Selbstbestimmte Freizeit als Menschenrecht

Damaris Gut

DOI: https://doi.org/10.57161/z2023-05-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 05/2023

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Beim Schreiben dieses Editorials stellte sich mir eine grundlegende Frage. Wir alle haben eine ungefähre Vorstellung davon, was wir unter «Freizeit» verstehen – doch was umfasst der Begriff eigentlich genau? Ein Blick ins Lexikon der Psychologie (LdP)[1] bestätigt meine Vermutung, dass es schwierig ist, diesen Ausdruck inhaltlich präzis zu fassen: «[D]er Freizeitbegriff [ist] wenig eindeutig: Freizeit ist das, was der Einzelne für sich darunter versteht, Freizeit kann alles sein.» Abhängig vom individuellen Verständnis scheint Freizeit also mehr zu umfassen als nur die Zeit, die im Alltag neben der bezahlten und unbezahlten Arbeit verbleibt. Besonders spannend erscheint mir die folgende Präzisierung: «Freizeit beinhaltet nicht nur Vergnügen, Unterhaltung und Abschalten von der Arbeit, sondern auch Bildung, politisches und soziales Engagement sowie Gesundheitsorientierung» (LdP). Freizeit ist also mehr als nur «freie Zeit» – sie bietet einen Raum, um eigene Ideen umzusetzen, sich neues Wissen anzueignen, neue Fähigkeiten zu erlernen, neue Freundschaften zu knüpfen und sich um bestehende zu kümmern, die mentale und physische Gesundheit zu pflegen sowie um sich für persönliche Interessen zu engagieren.

Freizeit ist jedoch nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf politischer Ebene zu verstehen: Sie ist ein «Maßstab für den persönlichen Freiheitsgrad und die Teilhabe am sozialen Leben» (LdP). Der Begriff ist somit eng an die Frage geknüpft, wer Zugang zu welchen Freizeitangeboten hat und ob alle Menschen ihre Freizeit so gestalten können, wie sie möchten. Der Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR, 1948) legt das Recht auf Freizeit für alle Menschen fest. Dieses Recht gilt auch für Menschen mit Behinderungen: Präzisiert wird dies im Artikel 30 der Behindertenrechtskonvention (BRK), die die Schweiz im Jahr 2014 ratifiziert hat. Sie verpflichtet sich als Vertragsstaat, die nötigen Massnahmen zu ergreifen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können. Sie soll zum Beispiel die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben ermöglichen und Zugänge schaffen zu Theatern, Bibliotheken und Museen, zu Bildungsstätten, Kulturorten und Tourismusdiensten.

Einige Beiträge in dieser Ausgabe weisen darauf hin, dass Freizeitangebote zwar ein hohes Inklusionspotenzial haben, dieses aber häufig nur ansatzweise ausgeschöpft wird. Verschiedene regionale und schweizweite Projekte nehmen sich diesem Problem an und engagieren sich dafür, Freizeitangebote zu schaffen, die Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam und gleichberechtigt nutzen können. Sie verfolgen damit das wichtige Ziel, allen Menschen einen lebenslangen Zugang zu Kultur, Bildung und Sport zu ermöglichen.

Damaris Gut

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

SZH/CSPS

damaris.gut@szh.ch

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  1. Freizeit. (o. J.) In Lexikon der Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag. www.spektrum.de/lexikon/psychologie/freizeit/5275 [Zugriff am 15.05.2023].