«Ob Inklusion gelingt, hängt von allen ab!»

Eine qualitative Untersuchung inklusiver Angebote in der allgemeinen Erwachsenenbildung

Sibylla Strolz

Zusammenfassung
Bildung ist ein Menschenrecht und gilt als wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Die Behindertenrechtskonvention (BRK) fordert ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen, auch in der Erwachsenenbildung. Doch Menschen mit Lernschwierigkeiten haben zu Kursen der öffentlichen Erwachsenenbildung bisher kaum Zugang. Im Beitrag werden Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung präsentiert, die im Rahmen einer Masterthesis in Sozialer Arbeit durchgeführt wurde. Die Studie geht der Frage nach, was es braucht, damit inklusive Kurse gelingen. Die Resultate zeigen, dass es nicht allein damit getan ist, den Zugang für alle zu gewährleisten. Es braucht inklusive Kulturen, Strukturen und Praktiken und das Gelingen hängt stark von allen Beteiligten ab.

Résumé
Le droit à l’éducation est un droit humain indispensable pour participer à la société. La Convention relative aux droits des personnes handicapées (CDPH) exige un système éducatif inclusif à tous les niveaux, y compris dans la formation des adultes. Pourtant, les personnes ayant des difficultés d'apprentissage n'y ont jusqu'à présent difficilement accès. Cet article présente les résultats d'une étude qualitative menée dans le cadre d'un mémoire de Master en Travail social. L'étude se penche sur la question de savoir quelles conditions sont nécessaires pour la réussite de cours inclusifs. Les résultats montrent qu'il ne suffit pas de garantir l'accès aux cours à toutes et tous. Il faut également des cultures, structures et pratiques inclusives. De plus, la réussite dépend fortement de tous les protagonistes.

Keywords: kognitive Beeinträchtigung, Partizipation, Inklusion, Erwachsenenbildung, Heterogenität, Unterrichtsmethode / déficience intellectuelle, participation, inclusion, éducation des adultes, hétérogénéité, méthode pédagogique

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-05-04

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 05/2023

Creative Common BY

Ausgangslage

Menschen mit Lernschwierigkeiten[1] haben zwar Bildungsmöglichkeiten, doch diese haben sich als sogenannt «exklusive» Angebote etabliert (Ackermann & Ditschek, 2015; Ledergerber & Dietziker, 2019). So richten sich beispielsweise die Kurse des Bildungsklubs von Pro Infirmis vorwiegend an Menschen mit Lernschwierigkeiten. Pro Infirmis als grösste Schweizer Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen setzt sich für Selbstbestimmung und Inklusion ein. Um diesen Paradigmen gerecht zu werden, gehen die Bildungsklubs seit einigen Jahren Kooperationen mit öffentlichen Anbietern der allgemeinen Erwachsenenbildung ein. Diese schreiben in ihren Programmen auch inklusive Kurse aus. Seit vielen Jahren wird versucht, diese inklusiven Kurse weiter auszubauen, doch das gelingt nur zögerlich. Ledergerber und Dietziker (ebd.) sehen mögliche Gründe im Spardruck, dem die Organisationen der Erwachsenenbildung ausgesetzt sind. Auch die mangelnden finanziellen Ressourcen von Menschen mit Lernschwierigkeiten könnten mit ein Grund sein, denn die Kurse sind zwar billig, aber für die Teilnehmenden nicht kostenlos. Sonja-Christina Lorenz, Leiterin des Bildungsklubs von Pro Infirmis Zürich, ist der Meinung, dass sich Bildungseinrichtungen und Organisationen nicht bewusst sind, wie wichtig es ist, Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen anzubieten. Die Barrieren und/oder Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen führten dazu, so Lorenz weiter, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Gesellschaft wenig berücksichtigt werden. Doch spätestens seit der Ratifizierung der BRK in der Schweiz im Jahr 2014 bekommt die Forderung nach inklusiver Erwachsenenbildung auch einen moralisch-rechtlichen Nachdruck: Gefordert wird ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen, also auch in der Erwachsenenbildung (vgl. Art. 24, Abs. 5, BRK). Organisationen der Erwachsenenbildung müssen sich demnach nicht mehr fragen, ob sie ihre Türen für Menschen mit Behinderungen öffnen und sich mit Fragen der Inklusion auseinandersetzen, sondern wie sie gewährleisten, dass alle Lerninteressierten an Kursen teilnehmen können (Schreiber-Barsch, 2016). Diesem wie widmet sich die Masterthesis (Strolz, 2021), die am Departement für Soziale Arbeit der OST − Ostschweizer Fachhochschule durchgeführt wurde.

Fragestellung und methodisches Vorgehen

Das Ziel der Masterarbeit war es, die zentralen Bedingungen zu eruieren, um Inklusion von Menschen mit Lernschwierigkeiten in allgemeinen Erwachsenenbildungskursen zu ermöglichen. Um die Qualität inklusiver Kurse zu erfassen, waren die subjektiven Erfahrungen und Bewertungen aller am Kurs beteiligten Akteur:innen von Interesse. Der Zugang zum Feld erfolgte über den Bildungsklub von Pro Infirmis. So konnten in drei Kursen[2] Befragungen mit folgendem Sample durchgeführt werden:

  1. die Kursleitungen, welche die Kurse durchführten (KL; n = 3),
  2. die (kurs-)teilnehmenden Personen mit Lernschwierigkeiten (TmL; n = 3), sowie
  3. teilnehmende Personen ohne Lernschwierigkeiten (ToL; n = 3).

Die Daten wurden mit einem leitfadengestützten Interview erhoben. Im ersten Kurs konnten die Befragungen noch vor Ort durchgeführt werden. Danach war dies aufgrund der Pandemie nicht mehr möglich, weshalb die Gespräche per Zoom oder Telefon durchgeführt wurden. Gefragt wurde hauptsächlich nach Erfahrungen beim gemeinsamen Lernen, sowie nach dem, was gut (Chancen) oder auch weniger gut (Herausforderungen) läuft. Die Interviews wurden wörtlich transkribiert und inhaltsanalytisch nach Mayring (2015) ausgewertet.

Als Referenz zur Datenanalyse und Diskussion der Ergebnisse dienten zwei Modelle. Zum einen war dies der Index für Inklusion. Dieser wurde in England konzipiert, um inklusive Schulen weiterzuentwickeln. Dem Index zufolge braucht es zur Umsetzung und Realisierung inklusiver Bildungsangebote inklusive Kulturen, inklusive Strukturen und inklusive Praktiken (Booth & Ainscow, 2017).

Zum anderen war dies die Themenzentrierte Interaktion (TZI), welche diejenigen Einflussgrössen abbildet, die beim Lernen in heterogenen Gruppen wirken. Dies sind (Frosch 2015, o. S.):

Diese Kategorien der TZI strukturierten in der Analyse den Kodierleitfaden, differenziert nach den drei Perspektiven (KL, TmL, ToL) und den jeweils genannten Chancen und Herausforderungen. Nachfolgend werden ausgewählte zentrale Erkenntnisse nach den Dimensionen des Index für Inklusion dargestellt.

Ergebnisse und Diskussion

Inklusive Kulturen

Kulturen zeigen sich nach Booth und Ainscow (2017) in Form von Sprache und Werthaltungen im Zusammenleben. In den Kursen lassen sich diese Kulturen daran erkennen, wie die Teilnehmenden untereinander agieren (TZI: «Das WIR»). Ebenso kommen sie in den Interviews durch die Sprache zum Ausdruck, insbesondere in der Art und Weise, wie Teilnehmende ohne Behinderung über die Person mit Lernschwierigkeiten sprechen.

Kursteilnehmende erzählen von anfänglichen Unsicherheiten und Hemmschwellen im Umgang mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, was das folgende Zitat verdeutlicht:

Ein Teil der Teilnehmenden hat ein bisschen Respekt habe ich das Gefühl, wissen nicht recht, sollen sie X [Name TmL] jetzt anschauen, oder lieber nicht [lacht], oder sollen sie nahe gehen oder eher auf Distanz? (Kurs 3, ToL, Pos. 16)

Auch eine Kursleiterin berichtet von beobachteten Hemmschwellen im Kontakt mit Personen mit Lernschwierigkeiten. Die Teilnehmenden würden in der Regel offen auf neue Kursteilnehmer:innen zugehen. Wenn es jedoch eine Person mit Behinderung sei, dann gehen sie anfänglich eher auf Distanz. Solche Hemmschwellen lassen sich jedoch dank der Begegnungen im Verlaufe des Kurses abbauen. Dazu brauche es laut der Kursleiterin jedoch Zeit und Vertrauen. Sie erachtet eine längere Kursdauer deshalb auch als einen wichtigen Realisierungsfaktor inklusiver Kurse. Semesterkurse seien daher idealer als kurze Tages- oder Wochenendkurse (Kurs 1, KL, Pos. 7).

Ein förderlicher Faktor für den Abbau von Hemmschwellen sind oft die Teilnehmenden mit Lernschwierigkeiten selbst. Kursteilnehmer:innen berichten, dass diese einen sehr offenen und direkten Kontakt pflegen:

[…] habe ich gemerkt, dass sie gerade zu reden beginnt und fragt: «Wo kommst du her? Was machst du?», ja wirklich, ganz herzig. (Kurs 3, ToL, Pos. 12)Vielfach sind sie sehr humorvoll und erzählen und machen irgendwas und nehmen auch Kontakt auf mit uns. Ja. Ja. Das finde ich schön. (Kurs 1, ToL, Pos. 14)

Diese Direktheit kann jedoch auch Irritationen auslösen. So berichtet ein Teilnehmer mit Lernschwierigkeiten:

Ich habe natürlich mal die Frauen gefragt, ob sie Kinder haben, gell und so Sachen, das geht um Gottes Himmels Willen nicht, gell. […] Die meisten Frauen haben das nicht so gerne. […] Das geht schon zu weit, weisst du. (Kurs 1, TmL, Pos. 59–65)

Bezüglich der Werthaltung sind in den Interviews auch verschiedentlich Vorurteile und ein noch mehrheitlich defizitäres Bild von Behinderung deutlich geworden. Dies sowohl bei den Kursleiterinnen wie auch bei den Teilnehmenden. Beispielsweise würde die Kursleiterin des Aquafit-Kurses den Kurs verändern, wenn sich mehr als zwei Personen mit Lernschwierigkeiten anmelden würden:

[…] man würde einfach Bewegungsformen machen und nicht unbedingt Fitness, sondern, dass man das Ziel zum Teil ändern würde, wenn es mehrere werden. Bewegungstherapie [lacht]. (Kurs 3, KL, Pos. 63)

Eine andere Teilnehmerin hat das Vorurteil, dass Menschen mit Behinderungen «herumrufen». Sie berichtet, dass sie die Teilnehmerin mit Lernschwierigkeiten gar nicht so als «behindert» wahrnehme, weil sie nicht herumrufe, sie hätte lediglich «etwas eine lange Leitung» (Kurs 2, ToL, Pos. 44). Auch ist die Haltung vorhanden, dass sich kreative Kurse besonders gut eignen für Menschen mit Lernschwierigkeiten, intellektuelle Kompetenzen werden ihnen wenig zugesprochen. So erzählt eine Teilnehmerin im Interview, dass ihr die Person mit Lernschwierigkeiten erzählt habe, dass sie nebst dem Nähkurs auch einen Computerkurs besuche und sie dann gesagt habe: «Was X [ruft Namen des TmL]?! Du einen Computerkurs, was soll das? Für was brauchst du einen Computerkurs?» (Kurs 2, ToL, Pos. 86)

Spissinger (2017) führt Unsicherheiten und Vorurteile auf die jahrelange, weitgehende Separation von Menschen mit Lernschwierigkeiten zurück und bezeichnet Kontaktmöglichkeiten als Schlüssel zur Inklusion. Dies bestätigte sich auch in den hier untersuchten Kursen.

Inklusive Strukturen

Bei den Strukturen geht es um die Organisation und Führung einer Einrichtung. Obwohl diese Mesoebene nicht explizit im Erkenntnisinteresse der Arbeit lag, sind auch auf dieser Ebene Herausforderungen deutlich geworden.

Kursleitende fühlen sich teilweise von ihren Arbeitgebenden alleingelassen und müssen sich um Angelegenheiten kümmern, die anders abgedeckt werden könnten. So berichtet eine Kursleiterin, dass ein Taxifahrer einen Teilnehmer mit Lernschwierigkeiten zum Kurs gebracht habe und sagte:

[…] ich solle dann um viertel nach fünf noch das Taxi kommen lassen und so, das sei dann die Nummer und dann habe ich gesagt, er soll doch auf das Büro hoch, das soll doch das Büro übernehmen. Dann hat das Büro geantwortet, das übernehmen sie sicher nicht, das sei nicht ihre Sache. (Kurs 1, KL, Pos. 6)

Als weiteren zentralen Faktor erachten alle Befragten die Präsenz einer Assistenzperson. Dies erweise sich als gewinnbringend für alle: Es entlaste die Kursleitung, unterstütze die Personen mit Lernschwierigkeiten und es verringere die Gefahr, dass sich Kursteilnehmende ohne Behinderungen vernachlässigt fühlen.

In Zürich liegt es am Goodwill der Kursleiterinnen, ob sie ihre Kurse für Menschen mit Lernschwierigkeiten öffnen:

[…] ich kann sagen ja oder nein, und dann werden die Leute in diesen Kurs rein gegeben und that’s it. Und das heisst, dass ich halt in dem Sinn wirklich total alleine bin, und auch komplett alleine entscheiden muss. (Kurs 2, KL, Pos. 28)

Um Inklusion umzusetzen, reicht es nicht aus, dass die Kursleitenden aus Goodwill ihre Kurse öffnen, sondern es braucht Unterstützungsstrukturen auf allen Ebenen der Einrichtung. In England beispielsweise bestehen seit langem Beratungs- und Unterstützungsangebote in der Erwachsenenbildung. Diese dienen als Anlaufstelle sowohl für Kursleitende wie auch für Teilnehmende (Babilon, 2017).

Inklusive Praktiken

Bei den Praktiken geht es um die Gestaltung des Lehr-/Lernsettings beziehungsweise um die Kompetenz, heterogene Gruppen zu leiten. In den drei befragten Kursen kristallisierte sich eine klare Schlüsselrolle der Kursleitung heraus. Eine Teilnehmerin betont: «Also es steht und fällt mit der Kursleitung. Also, ganz [betont] eindeutig.» (Kurs 1, ToL, Pos. 27)

Eine Kursleiterin vergleicht das Unterrichten einer heterogenen Gruppe damit, ein Orchester zu dirigieren:

Also ich muss wirklich genau [betont] wissen, wo bin ich [lacht]. Also, wenn du das vergleichst mit einem Dirigenten, dann muss ich genau wissen, ok so gross ist mein Orchester, das sind irgendwie die Leute, jemand ist bei dem, jemand bei dem, das sind die, und die, und die Instrumente, die sie spielen, sie sind da und da mit ihrem Können […]. (Kurs 2, KL, Pos. 44)

Es braucht ein differenziertes methodisches Vorgehen, um allen Teilnehmenden gerecht zu werden. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es förderlich, wenn Inhalte mit einer Methodenvielfalt vermittelt werden. So hilft neben dem reinen «Erklären» zum Beispiel auch das Vorzeigen, das Ansprechen von verschiedenen Sinnen oder auch die Gliederung der Inhalte in Teilschritte.

Aufgrund der zentralen Rolle der Kursleitenden ist auch im Fachdiskurs von einer notwendigen Professionalisierung der Fachkräfte die Rede (Hirschberg et al., 2019; Ditschek & Meisel, 2012; Tippelt, 2020). Auch die Kursleitenden äussern in der Befragung einen Bedarf an Weiterbildung. Dies ist nicht nur ein «nice-to-have», denn Artikel 24 der BRK verpflichtet die Vertragsstaaten, Fachkräfte auf allen Ebenen auszubilden und die Bewusstseinsbildung im Umgang und im Unterrichten von Menschen mit Behinderungen zu stärken (Art. 24, Abs. 4, BRK). Der Bildungsklub von Pro Infirmis bietet dazu ein vielseitiges Weiterbildungsprogramm für Kursleitende an: von methodisch-didaktischen Themen über verschiedene Krankheitsbilder bis hin zu spezifischen Unterrichtsformen (Strolz, 2021).

Kursleitende erwähnen auch Grenzen inklusiver Kurse und sind der Meinung, dass sich nicht alle Kursinhalte gleich gut eignen und die Anforderungen teilweise zu hoch sind. Dies beispielsweise im Aquafit-Kurs, in welchem das Bewegungstempo durch die Musikstücke festgelegt ist. Auch die Kursleiterin eines Nähkurses fragt sich:

Oft wählen sie das, weil sie haben gerne ein Produkt am Schluss. Aber wenn es dann [lachend] am Schluss darauf hinausläuft, dass ich fast alles nähen muss, […] dann geht das […] eigentlich nicht, oder? (Kurs 1, KL, Pos. 6).

Ob die Anforderungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten tatsächlich zu hoch sind oder ob möglicherweise auch die didaktisch-methodischen Aspekte für eine gelingende Partizipation (noch) nicht genügend ausgeschöpft sind, sei hier in Frage gestellt. Denn die Teilnehmenden mit Lernschwierigkeiten berichteten auch vereinzelt über mangelnde Unterstützung. So hat sich eine Person mit einer Lernschwierigkeit Unterlagen in Leichter Sprache gewünscht, eine andere Person mehr zeitliche Unterstützung durch die Kursleitung. In beiden Fällen war die Kursleiterin der Meinung, dass diese zusätzlichen Unterstützungsleistungen nicht notwendig seien. Dabei wäre es wichtig, Menschen mit Lernschwierigkeiten als Expert:innen ihres Lebens wahrzunehmen. Sie wissen am besten, ob und worin sie Unterstützung brauchen. Eine Kursteilnehmerin (ToL) schildert ihre Erfahrung im Kurs so:

Dort merke ich manchmal, ich bin jemand, der eher zu schnell helfen will. Und da habe ich einfach für mich merken müssen, dass ich X [Name TmL] zuerst frage: «X, brauchst du Unterstützung? Und was kann ich dir helfen?» […] Und dann kann sie ganz, ganz klar sagen, was sie braucht. (Kurs 3, ToL, Pos. 50)

Fazit

Damit das Motto der allgemeinen Erwachsenenbildung «Bildung für alle» nicht eine leere Floskel bleibt, müssen sich Organisationen der allgemeinen Erwachsenenbildung weiterentwickeln. Das heisst, es müssen inklusive Strukturen auf allen Organisationsebenen etabliert werden. Dazu gehört beispielsweise die Gewährleistung von Assistenz für Kursteilnehmende mit Lernschwierigkeiten, wie auch die notwendige Unterstützung von Kursleitenden. Strukturen ändern sich jedoch kaum, wenn dahinter nicht auch ein organisationales Commitment steht. Das heisst, als Grundvoraussetzung müssen inklusive Kulturen geschaffen werden, so dass Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Lernschwierigkeiten stattfinden und Unsicherheiten abgebaut werden können. Inklusive Kulturen tragen zum Abbau von defizitären Konstruktionen und Einstellungen gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten bei. Schliesslich müssen die Kursanbietenden inklusive Praktiken entwickeln. Wie aufgezeigt wurde, kommt hierbei den Kursleitenden eine Schlüsselrolle zu, denn sie orchestrieren das Lernen in heterogenen Gruppen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten von den Kursleitenden als Expert:innen ihres Lebens wahrgenommen werden. Die Verantwortung für Inklusion liegt aber schlussendlich nicht nur bei den Bildungseinrichtungen, sondern auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Gerade im Kontext von Menschen mit Lernschwierigkeiten sind die Barrieren nicht in erster Linie baulicher Natur, sondern in den Köpfen der Gesellschaft. Es hat sich gezeigt, dass jeder einzelne inklusive Kurs dazu beitragen kann, Hemmschwellen abzubauen. Ganz im Sinne des Zitates einer Teilnehmerin: «Ob Inklusion gelingt, hängt von allen ab». Das gilt nicht nur für die einzelnen Kurse, sondern generell für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen.

Sibylla Strolz

MSc FHO in Sozialer Arbeit

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dienstleistungen Deutschschweiz

Pro Infirmis

sibylla.strolz@proinfirmis.ch

Literatur

Ackermann, K. E., Ditschek, E. (2015). Von der separierenden zur inkludierenden Erwachsenenbildung. Rückblick, Situationsanalyse und Ausblick. Hessische Blätter für Volksbildung, 4, 308−316.

Babilon, R. (2017). Inklusive Erwachsenenbildung mit Menschen mit Lernschwierigkeiten – eine qualitative Studie in England. Dissertation. Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, Koblenz-Landau. https://kola.opus.hbz-nrw.de/frontdoor/deliver/index/docId/1682/file/Babilon_Inklusive+Erwachsenenbildung_Dissertation.pdf

Booth, T. & Ainscow, M. (2017). Index für Inklusion. Ein Leitfaden für Schulentwicklung. Beltz.

Ditschek, E. & Meisel, K. (2012). Inklusion als Herausforderung für die Organisation. Auf dem Weg zur inklusiven Erwachsenenbildung, Teil I. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 2, 30−33.

Frosch, G. (2015). Was ist TZI? Themenzentrierte Interaktion. Ruth Cohn Institute for TCI-international. https://www.ruth-cohn-institute.org/files/content/zentraleinhalte/dokumente/TZI-Broschuere/WAS-IST-TZI.pdf

Hirschberg, M., Bonna F. & Stobrawe, H. (2019). Gelingensbedingungen zur Umsetzung eines Menschenrechts. Professionalisierung in der Inklusiven Erwachsenenbildung. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 1, 21−23.

Ledergerber, B. & Dietziker, J. (2019). Erwachsenenbildung für Menschen mit kognitiver Behinderung. Ein Plädoyer für mehr Inklusion. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 25 (5-6), 38−42.

Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (12., überarbeite Aufl.). Beltz.

Mensch-zuerst (o. J.). Positionspapier. mensch-zuerst schweiz (people first). https://mensch-zuerst.ch/userfiles/files/Das%20Positionspapier%202021.pdf

Schreiber-Barsch, S. (2016). Weiterbildung und Inklusion − alles für alle? EP Education Permanent, Schweizerische Zeitschrift für Weiterbildung, 1, 4–7. https://alice.ch/fileadmin/Dokumente/EP_PDF/EP2016-1_web.pdf

Spissinger, F. (2017). (Un-)Möglichkeiten der Inklusionsarbeit. In S. Gögercin & K. E. Sauer (Hrsg.), Neue Anstöße in der Sozialen Arbeit (S. 231-235). Springer. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-17417-0_11.pdf

Strolz, S. (2021). Menschen mit Lernschwierigkeiten – (k)ein Thema für die Erwachsenenbildung? Eine qualitative Untersuchung zu den Realisierungsbedingungen von inklusiven Erwachsenenbildungskursen. Masterarbeit, Departement für Soziale Arbeit der OST: Ostschweizer Fachhochschule. https://files.www.soziothek.ch/source/BFH%20MAS-Arbeiten/StrolzSibylla-Masterarbeit.pdf

Tippelt, R. (2020). Bildung und Inklusion − der pädagogische Zugang. In R. Tippelt & U. Heimlich (Hrsg.), Inklusive Bildung. Zwischen Teilhabe, Teilgabe und Teilsein (S. 197−221). Kohlhammer Verlag.

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BRK), vom 13. Dezember 2006, durch die Schweiz ratifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit dem 15. Mai 2014, SR 0.109.

  1. Im Fokus dieser Arbeit stehen Menschen, die in der Literatur noch mehrheitlich als «geistig behindert» oder «kognitiv beeinträchtigt» bezeichnet werden. Fragt man die Betroffenen selbst, dann wollen sie als Menschen mit Lernschwierigkeiten bezeichnet werden (Mensch-zuerst, o. J., S. 2). Dieser Begriff stellt nicht die Behinderung in den Vordergrund, sondern verweist auf die speziellen Anforderungen bezüglich des Lernens. Aus diesem Grund, und auch um die Betroffenen zu respektieren und ernst zu nehmen, wird in dieser Arbeit der Begriff «Menschen mit Lernschwierigkeiten» gebraucht.

  2. Kurs 1: «Individuelles Nähen» (Durchführungsort: Kanton Zürich); Kurs 2: «Einstieg ins Nähen» (Durchführungsort: Kanton Zürich); Kurs 3: «Aqua-fit» (Durchführungsort: Kanton Solothurn).