Unterwegs zu einer besseren Welt

Thomas Wetter

DOI : https://doi.org/10.57161/z2023-03-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 03/2023

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Im Jahr 2015 flieht Nujeen Mustafa wegen des Bürgerkriegs in Syrien aus Aleppo über die Türkei nach Europa. Aufgrund ihrer Tetraplegie sitzt sie im Rollstuhl. Die Flucht über 5600 Kilometer ist lang und strapaziös. Dennoch schafft sie es bis nach Deutschland und erhält dort Asyl. Ein Jahr später schreibt Nujeen Mustafa ihre Geschichte mit Unterstützung einer britischen Journalistin auf und veröffentlicht sie unter dem Titel «Flucht in die Freiheit». Sie schreibt darüber, dass sie in Syrien nie eine Schule besuchen konnte und nur mit der Unterstützung ihrer Schwestern Lesen und Schreiben gelernt hat. In einem Interview erzählt sie: «Mit einer Behinderung in Syrien zu leben, bedeutet oft, dass man versteckt ist und mit Scham, Diskriminierung und körperlichen Barrieren konfrontiert wird. Du bist jemand, der bemitleidet wird» (eigene Übersetzung).

Obwohl das Recht auf Bildung in Artikel 28 der Kinderrechtskonvention (KRK) verankert ist, haben gemäss UNICEF immer noch über 262 Millionen Kinder und Jugendliche keinen Zugang zu Bildung. Die Situation in Syrien ist nach 12 Jahren Bürgerkrieg schwierig, das Schulsystem funktioniert kaum noch. Gerade Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung sind stark betroffen, weil man ihren besonderen Bedürfnissen wegen fehlenden Gesundheits- und Bildungseinrichtungen nicht gerecht werden kann.

Da Nujeen Mustafa bei ihrer Ankunft in Deutschland noch minderjährig war, hatte sie glücklicherweise die Möglichkeit, zum ersten Mal eine Schule zu besuchen. Sie nutzte diese Chance und ist heute Botschafterin des UNHCR . Sie setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen, die auf der Flucht sind, zu ihren Rechten kommen und geschützt werden.

Die Menschenrechte entwickelten sich nicht zufällig in Kriegszeiten: Die Kinderrechte entstanden in der Folge des Ersten Weltkriegs. Damals baute die englische Lehrerin Egla ntyne Jebb internationale Hilfsprogramme für Kinder auf, die unter den Folgen des Kriegs litten. Dabei initiierte sie das Verfassen der «Genfer Erklärung» , welche die Schutzrechte der Kinder festhielt. Im September 1924 veröffentlichte die Internationale Gemeinschaft (Völkerbund) diese Erklärung, die zu diesem Zeitpunkt noch unverbindlich war. Ein Vierteljahrhundert später verabschiedete die UN-Generalversammlung im Jahr 1959 die noch immer ungenügend verbindliche «Erklärung der Rechte des Kindes». Erst 1989 wurde die Kinderrechtskonvention (KRK) von der UN-Generalversammlung verabschiedet und von allen Staaten ausser den USA anerkannt. Die Schweiz ratifizierte diese Konvention im Jahr 1997. Die regelmässige Überprüfung der Umsetzung der KRK in der Schweiz zeigt, dass es auch in hoch industrialisierten Ländern Lücken gibt und Massnahmen definiert werden müssen, um diese zu verbessern.

Wir sind alle gefordert, Menschen-, Kinder- oder Behindertenrechte konsequent umzusetzen und an einer humanen, gerechteren Welt mitzuwirken. Der 13. Schweizer Kongress für Heilpädagogik wird sich deshalb der Umsetzung der BRK in der Schweiz widmen. Er findet am 10. und 11. September 2024 an der Universität Freiburg (CH) statt.

Thomas Wetter

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

SZH/CSPS

thomas.wetter@szh.ch