DOI: https://doi.org/10.57161/z2025-09-00
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 31, 09/2025
Die Jugend ist eine Zeit voller Aufbrüche und Unsicherheiten: Jugendliche durchlaufen körperliche, kognitive und psychosoziale Veränderungen. Freundschaften werden wichtiger und Fragen zur eigenen Identität, Sexualität und zum Selbstbild rücken in den Vordergrund. Jugendliche wollen dazugehören, eigene Entscheidungen treffen und ihre Fähigkeiten entdecken. Gleichzeitig stehen sie unter wachsendem Druck: Sie sollen in der Schule bestehen, Beziehungen pflegen und ihren beruflichen Weg finden. Für Jugendliche mit Behinderungen sind diese Aufgaben oft noch komplexer, da sie stärker auf verlässliche und zugängliche Strukturen angewiesen sind.
Gerade weil Beziehungen und soziale Erfahrungen in dieser Phase so wichtig sind, brauchen Jugendliche Gelegenheiten, sich im Austausch mit Peers auszuprobieren. In Begegnungen testen sie soziale Rollen aus, verhandeln Nähe und Distanz und entwickeln ihre Identität. Für Jugendliche mit Behinderungen können solche Erfahrungen jedoch eingeschränkt sein – sei es, weil kommunikative Hürden bestehen oder weil sie weniger Gelegenheiten für selbstständige Begegnungen haben. Umso wichtiger ist es, Begegnungen zu ermöglichen, die auf Augenhöhe stattfinden.
Die Frage nach der beruflichen Zukunft belastet viele Jugendliche. Sie sollen entscheiden, was ihnen liegt, obwohl sie sich selbst gerade erst kennenlernen. Dabei spielen die Eltern eine Schlüsselrolle. Eine gute Zusammenarbeit mit Schule und Fachpersonen hilft, Erwartungen zu klären und passende Schritte zu planen. In der beruflichen Grundbildung braucht es zudem faire Bedingungen. Der Nachteilsausgleich soll Hindernisse abbauen, ohne die Anforderungen zu reduzieren. Damit dies gelingt, müssen alle Lernorte Verantwortung übernehmen und Barrieren gemeinsam reduzieren.
Damit sich Jugendliche entwickeln können, benötigen sie eine stabile Basis. Diese entsteht unter anderem in der täglichen pädagogischen Praxis, sowohl im Unterricht als auch in der Beziehungsarbeit. Sie brauchen Angebote, die ihre Interessen aufgreifen, altersgemässe Inhalte zugänglich machen und sie dabei unterstützen, zentrale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen – von der Emotionsregulation über die soziale Integration bis hin zu Fragen der Identitätsentwicklung. Eine solche Pädagogik stärkt nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern eröffnet auch Räume zum Ausprobieren, Reflektieren und Mitgestalten.
Angesichts all dieser Herausforderungen zeigen viele Jugendliche mit Behinderungen eine beeindruckende Stärke. Sie entwickeln kreative Lösungen, blicken offen auf Neues und nutzen ihre Ressourcen, wenn sie den nötigen Raum und das Vertrauen dazu erhalten. Projekte aus dem künstlerischen Bereich – zum Beispiel Theaterarbeit – zeigen eindrücklich, wie Jugendliche wachsen, wenn sie ihre Gedanken und Gefühle mitteilen und sichtbar werden dürfen.
Die Jugendphase verlangt Mut, Geduld und eine Umgebung, die trägt. Wie ein gut gebautes Nest entsteht sie aus vielen sorgfältig zusammengesetzten Zweigen: Beziehungen, Strukturen, Selbstbestimmung und Vertrauen. Wenn diese Elemente ineinandergreifen, entsteht eine stabile Basis, die Orientierung bietet und gleichzeitig Entwicklung zulässt. Und wenn es dann so weit ist, fliegen Jugendliche mit Behinderungen gestärkt los.
Noëlle Fetzer Wissenschaftliche Mitarbeiterin SZH/CSPS |