Bisher fehlte die Finanzierungsgrundlage für ein entsprechendes Angebot.

Graubünden

Im Rahmen einer Revision des Kinderbetreuungsgesetzes (Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden; KIBEG) hat das Parlament eine Forderung aus der Vernehmlassung aufgenommen, wonach der Kanton Leistungserbringende inklusiver Angebote unterstützen muss. Die Umsetzung steht noch aus. Eine kantonale Finanzierung inklusiver Angebote fehlte im Kanton Graubünden bisher und ermöglicht nun die Weiterentwicklung des Angebots in der Region.

Bern

Während der Kanton die Inklusion von Kindern mit geringem Unterstützungsbedarf mit einem Zusatz von 50 Franken pro Tag und pro Kind ermöglicht, fehlte bisher die Finanzierung für Kinder, deren Betreuung höhere Mehrkosten verursacht. Nachdem die Regierung die Mitfinanzierung eines Pilotprojekts unbefristet verzögert hat, wurde nun das Parlament aktiv und forderte im Frühjahr 2023 die Schaffung eines Angebots für Kinder mit höherem Unterstützungsbedarf. Nun muss der Regierungsrat binnen zwei Jahren eine Lösung aufgleisen.

Was tut sich auf nationaler Ebene?

Das Parlament will die Anstossfinanzierung des Bundes im Bereich familienergänzende Betreuung verstetigen und ausbauen. Damit bietet sich für die Weiterentwicklung der Inklusion im Vorschulalter eine Möglichkeit, den kantonalen Flickenteppich in einem Schritt zu verbessern. Mit dem «Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern» sollen die Elternbeiträge gesenkt und die Qualität der Betreuung soll gestärkt werden. Betreffend Inklusion sind zwei Elemente relevant: Erstens enthält das Gesetz eine Bestimmung, wonach der Bundesbeitrag an die Eltern höher ist, wenn die Vollkosten bei der Betreuung aufgrund einer Behinderung höher sind. Der Bund würde die Kantone also bei der Finanzierung der behinderungsbedingten Mehrkosten unterstützen und damit einen Anreiz für eine kantonale Lösung schaffen. Zweitens sind im Gesetz Programmvereinbarungen vorgesehen, die der Bund mit den Kantonen zur Schliessung von Angebotslücken für Kinder mit Behinderungen eingehen kann.

Am 1. März 2023 hat das Bundesgesetz die erste Hürde überwunden und wurde im Nationalrat angenommen. Der Entscheid im Ständerat stand bei Redaktionsschluss noch aus. Die ständerätliche Kommission verzögerte das Geschäft im Spätsommer aber mit neuen Prüfaufträgen und Vorschlägen, die am Ziel der Vorlage vorbeigehen. Eine Annahme des Gesetzes in der Version des Nationalrates würde der Weiterentwicklung einer zugänglichen und inklusiven Kinderbetreuung einen wichtigen und überfälligen Schub verleihen, der Kindern mit Behinderungen mehr Teilhabe und ihren Familien mehr Wahlfreiheit ermöglichen würde. Kantonale Bemühungen würden mit einer Annahme des Bundesgesetzes nicht obsolet, doch die Bundesunterstützung würde diese stärken und beschleunigen.

Fazit und Ausblick

So gross der Handlungsbedarf in der Schweiz bei der Inklusion von Kindern mit Behinderungen im Vorschulalter noch ist, so ermutigend sind die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre auf kantonaler Ebene. Der föderale Flickenteppich schafft zwar grosse Unterschiede, doch diese Unterschiede legitimieren auch den politischen Druck auf die Schlusslichter. Das sind jene Kantone, die weit zurückbleiben und rechtliche Verpflichtungen und das Diskriminierungsverbot unbeachtet lassen und Kindern mit Behinderungen den Zugang zu Kindertagesstätten faktisch verwehren. Dies, obwohl laut einer von Procap eingeholten Rechtsauskunft schweizweit ein einklagbares Recht auf ein Betreuungsangebot besteht, wenn die zuständige Stelle für ein Kind feststellt, dass es auf den Besuch einer inklusiven Kita im Sinne von Sonderschulbedarf angewiesen ist. Immer mehr Entscheidungsträger:innen leuchtet es ein, dass frühe Inklusion für die Förderung der Kinder und ihre weitere Laufbahn von grösster Bedeutung ist und dass die Gesellschaft mit diesen Investitionen nur gewinnen kann. Trotzdem fehlt teilweise der politische Wille für konkrete Verbesserungen. Deshalb wäre eine Klärung der Rechtslage vor Gericht von Vorteil.

Neben kantonalen Bemühungen bietet das nationale Kinderbetreuungsgesetz grosse Chancen für mehr Wahlfreiheit von Eltern und Gleichstellung von Kindern mit Behinderungen. Was im Gesetzesentwurf ein kleiner Absatz eines Artikels ist, macht für eine Familie je nach Wohnort den grossen Unterschied aus: Ihr Kind kann eine Kita besuchen, gehört von Anfang an dazu und wird gezielt gefördert. Und die Eltern? Sie haben die Freiheit, ihrem Beruf nachzugehen, was je nach Behinderung und Intensität der Betreuung einen willkommenen Szenenwechsel bedeutet.

Anna Pestalozzi
Stv. Leiterin Sozialpolitik

Procap Schweiz, Olten

anna.pestalozzi@procap.ch

Alex Fischer
Bereichsleiter Sozialpolitik

Procap Schweiz, Olten

alex.fischer@procap.ch

Literatur

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