Wirkliche Wahlfreiheit und Selbstbestimmung – Weshalb tut sich die Schweiz so schwer mit der Umsetzung?

Barbara Egloff

DOI : https://doi.org/10.57161/z2023-02-00

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 02/2023

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Als die Schweiz am 1. Januar 2012 den Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung einführte, wurde auf dem Weg zur Subjektfinanzierung und damit zu einem selbstbestimmten Leben ein Meilenstein erreicht. Auch wenn es noch zahlreiche Hürden gab: Durch die Inanspruchnahme von Persönlicher Assistenz hatten viele Menschen mit einer Beeinträchtigung endlich die freie Wahl, wo und wie sie leben wollen. Wo steht die Schweiz nach mehr als zehn Jahren mit dem Assistenzbeitrag auf dem Weg zur Subjektfinanzierung? Die Situation ist ernüchternd. Im März 2022 hat der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erstmals die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in der Schweiz geprüft. Die Kritik: Menschen mit Beeinträchtigungen leben immer noch vorwiegend in institutionellen Wohnformen (Heimen). Zudem fehlt eine nationale Strategie für individuelle Unterstützung (Persönliche Assistenz), die es ihnen ermöglicht, gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Weshalb tut sich die Schweiz so schwer mit der Umsetzung? Die Deinstitutionalisierung vollzieht sich weiterhin nur sehr schleppend. Begründet wird diese Tatsache vonseiten der Institutionen oft damit, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht aus den Wohnheimen ausziehen wollen, weil sie in einer eigenen Wohnung vereinsamen würden. Doch die Vereinsamung würde nicht als Argument gegen den Auszug aus dem Wohnheim zählen, wenn die eigene Wohnung nur eine von vielen Wohnformen wäre. Es ist wichtig, dass jungen Menschen mit Beeinträchtigungen von Beginn an verschiedene Angebote zur Auswahl stehen, damit sie die wirkliche Wahlfreiheit haben und gar nicht erst in ein Wohnheim einziehen müssen.

Wollen die Institutionen an den bestehenden Machtverhältnissen und ihrer Klientel festhalten, um ihre Position zu sichern? Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, könnten sie beispielsweise neue Dienstleistungen entwickeln, mit denen sie ihre bisherige Zielgruppe bei der selbstbestimmten Wahl ihrer Wohnsituation unterstützen. Kombiniert mit dem Konzept der Subjektfinanzierung und Angeboten, welche die Selbstbestimmung nicht untergraben, könnte das Ziel der Wahlfreiheit besser erreicht werden.

Weshalb tut sich die Schweiz so schwer mit der Umsetzung? Es braucht eine einheitliche nationale Strategie für die Subjektfinanzierung, die keine Zwischenlösungen zulässt (vgl. dazu die Fake-Assistenz im Artikel von Simone Leuenberger) und alle gleich berechtigt. Es braucht Angebote, die Menschen dabei unterstützen, eine selbstbestimmte Wahl zu treffen, beispielsweise die Peerberatung. Es braucht zudem genügend akzeptable Optionen, damit wirkliche Wahlfreiheit und damit Selbstbestimmung möglich werden.

Dr. phil. Barbara Egloff

Vize-Direktorin

SZH/CSPS

barbara.egloff@szh.ch

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