Transition Familie – Kindergarten bei Kindern mit Mehrfachbehinderung

Die Bewältigung des Prozesses aus dem Blickwinkel der Eltern und Implikationen für die Heilpädagogische Früherziehung

Daniela Limacher und Kolja Ernst

Zusammenfassung
Die erfolgreiche Bewältigung von biografischen Übergängen trägt massgeblich zu einer günstigen Entwicklung und dem erfolgreichen Umgang mit zukünftigen Übergängen bei. Im Artikel werden Ergebnisse einer Untersuchung, die im Rahmen einer Masterarbeit an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) gesammelt wurden, präsentiert. Es wird der Frage nachgegangen, wie Eltern eines Kindes mit Mehrfachbehinderung die Transition ihres Kindes in den Kindergarten bewältigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Eltern besonderen Herausforderungen gegenüberstehen. Es werden Schlussfolgerungen für die Heilpädagogische Früherziehung (HFE) abgeleitet und Empfehlungen für die Optimierung der Prozessbegleitung der Transition formuliert.

Résumé
Le bon déroulement des transitions dans un parcours de vie influence de manière déterminante le développement ainsi que la réussite des transitions suivantes. Cet article présente les résultats d'une enquête menée dans le cadre d'un travail de master à la Haute école intercantonale de pédagogie spécialisée de Zurich (Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik HfH), qui examine la question de savoir comment les parents d'un enfant polyhandicapé gèrent la transition de leur enfant vers l'école enfantine. Les résultats montrent que les parents sont confrontés à des défis particuliers. Ils permettent de tirer des conclusions utiles pour l'éducation précoce spécialisée (EPS) et de formuler des recommandations pour optimiser l'accompagnement du processus de transition.

Keywords : Übergang, Kindergarten, Schwer- und Mehrfachbehinderung, elterliche Sorge, Heilpädagogische Früherziehung / transition, école enfantine, polyhandicap, autorité parentale, éducation précoce spécialisée

DOI : https://doi.org/10.57161/z2023-01-01

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 29, 01/2023

Creative Common BY

Die Transition von der Familie in den Kindergarten und das Erleben der Eltern

Mit dem Eintritt in den Kindergarten erweitert sich die Lebenswelt des Kindes. Der Kindergarteneintritt ist ein Übergang, welcher in der Regel nicht mit dem ersten Tag im Kindergarten beginnt, sondern bereits mit den Vorbereitungen Wochen und Monate im Voraus (Beelmann, 2006). Die Bedeutsamkeit von schulischen Transitionen wurde im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren vermehrt untersucht (u. a. Stamm, 2015). Es wurde erkannt, dass schulische Übergänge für Kinder wichtige Entwicklungsaufgaben darstellen, die sorgsam begleitet werden sollten.

Die Forschung fokussierte sich in den letzten Jahren eher auf Fragen der individuumszentrierten Schul- und Kindergartenbereitschaft (vgl. Überblick in ebd.). Die Sichtweise der Kinder und der Eltern als Akteure wurde unter anderem von Carigiet, Troesch und Schaller (2020) untersucht. Die spezifische Perspektive auf die Bewältigung der Transition aus Sicht der Eltern war im deutschsprachigen Raum ebenso wenig Gegenstand von Forschungen wie die spezifische Situation von Kindern mit einer Mehrfachbehinderung. Im Rahmen einer Masterarbeit der Erstautorin (Limacher, 2022) wurde explizit das Erleben der Eltern von Kindern mit Mehrfachbehinderung untersucht. Im vorliegenden Beitrag werden zentrale Ergebnisse gebündelt und entlang den folgenden drei Fragestellungen dargestellt:

Transition bei Mehrfachbehinderung – eine besondere Herausforderung für Eltern

Bei der Betrachtung von Übergängen kommt dem Konzept der «Transition» [1] eine bedeutende Rolle zu. Es stellt das gesamte System in den Mittelpunkt und bezieht sich nicht mehr – wie bisher vorwiegend – auf das Individuum (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2020). Transitionen führen zu Veränderungen auf der Ebene des Einzelnen, der Beziehungen sowie der Lebensumwelt und haben einen prozesshaften Charakter. Wilfried Griebel und Renate Niesel (2018) entwickelten am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München (IFP) ein Modell zu Bildungstransitionen, das IFP-Transitionsmodell. Die Bewältigung von Veränderungen, welche bei Übergängen in und innerhalb der Bildungseinrichtung entstehen, ist zentral. Das IFP-Transitionsmodell eignet sich in besonderem Masse für das Thema der Bewältigung von Übergängen seitens der Eltern, da es deren Rolle explizit beschreibt. Bei den beteiligten Akteur:innen eines Transitionsprozesses gilt es zu unterscheiden zwischen jenen, die den Transitionsprozess aktiv bewältigen müssen, also die Kinder und Eltern, und jenen, die diesen Prozess begleiten, wie die pädagogischen Fachpersonen. Da die Eltern den Prozess sowohl begleiten als auch bewältigen müssen, kommt ihnen eine Doppelrolle zu. Dies ist bei der Begleitung von den Fachpersonen zu berücksichtigen (Griebel & Niesel, 2018; Krus, 2013). Stabile Beziehungen sowie eine professionelle Begleitung und Beratung durch Fachpersonen stellen bedeutsame Gelingensfaktoren für eine Transition dar. Die Eltern brauchen in dieser Zeit der Unsicherheit klare und verlässliche Informationen. Sie sind in erster Linie emotional betroffen, empfinden Vorfreude und Stolz, müssen aber auch mit eigenen Unsicherheiten und Ängsten umgehen (Voss, 2012).

Bei Eltern von Kindern mit Behinderung stellen sich weitere Herausforderungen. Sarimski (2016) vergleicht mehrere deutsche und internationale Studien miteinander, welche die Einstellung der Lehrpersonen und Eltern zur inklusiven Schulung von Kindern mit Behinderung untersuchten. Die Studien zeigen ein weitgehend übereinstimmendes Bild, wonach die Lehrkräfte mehrheitlich positiv eingestellt sind gegenüber inklusiver Schulung von Kindern mit Behinderungen (ebd.). Allerdings variiert die Bereitschaft der Lehrpersonen zur Aufnahme eines Kindes mit Behinderung deutlich mit der Art der Behinderung: Bei Kindern mit einer Körperbehinderung oder Lernbeeinträchtigung ist sie höher als bei Kindern mit schwerer und mehrfacher Behinderung (Heyl & Seifried, 2014). In einer weiteren Studie wurden Eltern von Kindern mit schwerer Behinderung befragt zu ihrer Einschätzung einer möglichen inklusiven Schulung ihres Kindes. Etwa die Hälfte der befragten Eltern erhoffte sich durch eine inklusive Schulung Anregungen für Leistungsfortschritte und neue Kompetenzen ihres Kindes. Die andere Hälfte äusserte Zweifel daran, ob ihr Kind von einer inklusiven Schulung profitieren würde, da die Förderung von lebenspraktischen Fertigkeiten zu wenig Gegenstand des Unterrichts sei. Darüber hinaus befürchteten die Eltern eine Überforderung der Lehrperson durch problematische Verhaltensweisen ihres Kindes und die Ausgrenzung ihres Kindes durch die Mitschüler:innen (Palmer et al., 2001). Eltern eines Kindes mit Behinderung müssen sich mit der Frage der geeigneten Schulung ihres Kindes auseinandersetzen. Zudem können sie dabei oft nicht auf Vorerfahrungen aus der eigenen Biografie oder dem Umfeld zurückgreifen.

Methodik

Um das Erleben und die Sichtweise von betroffenen Eltern erfassen zu können, wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Teilstrukturierte Interviews mittels Leitfadens lieferten die notwenigen Daten für die qualitative Inhaltsanalyse (Roos & Leutwyler, 2017). Die Interviews wurden mit einem Audiogerät aufgezeichnet, anschliessend transkribiert und systematisch ausgewertet. Grundlage für die Auswertung waren aus der Theorie abgeleitete (deduktive) Kategorien, welche ausgehend vom Datenmaterial (induktiv) angepasst und erweitert wurden (ebd.).

Die Interviewpartnerinnen wurden mittels im Vorfeld festgelegter Kriterien ausgewählt. Die Kriterien für das Sampling ergaben sich aus den Forschungsfragen (Zierer et al., 2013). Die Stichprobe umfasst vier Mütter von Kindern mit Mehrfachbehinderung. Deren Kinder waren zum Zeitpunkt der Erhebung im selben Jahr in den Kindergarten eingetreten oder maximal ein Jahr zuvor. Die Autorin der Masterarbeit rekrutierte die Gesprächspartnerinnen bei ihrem Arbeitgeber, dem Früherziehungsdienst des Kantons Bern.

Ergebnisse

Durch die Untersuchung konnte aufgezeigt werden, dass sich Eltern eines Kindes mit Mehrfachbehinderung in Zusammenhang mit der Transition in den Kindergarten mit spezifischen Entscheidungen und Herausforderungen auseinandersetzen müssen. Die HFE übernimmt dabei eine wichtige prozessbegleitende Aufgabe.

Drei Entscheidungsbereiche

Eltern von Kindern mit Behinderung müssen sich bereits früh, das heisst, ein bis zwei Jahre vor dem Kindergarteneintritt, mit Entscheidungen rund um den Übergang in den Kindergarten beschäftigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Eltern sich mit Fragen zum Zeitpunkt der Einschulung, zur Form der Schulung und zur Wahl des geeigneten Kindergartens auseinandersetzen müssen.

Die Überlegungen der Eltern zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts fallen unterschiedlich aus. Regulär findet der Eintritt im fünften Lebensjahr oder ein Jahr später (Rückstellung) statt. Die Eltern wägen ab, ob das Kind und auch sie selbst bereit sind für die Anforderungen, welche in Zusammenhang mit dem Übergang in den Kindergarten auf sie zukommen.

Zuerst wollten wir sie gar nicht schicken [lacht]. Wir hätten sie ja noch ein Jahr zurückstellen lassen können. Ich wollte sie eigentlich gar nicht schicken. Ich dachte, es bringt ihr ja noch nicht so viel. Ich hatte die Hoffnung, dass sie in diesem Jahr noch einen kleinen Sprung macht (I1, Z. 78).

Die Frage nach der Form der Schulung ist eine bedeutsame Frage, welche aktuell bei allen Kindern mit Beeinträchtigung zu diskutieren ist, da eine inklusive Schule für alle Kinder (noch) keine Selbstverständlichkeit darstellt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zeigte sich, dass alle vier Kinder mit einer Mehrfachbehinderung in eine Sonderschule eintraten. Keine der befragten Mütter äusserte Gedanken bezüglich eines integrativen Schulsettings.

Ja, das war uns schon sehr früh klar, dass es nicht reicht für in einen normalen Kindergarten, dass sie keinen normalen Weg geht (I1, Z. 139).

Der Eintritt in eine Heilpädagogische Schule wurde von Anfang an als beste Lösung angesehen. Eine Erklärung dafür, die sich auf Aussagen der befragten Eltern stützt, könnte sein, dass die Kompetenzen bezüglich Betreuung, Förderung und Sicherstellung der Gesundheit ihrer Kinder mit Mehrfachbehinderung im Rahmen der Regelschule von den Eltern eher nicht als gegeben angesehen wurden. Hier decken sich die Ergebnisse mit den bereits erwähnten Vorbehalten seitens der Eltern gegenüber inklusiver Schulung (Heyl & Seifried, 2014; Palmer et al., 2001). Die Empfehlung und die Wahl für eine separative Sonderschule mögen nachvollziehbar sein, sollten von den Fachpersonen aber niemals als gegeben betrachtet werden.

Bei den Überlegungen, welche Eltern in ihre Entscheidung für den geeigneten Kindergarten einbeziehen, werden die Bedürfnisse des Kindes gegenüber dem Angebot der Schule abgewogen (Krus, 2013). Die Ergebnisse der Untersuchung lassen ähnliche Schlüsse zu.

Und dann die vielen Betreuungspersonen, diese 1:1-Betreuung, wo wir selbst sahen, dass V. das braucht, sonst geht es gar nicht. Es muss wirklich immer jemand für sie Zeit haben können. Und sie haben dort einfach genug Kapazitäten (I2, Z. 60).

Ein positiver erster Eindruck sowie ein gutes Gefühl beim ersten Kontakt mit den zukünftigen Betreuungs- und Lehrpersonen ihres Kindes sind für die Eltern von grosser Bedeutung und Grundlage für den Vertrauensaufbau.

Aber ich brauche das, dass ich, wenn ich merke, ah dieser Mensch schaut zu meinem Jungen, dass ich irgendwie spüre, ah ich habe ein gutes Gefühl zu diesem Menschen. Es hilft mir, Vertrauen zu haben (I4, Z. 92).

Besondere Herausforderungen

Für die Eltern beginnt die Suche nach einem geeigneten Kindergartenplatz früh und ist mit erheblichem Aufwand verbunden. Allerdings scheint nicht der Aufwand die grösste Belastung zu sein, sondern die relativ langandauernde Ungewissheit. Die Frage, wo ihr Kind zukünftig zur Schule gehen wird, respektive ob sie den gewünschten, favorisierten Platz erhalten werden, wird von vielen Eltern als Herausforderung erlebt.

Aber die wenigen Plätze, das fand ich ganz schlimm. Ich habe mir vorgestellt, dass man auswählen kann als Eltern. Dass ich sagen kann, ich will, dass mein Kind in diese Schule geht. Aber eigentlich hiess es, dort hat es Platz, basta, quasi. Das hat mir sehr lange Sorgen bereitet (I4, Z. 78).

Der anstehende Übertritt in den Kindergarten kann bei Eltern eine erneute Auseinandersetzung mit der Behinderung ihres Kindes auslösen. Die Konsequenzen für die weitere Lebensgestaltung werden nochmals ins Bewusstsein gerückt. Dies sollte im Rahmen der kontinuierlichen Prozessbegleitung durch die Fachperson der HFE mitbedacht werden.

Ich weiss noch, mein Mann und ich, als wir als erstes die Heilpädagogische Schule besichtigen waren, fanden wir beide, aha, es ist ziemlich emotional. Es löst schon etwas aus, als Eltern zu merken, aha mein Kind ist anders, behindert! Und es geht einen anderen Weg. Aha, ok, jetzt ist das offiziell, quasi (I4, Z. 108).

Mit der für die Transition in den Kindergarten notwendigen Ablösung unter besonderen Bedingungen verändert sich auch die Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Kind. Das Kind wird zum Kindergartenkind. Der neue Blick der Lehrpersonen auf das Kind verändert auch die Wahrnehmung des Kindes durch die Eltern und führt somit zu Veränderungen in der Beziehung. Eltern müssen beim Eintritt in den Kindergarten zulassen, nicht mehr allein für die Erziehung ihres Kindes verantwortlich und kompetent zu sein (Griebel & Niesel, 2018). Dennoch schätzen die befragten Eltern in der vorliegenden Untersuchung den Kindergarten als neues und bereicherndes Unterstützungssystem. Die Verantwortung für die Förderung des Kindes abgeben zu können, wird ebenso als Entlastung wahrgenommen wie die zeitliche Ersparnis, da alle Therapien unter einem Dach stattfinden. Die Ablösung von ihrem Kind wurde von drei der vier befragten Familien als belastend oder vorübergehend belastend erlebt. Eine Mutter beschreibt die ersten Tage und Wochen nach dem Start des Kindergartens folgendermassen:

Auf der einen Seite war ich so froh, dass V. so einen guten Ort hat, das sie dort hingehen kann und sie so glücklich ist dort. Und auf der anderen Seite ist es so schwierig, man ist so eng mit diesem Kind. Es ist so beides, auf der einen Seite grosse Freude, dass sie wirklich in einen Kindergarten gehen kann und jetzt gefördert wird, sie so viel Neues lernen kann und auch die Chance hat, mit so vielen Kindern zusammen zu sein, weil sie das ja wirklich auch gerne ist. Und auf der anderen Seite ist es wirklich, wie ein Teil der fehlt (I2, Z. 88).

Die Ergebnisse der Untersuchung haben auf der anderen Seite gezeigt, dass die Ablösung vom Kind mit Mehrfachbehinderung unter besonderen Bedingungen erfolgt und sich von der regulären Ablösung unterscheidet, wie sie von Eltern im Allgemeinen beschrieben werden (Fasseing-Heim, 2014; Carigiet et al., 2020). Dies beinhaltet die eingeschränkte Autonomie des Kindes, die intensive körperliche und emotionale Bindung oder die Angst vor medizinischen Notfällen in Abwesenheit der Eltern. Das folgende Zitat zeigt dies eindrücklich auf:

Dass sie sich nicht ausdrücken und sie mir ja dann nicht sagen kann, was dort mit ihr passiert, was sie dort mit ihr machen. Und ich habe den Überblick nicht. Das hat mir schon auch Angst gemacht (I2, Z. 96).

Es gilt zu erwähnen, dass sich drei der befragten Mütter trotz aller Herausforderungen und Belastungen gefreut haben, dass ihr Kind eine Schule besuchen kann, in welcher es gefördert und die Familie entlastet wird. Der Kontakt zu anderen Kindern sowie die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen, sind positive Erwartungen, welche die Mütter im Zusammenhang mit dem Kindergarteneintritt geäussert haben.

Ich habe einfach das Gefühl, sie braucht andere Kinder und andere Orte, um Erfahrungen zu machen (I3, Z.69).

Weiter machten die befragten Personen Aussagen zu einer erfolgreichen Bewältigung der Transition. Rückblickend wurde der Prozess der Transition von allen vier Familien als positive Erfahrung bewertet. Alle Mütter waren zudem der Meinung, dass die gelungene Bewältigung des Kindergarteneintritts auch für zukünftige Übergänge hilfreich sein werde.

Unterstützung durch das professionelle Umfeld

In der Untersuchung zeigte sich, dass die Eltern einer ganz konkreten und praktischen Unterstützung durch die HFE viel Bedeutung zumessen. Hilfestellungen wie etwa die Abgabe einer Liste mit allen umliegenden Sonderschulen, die Organisation von Terminen oder das Ausfüllen von Formularen werden von den Eltern sehr geschätzt.

Die Frühförderung hat uns da sehr fest geholfen, also wirklich. Wir mussten uns nie darum kümmern oder so. Die Früherzieherin hat alles organisiert. Das ist eine grosse Hilfe (I1, Z. 78).

Aber sie war eigentlich immer diejenige, die meinte: Wie siehst du es? Und wo beginnen wir zu schauen? Und die Informationen zu den Schulen mitbrachte. Genau. Und das finde ich sehr erleichternd (I2, Z. 72).

Von den sozialen Unterstützungssystemen, mit denen eine Kooperation im Rahmen der Transition stattfindet, nimmt die zukünftige Schule ebenfalls eine zentrale Funktion ein. Die Eltern schildern verschiedene Übergangsaktivitäten, welche zum einen in der Orientierungsphase stattfanden (z. B. Informationsgespräche, Unterstützung bei Formalitäten, Schnupperzeit und Willkommenskultur), zum anderen in der Eingewöhnungsphase (z. B. Einholen von detaillierten Informationen zum Kind, Austausch zwischen den Lehrpersonen und den Eltern und flexible Eingewöhnung).

Sie haben es wirklich ganz gut gemacht mit der ersten Woche. Die ersten paar Tage konnten wir auch mitgehen. Der Übergang war wirklich sehr angenehm. Sie haben nicht gestresst und ihr Zeit gelassen. Und es ist dann aber sehr gut gelaufen (I2, Z. 86).

Und wir waren sehr im Austausch, immer noch. Es hat mir schon sehr geholfen, dass sie sich Zeit genommen haben und mit mir den Kontakt suchten vor dem Beginn, damit wir uns austauschen konnten (I4, Z. 78).

Wie sich in der vorliegenden Untersuchung zeigt, schätzen die Eltern den Einbezug in die Übergangsaktivitäten und empfanden diese als hilfreich.

Schlussfolgerungen für die Heilpädagogische Früherziehung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich bei der Transition von der Familie in den Kindergarten bei Familien mit einem Kind mit Mehrfachbehinderung um ein Ereignis handelt, welches mehrheitlich mit positiven Erwartungen und Freude verbunden ist. Allerdings sind die Eltern mit einigen Besonderheiten konfrontiert. Eltern eines Kindes mit Mehrfachbehinderung müssen sich früh mit Entscheidungen, der Suche nach dem geeigneten Kindergartenplatz und Verwaltungsformalitäten auseinandersetzen. In Zusammenhang mit der Bewältigung der Transition müssen sich die Eltern mit zusätzlichen Anforderungen befassen, wie beispielsweise der Ablösung unter besonderen Bedingungen oder der erneuten Auseinandersetzung mit der Behinderung ihres Kindes.

Die HFE nimmt im Transitionsprozess eine wichtige Funktion ein. Ihr kann eine prozessbegleitende Rolle zugeschrieben werden. Aufgrund des Wissens zum Entwicklungsverlauf des Kindes, dem Unterstützungsbedarf sowie der Beziehung zu den Eltern, ist die HFE prädestiniert dafür. Dabei wird die konkrete Unterstützung, wie etwa die Weitergabe von Informationen zu Sonderschulen in der Region, von den Eltern geschätzt. Neben der Informationsweitergabe, dem Organisieren von Gesprächen und dem Verfassen von Berichten tauchen Themen auf, welche in einer gezielten Bildungsberatung aufgegriffen werden können. Die Erarbeitung und Implementierung eines Konzepts bezüglich der Begleitung von Transitionsprozessen könnte sich für Institutionen der HFE lohnen und die Professionalität der Transitionsbegleitung deutlich erhöhen.

Die Bündelung von aktualisierten Informationen rund um Bildungsübergänge sowie eine regelmässige Schulung der Fachpersonen der HFE und spezifische Beratungskonzepte sind Massnahmen, welche in der Praxis Anwendung finden könnten. Eine Möglichkeit wäre eine Bestimmung einer verantwortlichen Person an den Institutionen der HFE, welche für die Bündelung und Weitergabe der Informationen rund um Bildungsübergänge verantwortlich ist und die Vernetzung mit den aufnehmenden Institutionen optimiert. Mit regelmässigen Inputs und Schulungen in den Teams sowie institutionalisierten Netzwerktreffen kann bereits mit kleinem Aufwand viel erreicht werden.

Die Vernetzung der beteiligten Akteure, die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie auch der Einbezug des Kindes sind – wie auch im IFP-Transitionsmodell beschrieben (Griebel & Niesel, 2018) – zentral und gehören zu den Aufgaben der prozessbegleitenden Fachpersonen. Die genannten Aspekte der Prozessbegleitung waren allerdings nicht Gegenstand der Untersuchung. Weiterführende Untersuchungen zu diesen Aufgabenbereichen könnten interessante Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Praxis der HFE sowie der Schulischen Heilpädagogik liefern.

Daniela Limacher, MA

Heilpädagogische Früherzieherin

Früherziehungsdienst des Kantons Bern

limacher.daniela@gmx.ch

Kolja Ernst

Advanced Lecturer

Masterstudiengang HFE

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik

kolja.ernst@hfh.ch

Literatur

Beelmann, W. (2006). Normative Übergänge im Kindesalter. Anpassungsprozesse beim Eintritt in den Kindergarten, in die Grundschule und in die weiterführende Schule. Dr. Kovac.

Carigiet, T., Troesch, L. M. & Schaller, P. (2020). Gelingt der Übergang in den Kindergarten? Erkenntnisse aus einer Befragung von Kindergartenlehrpersonen und Eltern. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 42 (1), 187–209.

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Griebel, W. & Niesel, R. (2018). Übergänge verstehen und begleiten. Transition in der Bildungslaufbahn von Kindern (5. Aufl.). Cornelsen.

Heyl, V. & Seifried, S. (2014). «Inklusion? Da ist ja sowieso jeder dafür!?» Einstellungsforschung zu Inklusion. In S. Trumpa, S. Seifried, E. Franz & T. Klauß (Hrsg.), Inklusive Bildung: Erkenntnisse und Konzepte aus Fachdidaktik und Sonderpädagogik (S. 47–60). Beltz.

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Limacher, D. (2022). Transition bei Mehrfachbehinderung. Wie Eltern von Kindern mit Mehrfachbehinderung den Übergang von der Familie in den Kindergarten bewältigen . Masterarbeit. Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich. doi.org/10.5281/zenodo.7313476

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Zierer, K., Speck, K. & Moschner, B. (2013). Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung . Reinhardt.

  1. Ein Übergang ist das eigentliche Ereignis. Die Transition beschreibt die gesamte Übergangserfahrung und die jeweiligen Auswirkungen. Sie ist damit also viel komplexer als das blosse Ereignis des Übergangs.